Solothurn von Westen her gesehen, Mitte 18. Jahrhundert.
Solothurn von Westen her gesehen, Mitte 18. Jahrhundert. Die erst gerade gebauten Schanzen umgeben die Stadt. Links ist das Bieltor zu sehen, davor spielte sich das Duell zwischen Peter Julius von Sury und Peter Josef Anton Besenval ab. Zentralbibliothek Zürich

Dieser starb am Garten­zaun, jener auf der Türschwelle

Ein Streit zwischen zwei ehemaligen Freunden aus dem Solothurner Patriziat wurde beiden Kontrahenten zum Verhängnis und stürzte eine Mutter in heillose Verzweiflung.

Adrian Baschung

Adrian Baschung

Adrian Baschung ist Historiker und Leiter des Museums Altes Zeughaus in Solothurn.

Wir schreiben den 23. Oktober 1729, ein nebliger Sonntag. Soeben war die fromme Bevölkerung Solothurns zur Sonntagsmesse in der Kirche gewesen und begab sich nun auf den Heimweg. Da fiel manchen Heimkehrenden in der Hauptgasse ein Mann mittleren Alters auf. Dieser, sich unsicher bewegend, schaut sich mehrfach um, bemerkt das Getuschel der Passanten, die Finger, welche auf ihn zeigten, die Blicke, die sich zu ihm umwandten. Der unmittelbare Druck des öffentlichen Auges der Stadt schien den Mann zusehends zu verunsichern, als er weiter durch die Gasse auf ein Haus zu schwankte und sich dort vor den Eingang stellte. Er ergriff den Glockenzug, zog nervös daran und liess den Griff wieder fahren. Kaum hatte der Mann jedoch geläutet, verkrampfte er sich, stöhnte auf, kippte von der Türschwelle und blieb, vom Schlag tödlich getroffen, vor den Augen der entsetzten Zeugen auf der Strasse liegen. Bei diesem Unglücklichen handelte es sich um den Solothurner Peter Julius von Sury (1689-1729), Sprössling einer regimentsfähigen Familie der Aarestadt, Hauptmann in französischen Diensten und Ritter des Ludwigsordens. Das Haus, welches von Sury an diesem verhängnisvollen Herbstsonntag aufgesucht hatte, wurde von Gertrud von Besenval, einer gebürtigen von Sury, bewohnt. Den umstehenden Zeugen des Vorfalls an jenem Sonntag war klar, was sich hier abgespielt hatte. Peter Julius von Sury wollte Gertrud von Besenval um Vergebung bitten. Vergebung für den Tod ihres Sohnes vor sechs Jahren.
Peter Julius von Sury wird vor dem Haus der Mutter von Anton Besenval, Gertrud von Besenval, vom Schlag getroffen. Stich um 1858.
Peter Julius von Sury wird vor dem Haus der Mutter von Anton Besenval, Gertrud von Besenval, vom Schlag getroffen. Stich um 1858. Zentralbibliothek Solothurn

Was war geschehen?

Vor sechs Jahren, am 17. April 1723, wurde der Schultheiss Johann Friedrich von Roll feierlich zu Grabe getragen. Der Sitte folgend versammelten sich Burger und Räte Solothurns gleich nach dem Begräbnis in der städtischen Franziskanerkirche, um einen neuen Schultheiss, das höchste politische Amt des Standes, aus ihrer Mitte zu wählen. Wie es die Gepflogenheit war, wählte man den bisherigen «Stadtvenner» (zweithöchstes Amt mit militärischen und polizeilichen Verwaltungsfunktionen) zum Nachfolger im Schultheissenamt. Somit musste jemand auf den Platz des Stadtvenners nachrücken. Auch hier sollte traditionsgemäss die Person, welche die Funktion des «Seckelmeisters» (Finanzverantwortlicher) ausübte, befördert werden. Hier gab es nun ein Problem, denn das Amt des Seckelmeisters wurde zu diesem Zeitpunkt durch Peter Josef Reinhart bekleidet. Reinhart entstammte einer Familie, die sich erst seit wenigen Jahren in die Ränge der Solothurner Regimentsfamilien emporarbeitete. Vor allem alteingesessene Patrizierfamilien beargwöhnten diese «Emporkömmlinge», welche ihnen die hart umkämpften einflussreichen Ämter des Standes streitig machen würden. Bereits Reinharts Vater verwehrte man den Zugang in die höchsten Ämterwürden. So sollte es auch dem Sohn ergehen. Eine Fraktion um die einflussreiche Familie Besenval stellten sich gegen eine Wahl von Peter Josef Reinhart. Zu dieser Fraktion gehörte auch der junge Gardehauptmann Peter Josef Anton Besenval, Sohn der Gertrud von Besenval, geborene Sury. Im Vorfeld dieser Wahlen hatte sich Anton Besenval mit seinem älteren Freund Peter Julius von Sury darauf verständigt, gegen Reinhart zu stimmen. Als nun aber Peter Josef Reinhart mit einer klaren Mehrheit zum Stadtvenner gewählt wurde, verlangte die opponierende Fraktion, man solle statt einem Venner, gleich deren zwei wählen, in der Hoffnung, ihren Kandidaten in Amt und Würden hieven zu können. Dagegen regte sich Widerstand in der Versammlung. Auch Peter Julius von Sury widersprach diesem Ansinnen und meldete sich zu Wort. Da fuhr ihm der junge Besenval, sich von seinem Freund betrogen fühlend, öffentlich dazwischen:

Dieser könnte wohl schweigen! Er gehöre von Rechts wegen gar nicht hierher und sei es nicht wert, dass er den Degen an der Seite trage.

Verhängnisvoller Ausruf von Anton Besenval im April 1723
Als man nun abstimmte sollte, ob man einen oder zwei Venner wählen sollte, begab sich auch Peter von Sury in der Kirche nach vorne und kam an dem aufgebrachten Anton Besenval vorüber. Dieser fuhr von Sury an, dass er ein «Parteimacher» sei, ein Frontenwechsler. Von Sury wehrte sich gegen den Vorwurf, worauf Anton Besenval zu einer damals ausgesuchten Beleidigung ansetzte:

Du Hundsfott!

Anton Besenval an Peter von Sury. Die Beleidigung bedeutet «ehrenloser Typ», «Feigling».
Das brachte das Fass zum Überlaufen. Sury beklagte diese Beleidigung öffentlich in der Kirche, so dass es alle Anwesenden hören mussten. Besenval doppelte nach und behauptete laut, er sei durch von Sury zuerst der Lüge bezichtigt worden. Obwohl viele Versammelte den heftigen Wortwechsel mitbekommen hatten, wurden diese Beleidigungen nicht weiterverfolgt. In seiner Ehre verletzt, trieb es Peter von Sury aus der Franziskanerkirche ins Freie und er ging beschämt und gekränkt über die neu erbauten Schanzen in Richtung des Bieltores. Der unglückliche Zufall wollte es, dass er dort gegen elf Uhr vormittags wieder auf Anton Besenval traf, der in Begleitung des Malteserritters Johann Leonz von Roll aus der Stadt spazierte.
Die strittige Stadtvennerwahl vom 17. April 1723.
Die strittige Stadtvennerwahl vom 17. April 1723. Dieser Stich entstand 1859, die Kirche ist daher im Zustand nach dem klassizistischen Umbau von 1823/25 dargestellt. Zentralbibliothek Solothurn
Sofort setzten Besenval und Sury ihren Zwist fort. Besenval solle diese Beleidigungen zurückziehen, verlangte von Sury. Kommt gar nicht in Frage, entgegnete der junge Besenval. Der Streit schaukelte sich gefährlich höher und höher. In der heutigen Greibengasse, woran sich damals vor allem Gärten säumten, zog Peter Julius von Sury schliesslich seinen Degen und verlangte Genugtuung im Zweikampf. Auch Anton Besenval zog seine Waffe und beide Kontrahenten entfachten ein hitziges Gefecht. Endlich trat der Malteser von Roll energisch dazwischen und trennte die beiden Streitenden. Der Ehre sei genüge getan, da sich beide wie wahre Kavaliere geschlagen hätten, gab er beiden zu verstehen. Sie sollen nun wieder Frieden schliessen. Da verlangte von Sury, dass von Roll als Zeuge anerkenne, dass er die Degenklinge seines Gegners mit der Hand gefasst und so die Oberhand über Besenval in diesem Kampf gehabt habe. Sury sah sich als Sieger dieses Ehrenhandels. Das brachte Anton Besenval derart in Rage, dass er von Sury erneut heftig und kopflos attackierte. In der Not hob von Sury seinen Degen, so dass sich Anton Besenval gleichsam selbst in die Klinge stürzte. Die Brust durchbohrt, sank Besenval auf die Knie und wurde durch seinen Begleiter von Roll aufgefangen. Peter Julius von Sury, selbst von dem tödlichen Ausgang überrascht, setzte sich in Richtung der Stadt ab, wo man ihn kurz vor Mittag blutbesudelt davonrennen sah.
Kurz nach dem Duell
Kurz nach dem Duell: Rechts der sterbende Peter Josef Anton Besenval, dem ein Mönch die Sterbesakramente verabfolgt. Links steht Peter Julius von Sury als Sieger. Auch dieser Stich entstand 1859, mehr als hundert Jahre nach dem Ereignis, entsprechend fantasievoll ist die Interpretation der Geschehnisse. Zentralbibliothek Solothurn
Der Malteserritter von Roll schleifte den sterbenden Besenval in einen Garten und liess herbeigelaufene Anwohner Hilfe im nahen Kapuzinerkloster holen. Der Krankenwärter des Klosters erschien kurz darauf in der Greiben. Jedoch kam medizinische Hilfe zu spät. Besenval hatte bereits zu viel Blut verloren und war so geschwächt, dass er nicht mehr sprechen konnte. Als Zeichen, dass er seine Taten bereute, drückte Besenval dem Pater schwach die Hand. Dieser sprach ihn von Sünde frei und verabreichte die letzte Ölung. Dann hauchte Peter Josef Anton Besenval, 25-jährig, sein Leben aus. Seinen Leichnam trug man ins Kapuzinerkloster. Die Nachricht vom tödlichen Streit machte blitzschnell die Runde. Noch am selben Nachmittag befahl der Solothurner Rat, sofort Erkundigungen einzuziehen und sämtliche Involvierte in Arrest zu legen. Um 15 Uhr war der Rat bereits in Kenntnis gesetzt worden, dass sich Peter Julius von Sury dem Gesetz durch Flucht entzogen hatte. Die strengen Verbote Solothurns zur Unterbindung von Duellen oder Ehrenkämpfen konnte auch zur Folge haben, dass im Zweikampf Getöteten die letzte Ruhe in geweihter Erde bis nach erfolgten Untersuchungen versagt werden konnte. Als der Rat jedoch erfahren hatte, dass Anton Besenval vor seinem Ableben Reue gezeigt und die Sterbesakramente erhalten habe, gab man der Familie den Toten für eine christliche Bestattung frei. Der tote Besenval wurde jedoch, bevor der Entschluss des Rates bekannt war, heimlich aus dem Kapuzinerkloster abtransportiert und in einem Wäldchen nahe des Familienschlosses der Besenval, dem Schloss Waldegg, versteckt und bewacht. So sollte die Leiche entehrenden Prozessen und Untersuchungen der Obrigkeit entzogen und näher zu seiner Familie gebracht werden. Zwei Tage später wurde der Leichnam Peter Josef Anton Besenvals vom Familiengrundstück zur nahen Pfarrkirche St. Niklaus gebracht und dort zur letzten Ruhe gebettet. Gertrud von Besenval, die untröstliche Mutter des jungen Verstorbenen, gab ihm ebenfalls das Totengeleit, wie es die schwer geprüfte Frau bereits für ihren Mann und drei weitere Söhne tun musste. Als ihr während des Trauerzuges Gerüchte zu Ohren kamen, dass sich im Sarg nicht die Leiche ihres Sohnes befinden soll, verlangte sie vor der Bestattung, dass der Sarg geöffnet werde. Als sie jedoch ihres toten Kindes gewahr wurde, fiel sie vor der Trauergemeinde über den Leichnam hin und drückte ihren Sohn zum letzten Mal an ihr Herz.
Das Schloss Waldegg, Familiensitz der Besenvals, um 1780.
Das Schloss Waldegg, Familiensitz der Besenvals, um 1780. Zentralbibliothek Solothurn

Verbannt nach St. Gallen

Peter Julius von Sury gelang die Flucht aus Solothurn und er wurde in Abwesenheit zu zwanzig Jahren Verbannung verurteilt. Die Intervention seiner Familie und Freunde bewirkte jedoch, dass der Solothurner Rat die Verbannung auf sechs Jahre reduzierte. Sein Exil verbrachte Peter von Sury am Hof des Fürstabts von St. Gallen, kehrte wieder nach Hause zurück, um kurz darauf auf der Türschwelle der unglückseligen Gertud von Besenval sein Leben zu lassen. Ein steinernes Bildkreuz in der Solothurner Greibengasse erinnert heute noch an den Ort des Zweikampfs. Ein im Kreuz einstmals eingelassenes, kleines Bildchen zeigte die «Mater Dolorosa», Maria als Schmerzensmutter, das Herz von sieben Klingen durchbohrt. Darunter, zwischen den Wappenschilden der Familien Besenval und Sury stand in Latein geschrieben: «In Erinnerung an den 17. April 1723».
Erinnerungskreuz für das Duell von 1723 in der Greiben, nahe der Solothurner Altstadt.
Erinnerungskreuz für das Duell von 1723 in der Greiben, nahe der Solothurner Altstadt. Foto: Nicole Hänni

Weitere Beiträge