Buchser und Amerika, das schien zu passen. In «Old Virginia» stellte er die idyllische Seite des Landes dar.
Buchser und Amerika, das schien zu passen. In «Old Virginia» stellte er die idyllische Seite des Landes dar. Wikimedia

Ein Schweizer Maler für Amerika

Frank Buchser gehört zu den schillerndsten Figuren der Schweizer Kunst des 19. Jahrhunderts. Etliche seiner Werke entstanden während seines mehrjährigen Aufenthalts in den Vereinigten Staaten.

Barbara Basting

Barbara Basting

Barbara Basting war als Kulturredaktorin tätig und leitet derzeit das Ressort Bildende Kunst in der Kulturabteilung der Stadt Zürich.

Anders als Albert Anker, Arnold Böcklin oder gar Ferdinand Hodler zählt Frank Buchser nicht mehr zu den bekannten Schweizer Künstlern seiner Zeit. Dabei war er ein virtuoser Maler, und seine Biografie ist romanreif. Buchser wurde 1828 im solothurnischen Feldbrunnen geboren, wo er 1890 auch verstarb. Allerdings war der zum Klavier- und Orgelbauer ausgebildete, aus einfachen Verhältnissen stammende Buchser keineswegs häuslich. Seine Neugierde und Abenteuerlust brachten ihn zuerst nach Italien, wo er unter anderem als Schweizergardist beim Vatikan diente. Nebenbei setzte er an der Römer Accademia di San Luca seine künstlerische Ausbildung fort, die er in der Schweiz als Zeichenschüler des Berner Künstlers Heinrich von Arx begonnen hatte.
Selbstbildnis des jungen Frank Buchser, 1852.
Selbstbildnis des jungen Frank Buchser, 1852. Foto: SIK-ISEA, Zürich
Als nächstes standen zu Ausbildungszwecken Paris und Antwerpen auf dem Programm. Auch in Spanien und England hielt Buchser sich länger auf. Für die Weltausstellung in London 1862 war er der Kommissär für die Präsentation der Schweizer Kunst. Auch später engagierte er sich kunst- und kulturpolitisch als Mitbegründer der einflussreichen schweizerischen Künstlervereinigung GSMBA und erfolgreicher Lobbyist für eine staatliche Kunstförderung durch die Eidgenossenschaft. Einige seiner eindrücklichsten Werke wurden durch seine Marokkoreisen inspiriert, wo er sogar in die für Ausländer verbotene Stadt Fès gelangte.
Frank Buchsers «Markt von Tanger» aus dem Jahr 1880.
Frank Buchsers «Markt von Tanger» aus dem Jahr 1880. Wikimedia / Kunstmuseum Solothurn / Gottfried Keller-Stiftung
Besonders ergiebig für sein Schaffen war Buchsers mehrjähriger Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zwischen 1866 und 1871. Dorthin war er zunächst mit einem Auftrag des Bundesrats gereist. Für den 1848 gegründeten schweizerischen Bundesstaat war die noch junge amerikanische Demokratie ein Vorbild, die viel beschworene Sister Republic. Im Bürgerkrieg 1861-65 unterstützte man vor allem die schliesslich siegreiche Union der Nordstaaten und begeisterte sich für Präsident Abraham Lincoln. Der Ständerat schlug daher nach dem Ende des Bürgerkriegs 1865 ein umfangreiches Dekorationsprogramm fürs Bundeshaus in Bern vor, das dieser Verbundenheit Ausdruck verleihen sollte. Der Nationalrat lehnte das 1866 zwar ab. Doch da waren einige Mitglieder der radikalliberalen Partei unter Führung des damaligen Bundesrats und mehrfachen Bundespräsidenten Jakob Dubs schon vorgeprescht und hatten dem von ihnen auserkorenen Frank Buchser den Auftrag für ein repräsentatives Gemälde erteilt, Arbeitstitel: «Die Retter der Union». Es sollte die siegreichen Vertreter der amerikanischen Demokratie darstellen – einzeln oder in einer geeigneten Szene vereint.
Buchser reiste mit Empfehlungsschreiben nach Washington, wurde mit offenen Armen empfangen und hatte kurzzeitig sogar ein Atelier im Kapitol. Doch als erstes malte er keinen amerikanischen Helden, sondern den legendären Schweizer Auswanderer Johann August Sutter, der sich zufällig gerade in Washington aufhielt. Auf Sutters Ländereien in Sacramento (Kalifornien) war Gold gefunden worden. Das führte in der Folge zu seiner Teil-Enteignung, gegen die er sich in Washington zu wehren versuchte. Mit der Zeit konnte Buchser auch den US-Präsidenten Andrew Johnson (der nach Abraham Lincolns Ermordung 1865 als Vize nachrückte) und den Aussenminister William Seward porträtieren.
Der amerikanische Präsident Andrew Johnson, gemalt von Frank Buchser, 1866.
Der amerikanische Präsident Andrew Johnson, gemalt von Frank Buchser, 1866. Kunstmuseum Basel
Auch an die Generäle Sherman und Robert E. Lee kam er heran. Lee, der ja gerade nicht zu den «Rettern der Union», sondern zur Gegenseite der Föderierten gehörte, hatte Buchser in der Absicht gewonnen, mit dem vollendeten Porträt dann auch dessen siegreichen Gegenspieler Ulysses S. Grant zu ködern. Der jedoch fand trotz freundlicher Begegnungen bis zuletzt keine Musse, um Buchser Modell zu sitzen. Das war ein erstes Hindernis für Buchsers Idee, Lee und Grant für seine Berner Auftraggeber in ein Historiengemälde der Unterzeichnung der Kapitulation im Appomattox Court House in Virginia zu integrieren. Das Werk blieb im Entwurfsstadium stecken.
Buchsers Entwurf eines Wandbildes für das Bundesratshaus in Bern, 1869. Der Maler wollte die Kapitulation von General Robert E. Lee, welche 1865 in Virginia stattgefunden hatte, festhalten.
Buchsers Entwurf eines Wandbildes für das Bundesratshaus in Bern, 1869. Der Maler wollte die Kapitulation von General Robert E. Lee, welche 1865 in Virginia stattgefunden hatte, festhalten. Kunstmuseum Basel
Mit Lee hat Buchser ausgerechnet jenen General verewigt, der inzwischen in den USA aufgrund seiner Rolle als Sklavenhalter und Anführer der Konföderierten kompromittiert ist. So wurden im Gefolge der Black Lives Matters-Bürgerrechtsbewegung 2020 einzelne seiner in den Südstaaten verbreiteten Denkmäler gestürzt und zahlreiche weitere entfernt, darunter auch eine Statue von ihm im US-Kapitol. Buchser hingegen nahm Lee, wie das Porträt und auch seine Notizen über die die Begegnungen mit Lee belegen, positiv wahr. Sein Porträt ist das letzte von Lee, der wenig später starb.
General Robert E. Lee, 1869 gemalt von Frank Buchser.
General Robert E. Lee, 1869 gemalt von Frank Buchser. Archiv der Kunstsammlungen des Bundes
Buchsers ursprüngliches künstlerisches Vorhaben eines Gruppenbildes der «Helden des Bürgerkriegs» scheiterte aber nicht nur an Ulysses S. Grant und an der bröckelnden Unterstützung aus der Schweiz wegen der Absage des Kunstprogramms fürs Bundeshaus durch den Nationalrat 1866. Die vertieften Einblicke des sprachgewandten, kommunikationsfreudigen Künstlers in die amerikanischen Verhältnisse vermittelten ihm eine nüchternere Perspektive auf die aus der fernen Schweiz idealisierten Politiker. «Ich komme zu der Überzeugung, dass wenn die amerikanischen Staatsmänner von den letzten fünfzehn Jahren halb so kluge und nur halb so ehrlich und fähig gewesen wären, wie die Soldaten, das heisst die Generäle Grant, Lee, Sherman, etc., so wäre der Krieg niemals angefangen worden (…).» Buchsers Aufzeichnungen wie auch die erhaltenen Briefe an Bundesrat Dubs belegen, dass er nicht nur als Künstler reiste, sondern auch als Schattendiplomat und aufmerksamer Beobachter. Aus heutiger Sicht mindestens so interessant wie seine Porträts heute höchst umstrittener amerikanischer Politiker sind neben Frank Buchsers Landschaftsdarstellungen seine sozial- und zivilisationskritisch inspirierten Szenen aus dem Leben der Schwarzen und der indigenen Bevölkerung («Indianer»).
Gestatten, Frank Buchser, Maler, Künstler, Beobachter und Freund von Bundesrat Dubs. Fotoporträt aus den 1850er-Jahren.
Gestatten, Frank Buchser, Maler, Künstler, Beobachter und Freund von Bundesrat Dubs. Fotoporträt aus den 1850er-Jahren. Kunstmuseum Basel
Zu den besonders eindrücklichen Beispielen zählt sein grossformatiges, in der Tradition der französischen Salonkunst stehendes Gemälde «The Song of Mary Blane». Ein fescher Schwarzer Musikant fesselt seine ebenfalls Schwarze Zuhörerschaft. Uns hingegen, die wir zufällig auf das kleine Grüppchen stossen, scheint Buchser vor allem ein Kostümfest zu präsentieren. Zu der wie für ein Sommerfest herausgeputzten jungen Frau rechts, deren prächtig hindrapiertes Blümchenkleid an Monet erinnert, bildet der breitbeinig in die Bildmitte gefläzte Schwarze in Lumpen den denkbar grössten Kontrast. Das restliche Personal deutet ebenfalls auf eher dürftige Verhältnisse hin.
«The Song of Mary Blane» entstand 1880.
«The Song of Mary Blane» entstand 1880. Wikimedia / Kunstmuseum Solothurn / Gottfried Keller-Stiftung
Doch was steckt sonst noch hinter dieser Szenerie, die sich als realistisches Sittenbild ausgibt? Die selbstbewusste Signatur auf dem Fass hilft zunächst weiter: «Frank Buchser, Charlottesville, Va. 1870». In dem Ort im US-Gliedstaat Virginia hielt sich der Maler länger auf und konnte die ernüchternden Folgen des Bürgerkriegs aus nächster Nähe beobachten. Viele der nun befreiten Schwarzen waren wirtschaftlich von den Gutsherren abhängig gewesen. Sofern sie sich nicht weiterhin mit den Grundbesitzern arrangierten, die oft selber durch die Kriegswirren verarmt waren, oder sich in den aufstrebenden Industriezonen der Union verdingten, drohten Armut und Elend. Vor diesem Hintergrund scheint Buchsers Gemälde nahezulegen, dass die Schwarzen nicht nur Opfer der Verhältnisse sind: Es gibt Verlierer – zu denen verarmte Landarbeiter wie der zerlumpte Mann in der Bildmitte gehören – und Gewinner. Die aufgeputzte junge Frau, vielleicht auch der Banjospieler, der sich mit seiner Musik durchschlägt, scheinen zu ihnen zu zählen.
Hat Buchser hier gesellschaftliche Gewinner und Verlierer in einem Bild vereint? Blickt man auf die Kleidung, scheint es zumindest so.
Hat Buchser hier gesellschaftliche Gewinner und Verlierer in einem Bild vereint? Blickt man auf die Kleidung, scheint es zumindest so. Wikimedia / Kunstmuseum Solothurn / Gottfried Keller-Stiftung
Als weiterer Schlüssel zum Gemälde bietet sich der Bildtitel an: «The Song of Mary Blane» – das Lied der Mary Blane. Es handelt sich um eine volkstümliche Ballade, deren genauer Ursprung in den Südstaaten unklar ist. Von dem balladenartigen Lied existieren unterschiedliche Versionen. Der Kern ist identisch: Der Schwarze Erzähler beklagt die tragische Geschichte seiner Geliebten, die von einem Weissen entführt, missbraucht und schliesslich von den Ihren gerettet wird. Das zeitgenössische amerikanische Publikum bekam «The Song of Mary Blane» ebenso wie andere seiner sozialkritisch anmutenden Sittenbilder aus dem «alten Süden» in Ausstellungen in Washington, New York oder Boston zu sehen. Es reagierte kritisch negativ. Der ersehnte Erfolg auf dem amerikanischen Kunstmarkt blieb Buchser verwehrt. Die Abschaffung der Sklaverei bedeutete eben noch lange nicht, dass Schwarze plötzlich breit akzeptierte Bildsujets für die Salon der Reichen waren. In Europa fanden sich wohl aus anderen Gründen fast keine Interessenten für solche Gemälde: Hier bevorzugte man andere, vor allem erotisch aufgeladenere Formen des Exotismus à la Delacroix oder Manet («Olympia»), wie sie Buchser ebenfalls im Programm hatte.
Édouard Manet malte seine «Olympia» 1863 und löste damit in Frankreich einen Skandal aus. Später wurde sein Werk zum Vorbild vieler Künstler.
Édouard Manet malte seine «Olympia» 1863 und löste damit in Frankreich einen Skandal aus. Später wurde sein Werk zum Vorbild vieler Künstler. Wikimedia / Musée d'Orsay
«The Song of Mary Blane» landete zusammen mit einem weiteren gewichtigen Teil des Nachlasses von Frank Buchser, der zwischen den Kunstmuseen Basel und Solothurn aufgeteilt wurde, im Kunstmuseum Solothurn. Die Porträts der Generäle Lee und Sherman immerhin hatte Buchser an die Eidgenossenschaft verkaufen können. Buchsers Nachruhm hat zum einen wegen seiner Sujets gelitten. So erstaunt es kaum, dass die Porträts etwa der beiden Generäle Lee und Sherman, die bis vor wenigen Jahren noch in der Schweizer Botschaft in Washington anzutreffen waren, aktuell im Depot hängen. Auch mit Präsident Andrew Johnson ist kein Staat zu machen. Unter Historikern besitzt er einen Ruf als Machthaber, der die Bürgerrechte der Schwarzen zurückschraubte. Aber auch Buchsers pseudoethnographische Herangehensweise bei der Darstellung Schwarzer Menschen und ihrer Lebenswelt löst heute zumindest Unbehagen aus, zumal seine Aufzeichnungen den Verdacht des Sexismus und Rassismus bestätigen. Museen, die solche Werke von Buchser heute ausstellen, müssen sich gegen kritische Fragen wappnen. Kein Wunder, findet sich Buchsers Kunst trotz ihrer malerischen Qualitäten inzwischen häufiger in den Online-Beständen der Museen als an deren Wänden.
1867 malte Frank Buchser ein Bild namens «Dolce far niente» mit zwei Schwarzen Menschen als Hauptprotagonisten.
1867 malte Frank Buchser ein Bild namens «Dolce far niente» mit zwei Schwarzen Menschen als Hauptprotagonisten. Wikimedia
Dabei bietet Buchser als Künstler gerade wegen seiner oft fragwürdigen Haltung eine spannende Materie für aktuelle Auseinandersetzungen. Entsprechend unterzog das Stadttheater Solothurn sein Schaffen jüngst einer kritischen Befragung, und schon 2019 hat «The Song of Mary Blane» Bruno Moll zu einem Dokumentarfilm über Buchsers abenteuerliches Leben inspiriert. Buchsers Werk zeigt, welches Risiko Künstler eingehen, die sich unmittelbar auf ihre Gegenwart einlassen und dabei auf der falschen Seite der Geschichte landen. Die Nachwelt ist gefordert, mit solchen kompromittierten Oeuvres einen angemessenen Umgang zu finden, was neben einer angemessenen Kontextualisierung manchmal auch bedeuten kann: Auszeit im Depot.
Trailer der Films «The Song of Mary Blane» von Bruno Moll. YouTube

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