Mögliche Schweizer Nationaltiere: Kuh, Murmeli, Steinbock und Bernhardiner.
Mögliche Schweizer Nationaltiere: Kuh, Murmeli, Steinbock und Bernhardiner. Fotos: Adobestock, Fotolia, naturPHotos.ch

Barry oder Lovely?

Die Schweiz hat kein offizielles Nationaltier - aber vier vielversprechende Kandidaten.

Claudia Walder

Claudia Walder

Claudia Walder ist Autorin und Redaktorin, unter anderem für das Schweizer Reisemagazin Transhelvetica und das Magazin des Schweizerischen Nationalmuseums.

«Du», sagt das Murmeli zum Steinbock. Der Steinbock hat gerade ein paar besonders zarte Blättchen zwischen den Felsen entdeckt und beachtet das Murmeli nicht. «Duhu!», probiert’s das Murmeli nochmals, «hast du gehört? Das Landesmuseum in Zürich macht eine Ausstellung über uns. Über dich und mich und die Kuh und den Bernhardiner. Als Kandidaten für ein Schweizer Nationaltier, sozusagen. Weil, ein offizielles gibt’s ja nicht.» Der Steinbock schaut auf und schaut herablassend auf den kleinen, pelzigen Nager hinunter. «Da hätten sie sich gleich auf mich konzentrieren können! Schliesslich bin ich der König der Alpen. Schau dir meine Hörner an, die werden bis zu einem Meter lang, bei den Böcken. Bei den Geissen, den Weibchen, sind sie zwar etwas kleiner, aber mit unseren Hufen und viel Geschick klettern wir selbst die steilsten Felswände hoch! Ausserdem zier ich das Kantonswappen von Graubünden; dich hingegen hab ich noch auf keinem Wappen gesehen!» «Mich aber schon!», mischt sich die Kuh von etwas weiter unten ein, während das Murmeli empört die Backen aufbläht. «Vom Uri-Stier wirst du ja schon gehört haben. Der hat das ganze Wappen für sich, nicht nur einen Drittel. Und mit eineinhalb Millionen Tieren sind wir Rinder in der Schweiz klar in der Überzahl. Das sind circa 100 Mal mehr als Steinböcke. Ausserdem, stell dir vor, was wären die Alpen ohne Kuhglockengebimmel, was die Schweiz ohne Käse? Meine Vorfahren, die Auerochsen, haben schon vor mehr als 10’000 Jahren begonnen, die Menschen zu domestizieren. In der Schweiz ist das ganz gut gelungen, ich werde geradezu verehrt! Ich werde gemalt und fotografiert, auf Viehschauen vorgeführt und für Alpaufzüge geschmückt. Die Menschen tragen mein Abbild sogar als Schmuck!»

Kuh — die Gemütliche

Farbiger Fotodruck einer Kuh mit Kalb.
Schweizerisches Nationalmuseum
Risthöhe: 138 – 152 cm Gewicht: 550 (w) – 1300 (m) kg Milchleistung: 7200 – 12’000 l / Jahr (Braunvieh) Wussten Sie: dass ein Rind erst nach dem ersten Kalben «Kuh» genannt wird? Vorher heisst ein weibliches Rind «Färse».  
«Von wegen verehren», meckert der Steinbock und springt auf einen Felsen, damit er noch höher über der Kuh und dem Murmeli steht, «die Menschen werfen so viel Abfall auf deine Weiden, dass du im Magen einen Magnet tragen musst, damit dich das aus Versehen gefressene Metall nicht verletzt. Und so richtig schweizerisch bist du auch nicht mehr. Mit all den deutschen und amerikanischen Zuchteinflüssen wirst du ja sogar zu schwer für die Berge!» «Nicht schweizerisch genug!», schnauft die Kuh. «Das musst gerade du sagen! Du stammst ja eigentlich aus Italien!» «Gar nicht wahr», brummt der Steinbock. «Doch, da hat die Kuh schon recht.» Ein grosser orange-weisser Bernhardiner trottet gemächlich zu den drei Streithähnen hoch und blinzelt sie aus seinen Tränenaugen an: «Bis Anfang des 19. Jahrhunderts warst du in der Schweiz praktisch ausgerottet. In Italien dagegen hat eine kleine Population überlebt, die schliesslich vom König von Savoyen unter Schutz gestellt wurde. Als die Schweizer dich im 19. Jahrhundert wieder einführen wollten und König Viktor Emanuel III. um einige Exemplare ersuchten, verweigerte er ihnen die Bitte.

Murmeli — das Gesellige

Frau füttert ein Murmeltier.
Schweizerisches Nationalmuseum
Körperlänge: 30 – 60 cm Gewicht: 3,5 – 7 kg Alter: 10 – 17 Jahre Wussten Sie: dass der Name Murmeltier nichts mit «murmeln» zu tun hat, sondern vom lateinischen «mus montis» – Bergmaus – kommt?  
Gelungen ist die Wiederansiedlung nur, weil 1906 ein Wilderer drei Kitze stahl und sie in die Schweiz schmuggelte. Glaub mir, ich muss es wissen, denn ich lebe grad an der Grenze zu Italien», erklärt der Bernhardiner und legt sich neben das Murmeli. «Ätsch», sagt das Murmeli zum Steinbock. Der Steinbock schmollt. «Willst du dich etwa für die Position bewerben?», fragt er den Bernhardiner spöttisch. «Warum nicht?», fragt der, «ich war schliesslich der Erste, der ins Schweizerische Hundestammbuch eingetragen wurde. 1884 war das. Gezüchtet wurde ich zuerst auf dem Grossen St. Bernhard Pass – von den Augustinermönchen im Hospiz, das verleiht mir doch schon fast göttliche Provenienz. Mein Vorfahre Barry ist legendär – 40 Menschenleben soll er gerettet haben, sagt man. Nun ja, ausgesehen haben er und seine Brüder damals etwas anders, aber man muss sich ja weiterentwickeln. So bin ich heute eher Familien als Arbeitshund und überlasse die Suche nach Lawinenopfern anderen, aber symbolisch verkörpere ich noch immer Treue, Mut und Hilfe in der Not. Oder verkaufen sich eure Stofftiere etwa auch so gut?»
Murmeltiere wurden früher auch als Haustiere gehalten, wie dieses Bild von 1925 aus S-charl zeigt.
Murmeltiere wurden früher auch als Haustiere gehalten, wie dieses Bild von 1925 aus S-charl zeigt. Foto: Jon Duri Gross
«Wer braucht schon Stofftiere, wenn er als Sternzeichen am Himmel steht!», antwortet der Steinbock. «Wusstet ihr, dass der hellste Stern am Himmel im Sternbild des Grossen Hundes liegt?», gibt der Bernhardiner zurück. Die Kuh schüttelt den Kopf und ihre Glocke schallt durch die Berglandschaft. «Das ist doch nichts, ein Sternzeichen haben wir schliesslich ebenfalls. Den Stier. Aber apropos Mut und Stärke, und apropos Fans: Wenn meine Eringer Cousinen die Königin der Königinnen küren, dann kommen die Menschen von nah und fern.»

Steinbock — der Trittsichere

Postkarte einer Gruppe von Steinböcken, 1939.
ETH Bibliothek Zürich
Risthöhe: ca. 90 cm Gewicht: 40 (w) – 100 (m) kg Alter: ca. 25 Jahre Wussten Sie: dass das Sternzeichen Steinbock aus der babylonischen Konstellation des Ziegenfischs, einer Kreatur halb Ziege, halb Fisch, hervorgegangen ist?  
«Wir kämpfen halt in der Höhe», brüstet sich der Steinbock, «das ist viel gefährlicher! Deshalb haben wir auch weniger Zuschauer.» «Und aufs Kämpfen seid ihr stolz?», murmelt der Bernhardiner mit einem müden Seufzer. «Aber sag, was ist mit dir, Bergmaus? Willst du dich nicht am Wettstreit beteiligen?» Das Murmeli zuckt scheinheilig mit den Schultern. «Ach wisst ihr», sagt es und aalt sich auf einem kühlen Stein, «natürlich könnt ich euch von den Heilkräften meines Bauchfetts erzählen. Oder von meinem ausgeklügelten Warnsystem. Oder wie sich mein Herzschlag während des Winters von 200 Schlägen auf 20 pro Minute verlangsamt. Ich könnt euch auch davon erzählen, wie wir früher als Haustiere gehalten wurden und wie Tanzbären unsere eigenen Wandernummern hatten. Oder damit angeben, dass wir in meiner Familie wenigstens sprachlich einen halben Zoo haben: die Männchen heissen bei uns nämlich Bären, die Weibchen Katzen und die Jungen Affen. Aber das will ich gar nicht. Bescheidenheit ist doch bestimmt die schweizerischste aller Tugenden. Findet ihr nicht?»

Bernhar­di­ner — der Treue

Priester mit vier Bernhardinerhunden, Postkarte, um 1900.
Schweizerisches Nationalmuseum
Risthöhe: 65 (w) – 90 (m) cm Gewicht: 50 (w) – 85 (m) kg Alter: ca. 8 Jahre Wussten Sie: dass der Bernhardiner zuerst als Schutz- und Wachhund gehalten wurde und das Schnapsfässchen pure Erfindung ist?  

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