
Der kopflose Reiter
1897 in Benin geraubt, gelangte eine rund 400 bis 500 Jahre alte kopflose Reiterfigur über den Sammler Han Coray in die Schweiz. Nach dessen Konkurs erwarb die Universität Zürich die Figur und versuchte, dem Reiter einen passenden Kopf aufzusetzen. Doch was zunächst als passend schien, tut dies in Wirklichkeit nicht.
Doch hinter der Schönheit dieser Stücke verbirgt sich eine dunklere Geschichte von Kolonialkrieg, Plünderung und Enteignung. Im Jahr 1897 griff das britische Militär das Königreich Benin im heutigen Nigeria an, brannte die Stadt Benin-City nieder, schickte den König in Exil und plünderte schätzungsweise 10’000 Objekte. Kultureinrichtungen, in deren Besitz sich diese Objekte heute befinden, setzen sich nun mit der gewaltsamen Geschichte ihrer Aneignung und entsprechender Rückgabeforderungen auseinander.
Die Reise eines bronzenen Reiters aus dem 16. Jahrhundert, bewahrt im Völkerkundemuseum der Universität Zürich, veranschaulicht aktuelle Versuche, mit umstrittenen kolonialen Sammlungen umzugehen. Am Reiter zeigt sich exemplarisch, wie das Kulturerbe Benins zerstreut wurde, und wie die Provenienzforschung dies heute zurückverfolgt.



Dorrie Stoops Vater, Adriaan Stoop, war ein Bergbauingenieur, der durch koloniale Erdölkonzessionen in Niederländisch-Ostindien, im heutigen Indonesien, zu Vermögen gekommen war. 1886 ging Stoop mit seinem Erdölunternehmen an die Börse und erwirtschaftete mit Bargeld und Aktien den Gegenwert von heute 180 Millionen Schweizer Franken. 1911 fusionierte das Unternehmen mit dem Öl- und Gaskonzern Shell.
Mit dem Geld aus der kolonialen Förderung von Bodenschätzen finanzierte das Paar seinen ausschweifenden Lebensstil in Zürich. Als Hochzeitsgeschenk schenkten Dorrie Stoops Eltern ihnen eine Villa in Erlenbach, die ihre wachsende Kunstsammlung bald in ein Privatmuseum verwandelte. Nach dem Suizid von Dorrie Stoop im Jahr 1928 versiegte die Familienbeihilfe, und Han Coray musste bald darauf Konkurs anmelden.
Als Folge des Konkurses wurde der Reiter, zusammen mit Corays übriger aussereuropäischen Sammlung, von der Schweizerischen Volksbank (später Credit Suisse) beschlagnahmt. Die Mitarbeiter/innen der Sammlung für Völkerkunde der Universität Zürich wurden von der Bank beauftragt, die Objekte für den Verkauf zu begutachten. 1940 stimmte die Bank dem Verkauf von 468 Objekten an die Universität Zürich zu. Der Direktor der Sammlung, Hans Jakob Wehrli, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Elsy Leuzinger (spätere Direktorin des Museums Rietberg in Zürich) organisierten den Verkauf der restlichen Stücke an verschiedene Schweizer Museen und private Sammler. Mehrere der heute im Kulturmuseum St. Gallen und im Museum Rietberg ausgestellten Benin-Bronzen stammen aus dieser Transaktion.


