Athanasius Tschopp hat den Vorgänger des Faxgeräts erfunden. Lithografie um 1840. Mit KI koloriert.
Athanasius Tschopp hat den Vorgänger des Faxgeräts erfunden. Lithografie um 1840. Mit KI koloriert. Zentralbibliothek Zürich

Der Erfinder in der Benediktinerkutte

Pater Athanasius Tschopp (1803–1882) war Klosterbruder in Einsiedeln, aber auch ein physikalischer Pfiffikus. Neben dem Ordensalltag fand er immer wieder Zeit, bahnbrechende Entdeckungen zu machen – nebst vielem anderen erfand er den Vorgänger des Faxgeräts.

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw ist promovierter Historiker, Bühnenpoet und Schriftsteller. Er veröffentlicht regelmässig historische Bücher.

Als am 10. April 1803 auf einem Bauernhof im luzernischen Knutwil ein Knäblein zur Welt kam, dachte wohl niemand an das abenteuerliche Leben, welches der kleine Jakob Kaspar Tschopp haben würde. Regina und Kaspar Tschopp-Felber schickten ihren Sohn an die Klosterschule nach Einsiedeln; schon im Alter von 17 Jahren entschied dieser sich zum Eintritt ins Kloster. Sechs Jahre später wurde Jakob Kaspar Tschopp, der jetzt Pater Athanasius hiess, zum Priester geweiht. Dieser Pater unterrichtete Physik an der Klosterschule und begründete das physikalische Kabinett, eine Art Erfinderlabor. Wer nun glaubt, der Pater habe sich nur der modernen Wissenschaft zugewandt, täuscht sich. Denn er war gleichzeitig auch Dozent für Theologie und arbeitete an der Basis als Katechet in der Pfarrei Einsiedeln. Nacheinander wirkte der technisch begabte Athanasius als Fraterinstruktor, Subprior und Dekan von Einsiedeln (1846–1855). Aber Pater Athanasius tat sich noch weiter hervor: Er konstruierte 1823, als 20-Jähriger, ein neues Blasinstrument und nannte es Ventilhorn. Im Alter von 32 Jahren erfand er den sogenannten Konotomographen, ein Instrument zum Zeichnen von Ellipsen, Parabeln und Hyperbeln. Damit konnte der physikalische Pfiffikus parabolische Hohlspiegel möglichst genau und leicht herstellen.
Athanasius Tschopp: weit mehr als nur ein betender Pater.
Athanasius Tschopp: weit mehr als nur ein betender Pater. Klosterarchiv Einsiedeln
Dann erfand der Pater um 1840 auch noch den elektromagnetischen «Copirtelegraphenapparat», den Vorläufer der Faxgeräte. Dieser Apparat, auch «Typotelegraph» genannt, erstellte auf Anweisung von Tschopp der Einsiedler Mechaniker Meinrad Theiler – auf den wir später nochmals zu sprechen kommen. Das Kernstück des Typotelegrafen war eine Walze, auf welcher sich eine Nachricht mit Farbe schreiben liess. Eine elektrische Nadel tastete die drehende Walze ab und übertrug die Nachricht als elektrisches Signal auf das Empfangsgerät. Dieses erstellte mit einer Schreibfeder auf der mit Papier umwickelten Walze die Kopie der Botschaft. Heureka! Der Pater hatte eine Art Ur-Faxgerät erfunden.
Technische Zeichnungen von Tschopps «Copirtelegraphenapparat»: Die Nachrichten wurden via Walze übermittelt.
Technische Zeichnungen von Tschopps «Copirtelegraphenapparat»: Die Nachrichten wurden via Walze übermittelt. Technische Mitteilungen der Schweizerischen Telegraphen- und Telephonverwaltung, 1942
Athanasius ahnte wohl, welche Sprengkraft seine Erfindung haben könnte, zumal die Menschen damals nur mündlich oder per Briefpost kommunizieren konnten. Als Geistlicher war er überdies mit einer zumindest teilweise kritischen Haltung der katholischen Kirche gegenüber Technik und technischem Fortschritt konfrontiert: Ein deutscher Pfarrer bezeichnete die Eisenbahn als «Teufelsding», Elektrizität galt als «Teufel in den Drähten». Um den Vorurteilen entgegenzuwirken, wandte sich der Pater offiziell an die Bundesbehörden in Bern, als es um die Einführung des Telegrafenwesens in der Schweiz ging. Auch der Regierungsrat des Kantons Schwyz unterstützte den innovativen Pater und empfahl dem «hohen Bundesrat» die Erfindung von Athanasius Tschopp. Doch der Bundesrat lehnte die Einführung des neuen Systems ab, auch wenn er die grosse Leistung von Tschopp und Theiler anerkannte. Aus dem bundesrätlichen Schreiben geht hervor, dass die Erfindung, auf die sich Tschopp und Theiler beriefen, als zu kompliziert galt. Der Bundesrat war der Ansicht, dass die Bedienung nicht durch Telegrafisten, sondern durch Mechaniker erfolgen müsse, die in der Lage seien, den Apparat wieder in Gang zu setzen, wenn er ausfalle, was häufig der Fall sei. Als in der Folge das eidgenössische Post- und Baudepartement eine erste Telegrafenwerkstatt einrichtete, suchte man zwei geeignete Werkmeister. Meinrad Theiler aus Einsiedeln, der Mechaniker von Pater Athanasius, bewarb sich für die Stelle als «Chef der Telegraphenwerkstätte» in Bern; damit wäre des Paters Werk doch noch in Bern angekommen. Doch Theilers Bewerbung fand keine Berücksichtigung. Stattdessen bot man ihm eine etwas entwürdigende Stelle als «Batterieputzer» an, die er dankend ablehnte.
Ein früher Telefonapparat aus der Werkstatt Theiler: Heute in London ausgestellt.
Ein früher Telefonapparat aus der Werkstatt Theiler: Heute in London ausgestellt. Science Museum, London
Doch Theiler liess sich nicht unterkriegen und suchte weiter nach Abnehmern für den bereits weiterentwickelten Typotelegrafen und reiste dafür nach Paris und London. Dort hatte er mehr Erfolg. Im Juni 1854 konnte er in London sein erstes Patent für «improvements in printing telegraphs» anmelden. Und der Typotelegraf kam flächendeckend zum Einsatz: nämlich als Börsentelegraf zur Übermittlung von Börsenkursen. Auch der abenteuerlustige Pater hielt es nicht mehr in der Heimat aus. Er bestieg den Atlantikdampfer und reiste nach Amerika. Dort leitete er als Prior das Einsiedler Tochterkloster in Saint Meinrad im US-Bundesstaat Indiana. Das Duo Theiler-Tschopp erfuhr schliesslich doch noch Wertschätzung in der Schweiz. An der III. Schweizerischen Gewerbeausstellung 1857 in Bern wurde ihr Typotelegraf mit der Bronzemedaille ausgezeichnet. Theiler war damals in London, Tschopp in Amerika. Wenig später zogen beide aus gesundheitlichen Gründen zurück in die Schweiz. Theiler bewarb sich nochmals bei der Eidgenössischen Telegrafenwerkstätte; trotz seiner internationalen Erfahrung versagte man ihm die Anstellung als Adjunkt. Deshalb zog er wieder nach London und gründete dort die Firma «M. Theiler & Sons, Telegraph Engineers». 1873 starb er dort. Einer der im Firmennamen erwähnten Söhne, Richard Theiler, gründete später das Electrotechnische Institut Theiler, die Vorgängerfirma der Landis+Gyr in Zug.
Der Pater sitzend mit zwei Mitbrüdern.
Der Pater sitzend mit zwei Mitbrüdern. Universität Basel
Pater Athanasius verabschiedete sich von der Physik und wirkte als Seelsorger und Bauherr des Benediktinerinnenklosters Einsiedeln. Im nahen Frauenkloster in der Au in Trachslau (SZ) nahm er die Funktion des Beichtvaters und Kaplans ein und fungierte dabei als eine Art Klostermanager und Aussenminister. Sein weltgewandter Geist half, den Kontakt zur österreichischen Kaiserin Elisabeth zu festigen. Sisi hatte sich nach dem Tod ihrer Tochter spirituelle Hilfe im Kloster geholt und war seither mit den Benediktinerinnen aus Au eng verbunden. Der Pater «dachte an alles», wie es in einer Klosterschrift heisst. So entwarf Tschopp neue Muster für die Klosterweberei, gestaltete Zeichnungen und Vorlagen für die Stickerei, half beim kunstgewerblichen Fassen der Reliquien, erstellte neue Verzeichnisse des Besitzes und vor allem der Einkünfte des Klosters. Zudem fand er noch die Musse, als Autor in die Annalen einzugehen. Er verfasste Wallfahrtstraktate, religiöse Volksschriften sowie eine «Schweizergeschichte für Schulen». 1882 starb er im Alter von 79 Jahren in Einsiedeln, das Nidwaldner Volksblatt nannte ihn einen «genialen Erfinder» – dessen Erfindungen allerdings verschmäht wurden.

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