Bildnis Karl Ernst Osthaus von Bernhard Pankok, ab 1916 (Ausschnitt).
Bildnis Karl Ernst Osthaus von Bernhard Pankok, ab 1916 (Ausschnitt). Wikimedia

Ein «Volksfeld» für die Kunst

Für die Verbreitung der modernen Kunst und geeigneter Konzepte zu ihrer Vermittlung spielten inspirierte, ja visionäre Privatleute eine wichtige Rolle. Ein herausragendes Beispiel ist dafür das «Folkwang» Museum von Karl Ernst und Gertrud Osthaus in Hagen. Es hat auch etliche Bezüge zur Schweiz.

Barbara Basting

Barbara Basting

Barbara Basting war als Kulturredaktorin tätig und leitet derzeit das Ressort Bildende Kunst in der Kulturabteilung der Stadt Zürich.

Als Karl Ernst Osthaus und seine Frau Gertrud 1902 in Hagen ein Museum gründeten, gaben sie diesem einen sehr eigentümlichen Namen: Folkwang. Die Einführung solcher zunächst rätselhaft wirkender Schlüsselbegriffe hat in der Kunst Methode. Karl Ernst Osthaus (1874-1921) zielte mit «Folkwang» auf eine durch Kunst zu stimulierende Gemeinschaft ab. Denn «Folkwang» ist ein altnordischer Begriff und meint so viel wie «Volksfeld», «Volksanger». «Folkwang», so nannte Osthaus das von ihm in der westfälischen Industriestadt Hagen 1903 eröffnete, neuartige Museum. Osthaus wagte ein Experiment, das bald Nachahmer finden sollte. Seine aufsehenerregende Sammlung zeitgenössischer Kunst, in der sich die damals noch umstrittene impressionistische Moderne und Avantgarde von Renoir über Van Gogh und Cézanne bis Hodler und Matisse ein Stelldichein gab, paarte er mit auf Reisen erworbenen Kunstobjekten aus Nordafrika und dem Vorderen Orient. Hinzu kam seine naturkundliche Sammlung. Sie war der eigentliche Ausgangspunkt seiner Sammelleidenschaft und ein Echo auf das wissbegierige 19. Jahrhundert. Auch der Museumsbau, in dem Osthaus zunächst sogar mit seiner Familie wohnte, ist Ausdruck einer nervösen Suche nach dem Neuen, Zeitgemässen. Zunächst neogotisch konzipiert, waren für den Innenausbau Peter Behrens und der belgische Künstler Henry van de Velde tätig, auf deren Schaffen Osthaus aufmerksam geworden war.
Bildnis Karl Ernst Osthaus von Ida Gerhardi, 1913.
Bildnis Karl Ernst Osthaus von Ida Gerhardi, 1913. Wikimedia
Bildnis Gertrud Osthaus von Auguste Renoir, 1913.
Bildnis Gertrud Osthaus von Auguste Renoir, 1913. Wikimedia
Damit nicht genug: Der blutjunge Osthaus verfolgte mit seiner Gründung einen damals nahezu revolutionären volkspädagogischen Ansatz. Als wohlbetuchter Erbe einer Industriellendynastie – das Geld hatte man unter anderem mit Schrauben für Eisenbahnschwellen verdient – wollte er «im freudlosen Industriebezirk» einen klaren Gegenakzent setzen. Sein «Folkwang»-Museum sollte daher mehr als nur Konversationsstücke für das Bildungsbürgertum bieten. Es ging darum, einem möglichst breiten Publikum Anregungen und Vorbilder für die Gestaltung der Gegenwart zu vermitteln. Neben der Einrichtung eines Vortragssaals unterstrich die Gründung einer Künstlerresidenz im «Folkwang» die Ernsthaftigkeit des Vorhabens. Mit einer wenig später erfolgten, ebenfalls originellen zweiten Museumsgründung, dem «Deutschen Museum für Kunst in Handel und Gewerbe», das Osthaus als «nomadisches» Museum konzipierte, verfolgte er dieses Ziel noch konsequenter. Denn dieses Museum verpflichtete er auf die Ziele des Deutschen Werkbundes. Bis zum Kriegsbeginn 1914 schrieb es eine verblüffende Erfolgsgeschichte. Die Wirkung und Strahlkraft auf die moderne Architektur und Gestaltung in Deutschland belegt beispielsweise der enge und ergiebige Dialog von Osthaus mit Walter Gropius. Dessen frühe Ideen zum Bauhaus förderte Osthaus. Nach dem frühen Tod des Mäzens 1921 wurden jedoch die Sammlung und die Namensrechte von Osthaus’ Erben schon 1922 an die Stadt Essen verkauft. Das erklärt, warum das 100-Jahr-Jubiläum der Folkwang-Sammlung 2022 gefeiert wird.
Historisches Portal des Osthaus Museums Hagen.
Historisches Portal des Osthaus Museums in Hagen. Osthaus Museums Hagen, Foto: Werner Hannappel
Osthaus schwebte, kaum hatte er seine beiden Museen eröffnet, die Errichtung einer modernen Mustersiedlung vor. In deren Zentrum sollte eine künstlerisch ausgestaltete Villa für seine Familie stehen, zugleich ein Treffpunkt für einen entsprechenden Salon. Sein Vorbild war die Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe, der namhafte Architekten und Künstler ihren Stempel verliehen hatten. Die Mathildenhöhe war eine grossherzogliche, mäzenatische Gründung. Osthaus wollte ihr ein zeitgemässes bürgerliches Gegenstück an die Seite stellen. Er erwarb ein landschaftlich reizvolles Areal ausserhalb von Hagen. Dort wollte er eine grosszügige, künstlerisch imprägnierte Gartenstadt errichten lassen. Für die Bebauungspläne beauftragte er wiederum Behrens und Van de Velde. Sehr zu Behrens’ Verdruss ging der erste Auftrag für eine Villa, die Osthaus mit seiner Familie nutzen wollte, an Van de Velde. Osthaus’ Pläne eines Villenvororts scheiterten an der ausbleibenden Käuferschaft, was auch dem Ersten Weltkrieg geschuldet war. Zusammen mit der herrschaftlichen Villa Hohenhof wurden nur wenige Villen realisiert. Die Gartenstadt blieb Traum.
Der Hohenhof in Hagen-Eppenhausen.
Der Hohenhof in Hagen-Eppenhausen. Wikimedia / Frank Vincentz
Heute erinnert die Villa Hohenhof, in der jeder Raum künstlerisch durchgestaltet wurde, an eine aus unserer Sicht entrückte, weltfremde avantgardistische Aufbruchsstimmung. Mit dem bis ins letzte Detail komponierten Ensemble, das selbst die Kleidung der Hausherrin nicht ausliess, sollte der Rahmen für ein gleichermassen perfekt gestaltetes Leben gesetzt werden. Kaum verwunderlich, führte dieser idealistische Anspruch zum Wunsch, eine passende Pädagogik zu entwerfen. Nach dem Ersten Weltkrieg, als Osthaus schon schwer erkrankt war, versuchten er und seine Frau sich im Hohenhof mit der Gründung der reformpädagogischen Folkwangschule. Entwürfen von Bruno Taut zufolge schwebte Osthaus hier eine «Stadtkrone» vor. Doch das Projekt der Folkwangschule scheiterte aufgrund ideologischer Zwistigkeiten und entzweite schliesslich sogar die Familie, wie man aus der jüngst erschienenen biografischen Darstellung zu Karl und Gertrud Osthaus von Rainer Stamm und Gloria Köpnick erfährt. Dass Osthaus’ Witwe, die sich später wiederverheiratete, ideell die Nähe zu den Nazis nicht scheute, erstaunt kaum, wenn man vom umfassenden Gestaltungsanspruch der Nazis weiss. Gerade in der Moderne hat sich mehrfach gezeigt, wie solche zunächst reformerisch wirkende Ansprüche auf eine umfassende Gestaltung zunehmend autoritäre, zutiefst antidemokratische Züge offenbaren. Dass während der Nazizeit im Hohenhof eine Gauleiterschule der NSDAP einzog, ist in dem Zusammenhang mehr als nur eine Anekdote.
Wassily Kandinskys Improvisation 28 von 1912
Wassily Kandinskys Improvisation 28 von 1912. Unter dem von den Nazis eingesetzten Direktor des Folkwang-Museums in Essen verlor die Sammlung des Museums bedeutende Werke wie dieses, weil sie als nicht akzeptierte Kunst entweder verkauft oder beschlagnahmt wurden. Solomon R. Guggenheim Museum / Wikimedia
Für die Ausstattung der Villa Hohenhof hatte Osthaus neben Van der Velde zahlreiche Künstler beigezogen, deren Werke er zuvor schon gesammelt hatte. Die Auswahl zeugt von seinem für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg keinesfalls selbstverständlichen internationalen Horizont. Den Eingang flankierte ein vom Schweizer Bildhauer Hermann Haller in Basaltstein gehauenes Ensemble «Adam und Eva». Zu den bemerkenswerten Kunstwerken im Hohenhof gehörten auch etliche Gemälde, etwa von Edouard Vuillard. Prominent in der Eingangshalle hängt Ferdinand Hodlers grossformatige Malerei «Der Auserwählte» (2. Fassung, die erste befindet sich im Kunstmuseum Bern). Für den Wintergarten lieferte Henri Matisse ein Fliesenmosaik, Fensterverglasungen entwarf Jan Thorn-Prikker, der auch die Fenster des Hagener Bahnhofs gestaltete.
Ferdinand Hodler, Der Auserwählte, 1903.
Ferdinand Hodler, Der Auserwählte, 1903. Wikimedia / Osthaus Museums Hagen
Der Hohenhof war von Anfang an ein Pilgerort für moderne Künstler und Architekten. Leicht lassen sich Verbindungslinien zur Reform-Enklave des Monte Verità oder zu den Sammlungsaktivitäten von Eduard von der Heydt ziehen, dessen Sammlung den Grundstock des Zürcher Rietberg-Museums bildet. Belegt ist auch das Interesse des jungen Le Corbusier an Osthaus’ Modell während seiner Studienreise 1910 nach Deutschland. In Berlin macht ihm ein Vortrag von Karl-Ernst Osthaus an einer Werkbund-Tagung Eindruck. Osthaus referierte ausführlich über den neuen Betonbau und dessen Möglichkeiten – und damit über das Material, das für Le Corbusier entscheidend wird. Bei seinem Besuch von Osthaus’ Museen in Hagen trifft Le Corbusier Osthaus persönlich und lernt auch den Hohenhof kennen. Über die für ihn prägenden Eindrücke berichtet er später an verschiedenen Stellen, unter anderem in einigen Briefen an Karl-Ernst Osthaus. Zur Villa Hohenhof hält er fest: «Es gibt in diesem Haus keine Ecke, in der nicht ein Traum eingeschlossen ist». Heute kann man im Hohenhof, dem Osthaus-Museum in Hagen und dem Folkwang-Museum in Essen die Spuren dieser Träume sehen.

Weitere Beiträge