Wettstreit der Monstranzen in der Zentralschweiz. Illustration von Marco Heer
Wettstreit der Monstranzen in der Zentralschweiz. Illustration von Marco Heer

Der Zuger Monstranz-Wettstreit

Wenn Kaiser und König konkurrieren, kann die Kirche profitieren. Wie Ober- und Unterägeri im Kanton Zug je zu einer aussergewöhnlichen barocken Monstranz kamen, beide notabene mit politischer Botschaft.

Urs-Beat Frei

Urs-Beat Frei

Urs-Beat Frei ist Spezialist für christliche Sakralkunst und -kultur. Er hat ein Mandat als Konservator des Luzerner Stiftsschatzes und arbeitet als freischaffender Berater und Autor.

Um vom Ende her zu beginnen: Im Jahrzeitenbuch der Pfarrkirche von Unterägeri, das einst jährlich von der Kanzel herab verlesen wurde, findet sich ein heute höchst befremdlich wirkender Eintrag: «Insonderheit wollen wir eingedenk sein Seiner allerchristlichsten, königlichen Majestät Ludwig XV. von Frankreich und Navarra, der anno 1735, den 25. November, allergnädigst eine kostbare Monstranz in diese Pfarrkirche verehrt hat [...], auf dass die königliche Krone von Frankreich zum Trost der ganzen allgemeinen Christenheit allzeit floriere und vom hohen Himmel herab gesegnet werde.» Dass die Unterägerer – im frühen 18. Jahrhundert eine Gemeinde mit rund 600 Einwohnern – künftig für Ludwig XV. und das französische Königshaus beten würden, hatte deren Pfarrer, Dr. Bernhard Fliegauf, bereits in seinem lateinisch verfassten Brief an den französischen König versichert, in welchem er die Schenkung einer Monstranz erbat. Doch ging es beiden Seiten nicht nur um das Gebet für göttlichen Schutz, sondern ganz handfest um Repräsentation und Rivalität: Konkurrierte der französische König damals mit Kaiser Karl VI., so stand Pfarrer Fliegauf in Konkurrenz mit der Mutterpfarrei von Oberägeri. Von dieser hatte sich seine Pfarrei 1714 getrennt und zur neuen, 1725 geweihten Kirche leistete er selbst einen erheblichen finanziellen Beitrag.
Die königliche Monstranz von Unterägeri. Sponsor: Ludwig XV. von Frankreich.
Die königliche Monstranz von Unterägeri. Donator: Ludwig XV. von Frankreich. zVg / Wikimedia
Doch nun zum Anfang der Geschichte: Alles begann mit einem Einbruch: Am Morgen des 21. Juli 1726 stellte der Pfarrer von Oberägeri fest, dass nachts in seine Sakristei eingebrochen worden war und alle wertvollen Kirchengüter, darunter eine Monstranz, vier Kelche sowie eine Marienkrone, weg waren. Aus diesem Grund musste sich die Pfarrei um neue liturgische Geräte bemühen. Von verschiedener Seite erhielt sie Geschenke, wobei die herausragendste Gabe von keinem Geringeren als dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation stammte, Karl VI.: eine riesige, nahezu einen Meter hohe, goldene Monstranz. Noch heute bildet sie das Prunkstück des Oberägerer Kirchenschatzes und gehört zu den bedeutendsten barocken Monstranzen der Zentralschweiz. Sie ist das Werk des renommierten Augsburger Goldschmieds Franz Thaddäus Lang.
Ein kaiserliches Geschenk: die Monstranz von Oberägeri.
Ein kaiserliches Geschenk: die riesige Monstranz von Oberägeri. zVg / Wikimedia
Erwirkt hat dieses kaiserliche Geschenk einer der beiden Zuger Gesandten auf den eidgenössischen Tagsatzungen, Peter Nussbaumer. Er machte sich geschickt die kirchenfreundliche Gesinnung der Habsburger zunutze. Zusätzlich entgegen kam ihm das Bestreben des Kaisers, den damaligen Einfluss des französischen Königs in Zug zu brechen. Bekanntlich wurde Zug damals von einem Patriziat regiert, namentlich den Zurlauben, das vor allem dadurch reich, aber auch vom französischen König abhängig wurde, dass es ihm junge, zumeist mittellose Eidgenossen als Söldner vermittelte. Bereits am 14. September 1727 wurde die Monstranz von einem kaiserlichen Boten bei einem Festmahl in Oberägeri übergeben. Und tatsächlich war sie ein starkes Statement gegen den französischen Einfluss im Kanton Zug und brachte das machtpolitische Selbstverständnis des Kaisers pointiert zum Ausdruck: Indem auf deren Fuss in ebenso auffälliger wie ungewohnter Weise im mittigen Emailmedaillon auf der Schauseite der heiligen Joseph und Nährvater Jesu erscheint, nicht aber der Gottessohn selbst, inszeniert sie den Kaiser, dessen Bildnis auf der Rückseite als Pedant zu sehen ist, gleichsam als Nährvater und Beschützer aller (katholischen) Gläubigen.
Der heilige Joseph und Jes... pardon, Kaiser Karl zieren die Monstranz von Oberägeri.
Der heilige Joseph und − welche Nachbarschaft! – Kaiser Karl VI. zieren die Monstranz von Oberägeri. zVg
In das politische Programm fügen sich des Weiteren die Motive im Strahlenkranz sowie das Gnaden­bild Maria vom Siege unterhalb des Hostienfensters ein. Dieses erfuhr gerade in jener Zeit grosse Verehrung in Europa, da 1716, also nur wenige Jahre zuvor, Prinz Eugen von Savoyen, der überragende Feldherr Kaiser Karls VI., einen entscheidenden Sieg über das Osmanische Reich errungen hatte. Folglich rief sich letzterer mit diesem Marienbildnis auch als erfolgreicher Verteidiger des Christentums gegen die Moslems in Erinnerung.
Auch an Prinz Eugens von Savoyen denkwürdigen Sieg bei Lepanto erinnert die Monstranz.
Auch an Prinz Eugens von Savoyen denkwürdigen Sieg über die Türken erinnert die Monstranz. zVg / Wikimedia
In Zug war damals jene Auseinandersetzung in Gang, die als «Harten- und Lindenhandel» in die Geschichte einging, also der Kampf um die politische Macht zwischen der nach Frankreich orientierten Partei der «Linden» («Weichen») und der nach Deutschland-Österreich orientierten Partei der «Harten». Diese Situation nutzte nun wiederum Peter Nussbaumer für seine eigenen Ziele listig aus. Jetzt setzte er sich beim französischen Ambassador in Solothurn dafür ein, dass Frankreichs König, Ludwig XV., Unterägeri für seine neue Kirche mit einer Monstranz beschenkte: Er, der allerchristlichste König, wolle doch gewiss dem Römisch-Deutschen Kaiser in Freigebigkeit nicht nachstehen, da sich die Zuger doch ihm mehr verbunden fühlten als dem letzteren. Wie eingangs vermerkt, griff auch der Pfarrer von Unterägeri eben dieses Argument in seinem Bittschreiben an den französischen König auf. Wir wissen, dass die Bitte von Ludwig XV. erhört wurde. 1000 Livres hat er freigegeben, damit sein Ambassador in Solothurn, Jean-Louis d’Usson, Marquis de Bonnac, beim dort ansässigen, schon 82-jährigen Goldschmied Johann Heinrich Büeller eine Monstranz für Unterägeri in Auftrag geben konnte. Diese fiel zwar etwas kleiner aus als die kaiserliche von Oberägeri, aber sie ist von grösserer Leichtigkeit sowie geradezu höfischer Eleganz und nach Linus Birchler eine der schönsten Barockmonstranzen der Schweiz. Und wie nicht anders zu erwarten, zeigt sie unübersehbar, wessen Geschenk sie ist: Über dem herzförmigen Hostienschrein schwebt eine Königskrone mit französischen Lilien, darunter findet sich das Doppelwappen von Frankreich und Navarra, eingefasst von der aus dem Buchstaben L gebildeten Kette des königlichen Ordens des heiligen Ludwig.
Damit unverkennbar ist, woher die Monstranz stammt: Königskrone mit französischen Lilien (links) und das Doppelwappen von Frankreich und Navarra, Orden des heiligen Ludwig (rechts).
Damit unverkennbar ist, woher die Monstranz stammt: Königskrone mit französischen Lilien (links) und das Doppelwappen von Frankreich und Navarra, Orden des heiligen Ludwig (rechts). zVg
Offenbar wurden die beträchtlichen monarchischen Investitionen in die Monstranzen der Kirchen von Ober- und Unterägeri als lohnenswerte Werbemassnahme erachtet: Kein Wunder, denn dort vorbei kamen damals jährlich tausende Wallfahrerinnen und Wallfahrer auf dem Pilgerweg nach Maria Einsiedeln.

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