Sutters Ford in Sacramento, Zeichnung aus dem 1840er-Jahren.
Von der konkursiten Tuchwarenhandlung ins grosszügige Fort: Johann August Sutter schien alles richtig gemacht zu haben. Wikimedia

Ein Pionier mit dunkler Seite

Vom Westernheld zum rassistischen Kolonialisten: Die Sicht auf den Schweizer Pionier Johann August Sutter veränderte sich in den letzten Jahrzehnten.

Rachel Huber

Rachel Huber

Rachel Huber ist Historikerin und assoziierte Forscherin an der Universität Bern.

Johann August Sutter, der Schweizer Amerika-Auswanderer und Pionier, stand lange auf einem zentnerschweren, unumstösslichen Heldensockel. Bereits zu Lebzeiten war er berühmt. Ein Nissenan (Indigener Kaliforniens) fand 1848 auf dem Grundstück des Schweizers das Goldnugget, welches den Goldrausch auslöste. Der indigene Arbeiter gab das Edelmetall seinem Vorgesetzten James Marshall und löste damit eine regelrechte Hysterie aus. Sutter, 1803 in Kandern geboren, wurde zwar durch den Goldfund bekannt, ein Held war er aber nicht. Dazu wurde er erst später in der Erinnerungskultur zweier Nationen stilisiert.
Bei einem Sägewerk auf Sutters Land fand man 1848 Gold.
James Marshall beim Fundort des Goldnuggets, welches den kalifornischen Goldrausch auslöste. Wikimedia

Erfolglos in der Schweiz und in den USA

Kein Unternehmen von Sutter war erfolgreich. Weder in der Schweiz noch in den USA. 1834 führte er eine Kurz- und Tuchwarenhandlung, die er mit dem Geld seiner Schwiegermutter in Burgdorf aufgebaut hatte, in den Konkurs. In einer Nacht- und Nebelaktion flüchtete er über den Atlantik in die USA und entkam so dem Schulden- und Konkursgefängnis. Seiner Frau Anna und seinen fünf Kindern hinterliess er damit ein Schicksal im Armenhaus. Kaum in den USA angekommen, musste er wieder wegen seines erfolglosen Unternehmertums und aufgebrachten Gläubigern vor dem Berufungsgericht von Jackson County (Missouri) erscheinen – auch dieser Aufforderung leistete er nicht Folge, sondern flüchtete 1838 erneut westwärts. Damit wurde er – ungeplant – zu einem Schweizer Pionier des «Wilden Westens». Sein Grossgut «Neu-Helvetien» an den Ufern des Sacramento war nie rentabel, Sutter die meiste Zeit alkoholisiert und hoch verschuldet. Trotzdem erscheinen seit über 100 Jahren fast nur wohlwollende künstlerische und literarische Interpretationen seines Lebens, das 1880 in Washington endete. Wieso?
Porträt von Johann August Sutter, 1859.
Porträt von Johann August Sutter, 1859. Wikimedia / Library of Congress

Beschö­nigt und verklärt

Der Vormund seiner verarmten Frau, Martin Birmann (1828-1890), schrieb 1868, noch vor Sutters Tod, ein kleines Büchlein, das in Basel herausgegeben wurde. Darin fasste er Sutters Leben zusammen, schliesslich kennt man den Mann, auf dessen Grundstück der berühmte Goldrausch seinen Anfang nahm und möchte wohl von dieser Bekanntschaft profitieren. Nur, Sutters Habitus wird stark beschönigt. Diese verklärte Sichtweise auf den USA-Pionier wird bis heute übernommen und weiterverbreitet. Blaise Cendrars schrieb rund 55 Jahre später den Abenteuerroman «Gold. Die Fabelhafte Geschichte des Generals Johann August Suter». Damit wurde die Lebensgeschichte Sutters, so wie Cendrars sie sich vorstellte, zur Heldengeschichte und bildete die Basis für viele nachfolgende Interpretationen. Die Zürcher Uraufführung des Dramatikers Cäsar von Arx’ war 1930 beispielsweise ein grosser Erfolg. Aber nicht nur in der Schweiz wurde die Geschichte immer wieder rezipiert. Auch die Nationalsozialisten wussten den glorreichen Schweizer, der in Deutschland das Licht der Welt erblickte, für ihre Propagandastrategie zu nutzen: der von Luis Trenker 1936 produzierte Film «Der Kaiser von Kalifornien» wurde von Joseph Goebbels an den Filmfestspielen in Venedig in den höchsten Tönen gelobt. Die Hochkonjunktur des heldenhaften General Sutter scheint bis heute nicht abzunehmen. 2016 erschien in der Schweiz der jüngste Roman über ihn. In Kandern, seiner Geburtsstadt, strebt man seit 2017 eine Städtepartnerschaft mit Sacramento an.

Andere Sichtwei­se ab den 1980er-Jahren

Jenseits von kulturellen Reminiszenzen war Sutter auch in politischen Kontexten immer wieder identitätsstiftend für die Schweiz. In der 1976 von der Pro Helvetia geplanten und organisierten Wanderausstellung «Swiss in American Life» zum 200-Jahr-Jubiläum der USA, nahm Sutter einen zentralen Platz ein. In den 1980er-Jahren forderte die «New Western History» die bisherige Deutungshoheit der amerikanischen Geschichtswissenschaften über das frontier- und damit auch das Sutternarrativ heraus, indem sie die klassische Leseweise der «Wildwest»-Geschichte in Frage stellte: Interessiert war man nicht mehr an den weissen, meist männlichen Pionieren, welche die Helden innerhalb der amerikanischen Meistergeschichte schlechthin darstellten, sondern man fragte nach den durch die Westwanderung dezimierten indigenen Gesellschaften, den kaum erwähnten Frauen und den restlichen bis dato unsichtbaren Personen der Winning of the West-Story.
American Pioneers, Buch, 1905.
Lange wurde Johann August Sutter sowohl in den USA, wie auch in der Schweiz als Pionier gesehen. Internet Archive
Was die Sutter-Erzählung angeht, wurde bekannt, dass er Hunderte indigene Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter hatte, die sein Gut nicht nur aufbauten, sondern auch unterhielten. Und, dass er mit indigenen Kinder handelte. Bemerkenswerterweise begann die Schweizer Exilgemeinde United Swiss Lodge of California (U.S.L.O.C.) aus Sacramento just in dem Moment, als die schillernde Fassade des Heldenmythos Risse erhielt, die Erinnerung an ihren Vorfahren zu festigen. Die U.S.L.O.C. wandte sich mit der Bitte, sich für die Erinnerung an Sutter einzusetzen, an private und politische Interessensgruppen im Kanton Basel-Landschaft, da Sutter das Bürgerrecht des Baselbieter Dörfchens Rünenberg besass. So geschah es, dass sich der Besitzer der General Sutter-Brennerei in Sissach und verschiedene Regierungsräte des Kantons ab Mitte der 1980er-Jahre für eine finanzielle Beteiligung am Bau einer übermannshohen Sutter-Statue in Sacramento einsetzten.

Johann August Sutter

Johann August Sutter (1803 - 1880) wanderte nach dem Konkurs seiner Tuch- und Kurzwarenhandlung 1834 in die USA aus. Aber auch dort waren seine Handelstätigkeiten nicht erfolgreich. Er musste mehrmals den Ort wechseln und hinterliess immer wieder Schuldenberge. Die USA waren für den Hochstapler bald ein zu heisses Pflaster und so wandte er sich südwärts. In Mexiko erhielt er vom Gouverneur rund 200 Quadratkilometer Land im Sacramento-Vally, das er besiedeln konnte. Dort gründete er die Kolonie «Neu-Helvetien». Doch wirtschaftlich war Sutter auch hier nicht erfolgreich. Um seine Defizite zu decken liess er indigene Sklaven für sich arbeiten und handelte mit indigenen Kindern. Nach dem Beitritt Kaliforniens zu den USA 1850 kämpfte Sutter bis an sein Lebensende um sein Land. Erfolglos. Zwar erhielt er einige Jahre eine Pension, doch ein positiver Entscheid bezüglich seiner Grundstücksanerkennung blieb aus.
Auch das Auslandschweizersekretariat der neuen Helvetischen Gesellschaft (heute ASO) schaltete sich 1986 in die Bestrebungen, Sutter prominent zu ehren, ein und legte der Baselbieter Regierung die Unterstützung eines Denkmals des «wohl grössten Schweizers» ans Herz. 1987 war es dann soweit: Der Regierungsratspräsident reiste an die Einweihungsfeier der Statue, welche Basel-Landschaft mit 50'000 Franken aus dem Lotteriefonds mitfinanziert hatte. Gleichzeitig arbeiteten die verschiedenen Interessensgemeinschaften an gefestigten Beziehungen zwischen den beiden Städten. 1989 ging Liestal eine Städtepartnerschaft mit Sacramento ein und initiierte damit eine offizielle Ehrung Sutters. Diese Städtepartnerschaft existiert bis heute. Die Statue wurde im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung auf Druck verschiedener indigener Gesellschaften Kaliforniens und der Wissenschaft im Juni 2020 vom Sockel genommen – eindeutig ein Signal für eine differenziertere Erinnerung an den Schweizer Helden.

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