Plakat zur Eröffnung des Neubaus des Warenhauses Loeb 1929 (Ausschnitt).
Plakat zur Eröffnung des Neubaus des Warenhauses Loeb 1929 (Ausschnitt). Schweizerisches Nationalmuseum

Die Schaufens­ter des Berner Warenhau­ses Loeb

Der Loeb-Egge bleibt Berns bekanntester Treffpunkt – auch wenn dort seit 2007 kein Telefon mehr steht, auf das man anrufen kann, um seine Verspätung zu melden. Geblieben sind auch die bunten Schaufenster des Warenhauses Loeb, welche die Wartezeit verkürzen können.

Nadja Ackermann

Nadja Ackermann

Nadja Ackermann ist als wissenschaftliche Archivarin für die Firmenarchive in der Burgerbibliothek Bern zuständig.

Die industrielle Revolution brachte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa eine neue soziale Schicht hervor: die «Bourgeoisie». Diese konnte es sich mit zunehmendem Wohlstand leisten, über das Notdürftigste hinaus Geld auszugeben. Als sichtbares Zeichen dieses einsetzenden modernen Massenkonsums gilt das Aufkommen der Warenhäuser. Mit ihrer Idee, Konsumgüter aus aller Welt unter einem Dach zu vereinen, schufen sie die von Victor Hugo so genannten Cathédrales du commerce moderne. Zunächst in Grossstädten wie Paris und London entstanden, führten die Kaufhäuser zu einer Umwälzung des bisher von kleinen Geschäften dominierten Detailhandels. Sie revolutionierten die Verkaufsmethoden, indem sie fixe Preise und das Rückgaberecht der Ware einführten. Zugleich bewarben Kaufhäuser ihr Angebot mittels Reklame und inszenierten es in Schaufenstern. Obgleich schon anfangs des 18. Jahrhunderts in Bauplänen von Ladenlokalen eingezeichnet, glichen Schaufenster anfangs primär vollgestopften Warenlagern oder sie dienten als Lichtquelle in die oft finsteren, da korridorähnlichen Geschäfte. Erst in den 1920er-Jahren wurde die Schaufenstergestaltung als Möglichkeit zur Verkaufsförderung entdeckt. Die Auflösung der Fassaden, eine Beschränkung auf sehr schmale stützende Elemente, wie auch die Herstellung von sprossenlosen, grossen Glasflächen stellten im Zeitalter der Industrie keine Hürden mehr dar. Damit konnten auch in den oberen Etagen Waren präsentiert werden – so auch im Berner Warenhaus Loeb.

Geschich­te des Warenhau­ses Loeb in Bern

Seit 1867 bot David Loeb aus Freiburg im Breisgau in Bern Wolle, Faden und diverse weitere Artikel an. 1881 gründete er mit seinen Brüdern an der Spitalgasse ein Verkaufsgeschäft, das er 1891 zusammen mit seiner Frau Fanny übernahm. 1899 erweiterten sie das Geschäft zum ersten modernen Warenhaus in Bern. Loeb kannte die internationalen Trends im Warenhausbau, sowohl was die neuen Organisationsformen als auch was die Architektur betraf. So bot nicht nur das Ladeninnere von Loeb mit seiner über drei Geschosse von Gasse zu Gasse durchgehenden Verkaufsfläche und vielen neuen Waren Neues für Bern. Von aussen war das Warenhaus ebenfalls ungewöhnlich: Die Schaufenster erstreckten sich in der Spitalgasse über das erste und zweite Obergeschoss und beschränkten sich nicht mehr auf die Laubenzone. Allerdings stiess die neue Fassade in Bern auf heftig ablehnende Reaktionen und wurde spitzzüngig «Zahnlücke» genannt. Beim nächsten Erweiterungsbau 1913 entschied sich Loeb daher wieder für jene der Neurenaissance verpflichtete Gestaltung, die heute noch das Bild der Spitalgasse prägt.
Spitalgasse mit dem Warenhaus Loeb, der sogenannten «Zahnlücke», zwischen 1905 und 1910. Gut zu sehen ist die mehrstöckige Schaufensterfront.
Spitalgasse mit dem Warenhaus Loeb, der sogenannten «Zahnlücke», zwischen 1905 und 1910. Gut zu sehen ist die mehrstöckige Schaufensterfront. Burgerbibliothek Bern
Das Warenhaus Loeb nach der Neugestaltung von 1913. Die kontroverse Schaufensterfront wurde zurückgebaut.
Das Warenhaus Loeb nach der Neugestaltung von 1913. Die kontroverse Schaufensterfront wurde zurückgebaut. Burgerbibliothek Bern

Die Schaufens­ter des Warenhau­ses Loeb im 20. Jahrhundert

Doch selbst in ihrem reduzierten Umfang blieben die Loeb-Schaufenster in den Lauben ein Publikumsmagnet. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erwarb sich deren Gestaltung einen legendären Ruf, der auch in der Presse widerhallte. Der Kurator Harald Szeemann adelte das Warenhaus Loeb gar zum «Schaufensterprinzen» und 1982 durfte das Loeb-Schaufensterteam den Kulturpreis des Kantons Bern entgegennehmen.
Schon in den 1940er-Jahren waren die Loeb-Schaufenster eine Besonderheit. Hier mit Damenmode, 1940… Schweizerisches Nationalmuseum
Schallplatten im Loeb-Schaufenster, 1940.
…oder Schallplatten, 1940. Schweizerisches Nationalmuseum
Von 1960 bis 1993 hatte die inszenierte Warenwelt bei Loeb einen Schöpfer: Peter Knuchel (1928–2012). Knuchel gestaltete in diesen 30 Jahren neben klassischen Schaufenstern mit Verkaufsware zahlreiche Ausstellungen zu kulturellen wie auch politischen Themen. 1975 etwa waren mit «Die ganze Welt ist eine Bühne» Schaufenster zur Geschichte des Theaters zu sehen, an deren Erfolg zwei Jahre später die Schaufenster über die Geschichte des Films anknüpften. Im selben Jahr wurden in den Loeb-Fenstern die sieben Bundesräte vorgestellt.
Schaufenster «Die sieben Bundesräte», 1975.
Schaufenster «Die sieben Bundesräte», 1975. Peter Knuchel
Immer wieder kooperierte Knuchel mit externen Akteurinnen und Akteuren, 1969 beispielsweise mit Berner Kunstschaffenden und 1971 mit prominenten Bernerinnen wie Liselotte Pulver und Ursula Andress. Auch Geschichte wurde thematisiert: Für die Ausstellung «Schaufenster im Wandel der Zeit» inklusive Blick in die Zukunft wurden 1972 in einer Nacht drei über 200 Kilo schwere und sechs Meter lange Schaufensterpuppen über dem Loeb-Egge aufgestellt.
«Schaufenster im Wandel der Zeit», 1972.
«Schaufenster im Wandel der Zeit», 1972.   Peter Knuchel
Regelmässig wurde die Bevölkerung in die Schaufenstergestaltung miteinbezogen. So wurde 1979 durch ganzseitige Inserate mit Anmeldetalon bekanntgemacht, dass Loeb während einer Woche gratis Estriche und Keller räume. Mit der abgeholten Ware wurden die Vitrinen «…Estrich und Keller im Loeb» gestaltet. Im Folgejahr startete Loeb die Sammelaktion «Dr Loeb sammlet für e Tierpark Dählhölzli». Nach der zehntätigen Ausstellung in den Schaufenstern konnte das Warenhaus dem Tierpark dank Direktverkauf des gesammelten Altmaterials einen Check über den Betrag von 16’850 Franken überweisen.
Schaufenster «Dr Loeb sammlet für e Tierpark Dählhölzli», 1980.
Schaufenster «Dr Loeb sammlet für e Tierpark Dählhölzli», 1980. Peter Knuchel
Titelbild Loeb Katalog, Sommer 1951
Burgerbibliothek Bern
Für die Gestaltung von Plakaten und der Katalogtitelseiten engagierte das Warenhaus Loeb Künstler wie Emil Cardinaux, Alois Carigiet, Franco Barberis, Herbert Leupin, Donald Brun oder Hans Thöni. Die Kataloge von 1902 bis 1977 sind bei der Burgerbibliothek digital zugänglich.

Von national zu interna­tio­nal: Die Loeb-Schaufens­ter als Blick in die Ferne

1917 riefen patriotische Kreise zur ersten «Schweizerwoche» auf. Um vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs das nationale Verantwortungsbewusstsein der Konsumentinnen zu wecken, schmückten verschiedene Geschäfte fortan zwei Wochen im Jahr ihre Schaufenster mit einheimischer Ware. Zum 50. Jubiläum dieser Aktion gestaltete Loeb 1967 die Schaufenster «50 Jahre Schweizer Woche», während tüchtige Spezialisten aus allen Landesteilen in verschiedenen Abteilungen die Herstellung oder Verwendung ihrer Produkte vorführten. Schaufenster waren aber nicht nur Vitrine für Patriotismus und später für die Geistige Landesverteidigung. Immer wieder liess Loeb die Passanten von der Ferne träumen. Die Schaufenster waren nämlich wichtiger Bestandteil der Loeb-Länderwochen, von denen es im Schnitt zwei pro Jahr gab und an denen oftmals auch die Botschafter der Gastländer anwesend waren. So vermittelten etwa die Schaufenster und die Verkaufsladenstrasse 1967 im Rahmen der Aktion «Britain at Loeb» einen Hauch von Grossbritannien, während Bobbies den Verkehr regelten und ein Dudelsackspieler am Loeb-Egge die Passanten unterhielt.
«Bobbies» regeln den damals regen Verkehr vor dem «Loeb-Egge». Aktion im Rahmen von «Britain at Loeb», 1967.
«Bobbies» regeln den damals regen Verkehr vor dem «Loeb-Egge». Aktion im Rahmen von «Britain at Loeb», 1967. Peter Knuchel
«Britain at Loeb», Lichtinstallation an der Fassade, 1967.
«Britain at Loeb», Lichtinstallation an der Fassade, 1967. Peter Knuchel
Noch im selben Jahr gab die Länderwoche Einblicke in die finnische Kultur und insbesondere deren nordisches Design. Mit der Zeit schweiften die Blicke weiter in die Ferne: 1986 war zum Beispiel Mexiko zu Gast bei Loeb und 1988 wurde brasilianische Flair vermittelt. Dieses Schnuppern von Ferienluft hatte einen kommerziellen Hintergedanken: Die Kundschaft sollte nicht zuletzt auf neue Ferienideen kommen, konnten sich doch in der Nachkriegszeit immer mehr Menschen leisten, in den Urlaub zu verreisen. Für diesen konnten sie praktischerweise direkt im Loeb Informationen bei den Tourismusorganisationen des jeweiligen Gastlandes erhalten. Und falls das Geld doch (noch) nicht reichen sollte: Das Träumen vor den Schaufenstern beim Warten am Loeb-Egge war weiterhin umsonst.

Konsum­wel­ten. Alltäg­li­ches im Fokus

20.12.2024 21.04.2025 / Landesmuseum Zürich
Ob an Märkten, im Warenhaus oder online: Wo und wie wir einkaufen, hat sich in den letzten 170 Jahren stark verändert. Und auch das Konsumieren selbst befindet sich in ständigem Wandel. Die Ausstellung schöpft aus den Foto- und Grafikbeständen der Sammlung des Schweizerischen Nationalmuseums und zeigt eine vielschichtige und abwechslungsreiche Bildwelt mitten aus dem Alltag.

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