Das Geheimnis des St. Galler Globus ist gelüftet
Endlich ist die Herkunft des St. Galler Globus geklärt. Er stammt aus Norddeutschland und wurde vom Globenbauer Tilemann Stella hergestellt. Möglich wurden diese neuen Erkenntnisse durch ein Pergament, welches in einer Brockenstube verkauft worden ist.
Würde man einen Film drehen, wäre dies das perfekte Drehbuch: Ein Koch aus Olten kauft vor Jahren für ein paar Franken in einer Brockenstube eine alte Zeichnung. Er hängt das Pergament zu Hause auf. Irgendwann schwant ihm, dass das Dokument mehr als nur schön sein könnte. Er fragt einen Historiker aus der Nachbarschaft und dieser ist ganz aus dem Häuschen. Die Zeichnung ist äusserst wertvoll und lässt neue Schlüsse über den Ursprung des St. Galler Globus zu. Der Globus gehört zu den bedeutendsten kulturhistorischen Objekten der Schweiz und steht seit Jahren im Landesmuseum Zürich.
Bisher wurde vermutet, dass der St. Galler Globus aus Augsburg oder Konstanz stammt. Die Zeichnung des Kochs aus Olten lieferte nun neue Informationen zur Lösung dieses Rätsels und veranlasste die Wissenschaftler der Zentralbibliothek, welche das Dokument erworben hatte, optische und radiographische Analysen zu machen. Dabei entdeckten sie drei übermalte Porträts von historischen Persönlichkeiten. Diese waren in den Stützstreben des Globus verborgen und ermöglichten eine definitive Klärung der Herkunft. Die Auswertung der Befunde hat ergeben, dass der Globus Ende des 16. Jahrhunderts am Mecklenburgischen Hof in Schwerin hergestellt worden ist. Gebaut wurde er von Tilemann Stella (1525 – 1589), der im Dienste des Herzogs Johann Albrecht I. zu Mecklenburg stand. Allerdings waren zwei Arbeitsschritte nötig, um den Erd- und Himmelsglobus herzustellen. 1576 war er bis auf einige wenige Dekorarbeiten fertig. Der Herzog verstarb jedoch 1576 nach kurzer Krankheit, weshalb eine Widmung auf dem Globus fehlt. Sein Sohn, Johann VII., liess sich später in einem der übermalten Porträts abbilden und erklärte sich damit zum Auftraggeber und Besitzer des Werks. Nach dessen Tod geriet der Hof in Geldnöte und musste wertvolles Eigentum verkaufen, um die Schuldenlast zu tilgen. Der Globus ging so an die Fürstabtei St. Gallen.
Bilder von Reformatoren waren dem Kloster St. Gallen nicht genehm
Ungünstigerweise zeigten zwei Porträts auf dem Globus die Gelehrten Gerhard Mercator und David Chytraeus. Mercator und Chytraeus waren starke Befürworter der Reformation und deshalb für den Fürstabt keine Männer, welche er auf seinem Globus sehen wollte. Aus diesem Grund liess er die Porträts der beiden Männer übermalen beziehungsweise retuschieren. Während der reformiert-protestantistische Universalgelehrte Mercator ganz unter einer Farbschicht verschwand, wurde aus David Chytraeus der griechische Gelehrte Archimedes. Ein Mathematiker und Physiker aus Griechenland passte besser ins Kloster St. Gallen als ein Reformator aus Norddeutschland. Weitere Indizien wie das ebenfalls modifizierte Porträt von Fürst Johann VII, der sich in einen Mönch verwandelte, Namen von regional verehrten Heiligen, die ergänzte Beschriftung der Stadt Rostock im Kartenbild und die Verwendung des julianischen Kalenders, welcher Ende des 16. Jahrhunderts nur von den Protestanten verwendet worden ist, lassen den Globus eindeutig dem Mecklenburgischen Hof zuordnen.
Damit ist ein grosses Rätsel der Geschichte des Globus geklärt. Eine Frage bleibt allerdings: Was hat es mit dem Dokument des Kochs auf sich? Es war ursprünglich als eine Art Verkaufsprospekt für den Globus erstellt worden. Die Herzogsfamilie wollte das repräsentative Objekt in eine ferne Region verkaufen. Ein derart repräsentatives Objekt in unmittelbarer Nachbarschaft wäre für das Prestige des Hofs denkbar schlecht gewesen. Aus diesem Grund wurde ein aufwendiger Verkaufsprospekt erstellt und in den Süden geschickt. Wie er in die Brockenstube und später in die Hände des Kochs aus Olten gelangt ist, wird wohl immer ein Rätsel bleiben. Im Gegensatz zu den neuen Erkenntnissen des St. Galler Globus jedoch eines, das nicht unbedingt gelöst werden muss. Wobei…
Fazit: Geschichte ist spannend wie ein Krimi und die Mitarbeiter der Zentralbibliothek sind manchmal eher Kriminalisten als Wissenschaftler!
Gesamte Analyse im neuen ZAK
Die gesamte wissenschaftliche Analyse zum St. Galler Globus wurde in der Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte ZAK, Band 74, Heft 2/2017 publiziert. Die Zeitschrift kann beim Verlag Karl Schwegler, Hagenholzstrasse 65, 8050 Zürich bestellt oder in der Boutique des Landesmuseums Zürich gekauft werden.