Elsa Roth in ihrer Funktion als Zentralsekretärin des Schweizerischen Skiverbands in Bern am 19. Juni 1965.
Elsa Roth in ihrer Funktion als Zentralsekretärin des Schweizerischen Skiverbands in Bern am 19. Juni 1965. Keystone / Photopress, Foto: Joe Widmer

Eine Frau an der Spitze des Schweizer Skisports

Die Bernerin Elsa Roth war Rennfahrerin, Skilehrerin und Funktionärin. Sie gründete den Schweizerischen Damenskiclub mit und führte ab 1939 die Geschäfte des nationalen Skiverbands während fast 35 Jahren. Heute ist ihr Name nur wenigen ein Begriff.

Nils Widmer

Nils Widmer

Nils Widmer ist Historiker, assoziierter Mitarbeiter bei Swiss Sports History und doktoriert an der Universität Luzern.

Roth kam am 15. Februar 1906 als fünftes Kind einer Berner Burgerfamilie zur Welt. Ihr Vater war Wirt, die Mutter wird in den Akten als «Privatière» bezeichnet. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs sie in der Stadt mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater auf. Hans Dinkelmann war unter anderem Nationalrat für die Radikalen (heute: FDP) und später Mitglied der Generaldirektion der SBB. Roth besuchte die Sekundarschule in Bern und absolvierte eine Fortbildungsklasse an der städtischen Mädchenschule mit den Schwerpunkten Erziehungs- und Haushaltungskunde. Danach ging sie als 17-Jährige für einen einjährigen Sprachaufenthalt nach England.
Elsa Roth (1.v.l.) beim Skifahren mit ihrer Familie in Mürren 1929. Auch auf dem Bild: ihr Neffe und langjährige FIS-Präsident Marc Hodler (1.v.r.).
Elsa Roth (1.v.l.) beim Skifahren mit ihrer Familie in Mürren 1929. Auch auf dem Bild: ihr Neffe und langjährige FIS-Präsident Marc Hodler (1.v.r.). BASPO
Zum Skisport kam sie über ihre 15 Jahre ältere Schwester Gertrud, zu der sie ein enges Verhältnis hatte. Diese besass gemeinsam mit ihrem Mann Armin Hodler, einem bekannten Berner Anwalt und Wirtschaftsvertreter, ein Chalet in Mürren im Berner Oberland. Etwa ab Mitte der 1920er-Jahre nahmen die beiden Roth regelmässig in jenes wichtige Wintersportzentrum dieser Zeit mit. Auf Mürrens Pisten und in den dortigen Hotels oder Tea-Rooms fand Roth Anschluss an ein internationales Netzwerk des sich entwickelnden alpinen Skisports, das offenbar gewillt war, Skifahrerinnen zu integrieren.

Ein Schwei­ze­ri­scher Damen-Skiclub

So lernte Roth innerhalb dieses männlich dominierten Netzwerks auch skibegeisterte Frauen kennen. Mitte der 1920er-Jahre wurde sie auf dem Allmendhubel bei Mürren von Skifahrerinnen des britischen Ladies’ Ski Club (LSC) angesprochen und aufgefordert, ein Schweizer Team für ein Länderduell zusammenzustellen. Der LSC war 1923 in Mürren gegründet worden, wo wohlhabende Kurgäste aus Grossbritannien regelmässig ihre Winterferien verbrachten und Ski fuhren. Während Roths erste Suche nach genügend Rennfahrerinnen gescheitert war, fand sie einen Winter später gemeinsam mit dem Skiclub Mürren genügend motivierte Schweizerinnen. Doch die Britinnen waren klar überlegen. Nach einer zweiten Niederlage im Januar 1929 gründeten ein gutes Dutzend Skifahrerinnen rund um Roth und ihre Schwester den Schweizerischen Damen-Skiclub (SDS).
 
Die Gründerinnen stammten aus der urbanen Mittel- und Oberschicht oder aus Hoteliersfamilien in Bergregionen. Ihr Ziel: Die Frauen im Schweizer Skisport zu organisieren und zu fördern. Der SDS wurde – trotz einiger kritischer Herren – rasch in den Schweizerischen Skiverband (SSV, heute: Swiss Ski) aufgenommen. Der Vorstand rund um Präsidentin Gertrud Hodler und Sekretärin Elsa Roth organisierte Kurse, Tourenwochen, Rennen – auch Roth selbst fuhr in den Anfangszeiten immer wieder mit. Ebenfalls setzte der SDS sich für die Ausbildung von Skilehrerinnen ein. Roth etwa erlangte 1931 das offizielle kantonale Skilehrerinnenpatent in Bern.
Ab 1932 organisiert der SDS in Grindelwald internationale Rennen ausschliesslich für Frauen. Elsa Roth gehörte zu den Organisatorinnen, über die die Zürcher Illustrierte 1937 berichtete.
Ab 1932 organisiert der SDS in Grindelwald internationale Rennen ausschliesslich für Frauen. Elsa Roth gehörte zu den Organisatorinnen, über die die Zürcher Illustrierte 1937 berichtete. e-newspaperarchives
Innert weniger Jahre wurde der SDS zu einer Art Teilverband für die Frauen im Schweizer Skisport. Roth und ihre Mitstreiterinnen, etwa Ella Maillart, sammelten Geld und Sachspenden für die Rennfahrerinnen oder entwickelten Richtlinien, nach denen der Verband das Frauen-Nationalteam auswählen und trainieren sollte. Diese wurden vom Verband nicht nur angenommen, sondern teilweise auch auf Männerteams angewandt. Gleichzeitig betonte der SDS in der Anfangszeit stets die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und setzte sich für einen «gesunden Damenskirennsport» und eine «Entgefährlichung der Damenrennen» ein. Sie distanzierten sich nach aussen auch bereits früh von «frauenrechtlichen Tendenzen».

Der Schweizer Skisport unter Elsa Roths Führung

Im Gegensatz etwa zum Fussball oder dem Boxen führten biologische, medizinische oder ästhetische Bedenken einiger männlicher Kritiker im Skifahren nicht zum Ausschluss der Frauen. Einerseits waren Frauen bereits früh Teil der Freizeitpraxis des Skifahrens in den Alpen. Dem SDS gelang es andererseits durch fachliches Engagement sowie die Betonung gewisser skisportlicher Geschlechterdifferenzen den Skeptikern zu begegnen. 1934 wählten die Mitglieder des SSV Roth gar als Beisitzerin in den Vorstand. Sie amtete daneben als Zeitmesserin, Schieds- und Kampfrichterin oder Delegationsleiterin bei Auslandsreisen. 1939 wurde sie zur festangestellten Zentralsekretärin ernannt und führte fortan die Geschäfte des Verbands.
Die von Elsa Roth (2.v.l.) geleitete USA-Delegation des SDS in der Zürcher Illustrierten von Ende Mai 1939.
Die von Elsa Roth (2.v.l.) geleitete USA-Delegation des SDS in der Zürcher Illustrierten von Ende Mai 1939. e-newspaperarchives (bearbeitet)
Bereits als Sekretärin und später als Präsidentin des SDS setzte sich Roth nicht nur für Frauen im Skirennsport, sondern auch im Breitensport und Nachwuchsbereich ein. Dieses Engagement prägte auch ihre Arbeit im SSV. Sie initiierte etwa zu Beginn der 1940er-Jahre die Jugendskilager (Juskila) mit und versuchte später erfolglos diese Idee auch auf europäischer Ebene zu etablieren. Nachdem Roth während des Zweiten Weltkriegs – in den Worten des Präsidenten – als «einziger Mann» des SSV-Vorstands übrigblieb, konzentrierten sich die Verbandsgeschäfte immer mehr in ihren Händen. Nach dem Krieg vertrat sie die Schweiz auch als Delegierte beim internationalen Skiverband, der Fédération Internationale de Ski (FIS).
Während bei der Jugendskilager-Premiere 1941 bloss eines für Knaben stattfand, kamen im Jahr darauf auch die Mädchen zum Zug. Schweizerisches Bundesarchiv
Auf Anregung Roths und des SDS beantragte die Schweiz 1946, ein «Damenkomittee» innerhalb der FIS einzurichten. Der Kongress kam dieser Forderung nach und ernannte Roth zur ersten Präsidentin. Sie tauschte sich intensiv mit Kolleginnen aus anderen Ländern aus. Ende der 1940er-Jahre etwa beriet sie die schwedische Langläuferin und Funktionärin Inga Löwdin in einem Brief im Umgang mit einem kritischen Schweizer Funktionär. Löwdin setzte sich auf internationaler Ebene für mehr Akzeptanz von Frauen bei Langlaufrennen ein – eine umstrittenere Diskussion als in den alpinen Disziplinen. Ähnlich wie auf nationaler Ebene beschränkte Roth ihre Arbeit nicht auf den Skisport der Frauen. Sie präsidierte in den 1960er-Jahren auch einen Unterausschuss zum von ihr entwickelten FIS-Punktesystem zur Einteilung der Startgruppen nach Stärke – sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen.

Eine Ski-Funktio­nä­rin im Hintergrund

In die Zeit von Roths Führung fielen auch die medaillenlosen Winterspiele 1964 in Innsbruck, die eine Reorganisation des Schweizer Sportsystems im Allgemeinen, aber auch innerhalb des Skiverbands mitauslösten. Elsa Roth erhielt in der Person des späteren Bundesrats und «Sportministers», Adolf Ogi, Mitte der 1960er-Jahre einen Assistenten. 1969 stieg dieser zum technischen, das heisst sportlichen, Direktor auf und teilte sich die Direktion mit Roth. Sie war fortan administrative Direktorin. Roths prägende Zeit innerhalb des sich schnell wandelnden Sports in der «Skination Schweiz» ging dann langsam dem Ende entgegen. 1973 beendete sie schliesslich ihre offizielle Tätigkeit, wirkte allerdings ehrenamtlich im Verband weiter.
Ende November 1976 erhielt Elsa Roth (3.v.r.) im Rahmen der Wahl zu der Sportlerin und dem Sportler des Jahres den «Sportfördererpreis». Sie ist die weibliche Preisträgerin in der fast 50-jährigen Geschichte der Auszeichnung.
Ende November 1976 erhielt Elsa Roth (3.v.r.) im Rahmen der Wahl zu der Sportlerin und dem Sportler des Jahres den «Sportfördererpreis». Sie ist die einzige weibliche Preisträgerin in der fast 50-jährigen Geschichte der Auszeichnung. Keystone / STR
Roths Karriere ist zwar ein Einzelfall und eher untypisch. Dennoch zeigt sie auf, dass bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch Frauen führende Positionen in Sportorganisationen einnehmen konnten. Roth profilierte sich fachlich, nutzte ihr Netzwerk und profitierte von ihrer sozialen Herkunft. Als ledige, kinderlose Frau verschwand sie in der Nachkriegszeit im Gegensatz zu berufstätigen Müttern auch nicht aus der Arbeitswelt, als das traditionelle Familienmodell wieder vermehrt Verbreitung fand. Roth stiess aber auch an Grenzen und übernahm etwa bei der Aufteilung der Direktion den weniger öffentlichkeitswirksamen, administrativen Teil der Arbeit.
 
Zum Karriereende erhielt sie einige Anerkennung, wurde zum Ehrenmitglied des nationalen sowie des internationalen Skiverbands ernannt. Doch ihr Name hat sich nicht wie jene männlicher Kollegen in das kollektive Gedächtnis der Skination eingebrannt, etwas, das sich auch in anderen Bereichen der Erinnerungskultur beobachten lässt. Hinzu kam, dass sie vor allem als Funktionärin tätig war und keine Medaillen oder Erfolge vorzuweisen hatte. Roths SDS-Kollegin Rösli Streiff etwa wurde in den 1970er-Jahren von den Medien als erste Schweizer Weltmeisterin wiederentdeckt. Und doch sehen wir einige von Roths Spuren bis heute auf den Schweizer Skipisten, zum Beispiel wenn sich jeweils zu Jahresbeginn hunderte Jugendliche im Berner Oberland zum Juskila treffen. Oder wir können ihre Karriere in Erinnerung rufen, wenn der Bund Debatten über Geschlechterquoten in der Führung nationaler Sportverbände anstösst.

Swiss Sports History

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Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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