Schweizer Technik auf dem Mond
Am 21. Juli 1969 betrat der Mensch den Mond. Weltweit verfolgten die zurückgebliebenen Erdlinge live an den TV-Geräten Neil Armstrong und Buzz Aldrin beim grössten Abenteuer des 20. Jahrhunderts. Der vom Kalten Krieg geprägte Wettlauf zum Mond setzte in den USA ungeheure staatliche Geldmengen für das Projekt frei. Davon profitierten auch zahlreiche NASA-Zulieferer aus der Schweiz. Schweizer Spitzentechnologie trug in diversen Bereichen zur erfolgreichen Mission von Apollo XI bei.
Sicherlich zu Recht sprach Neil Armstrong beim Betreten des Mondes den Satz «That's one small step for [a] man, one giant leap for mankind.» Mit viel Pathos wurde im Moment des Erfolgs die Mondlandung als Leistung der gesamten Menschheit propagiert. Das mediale Echo in Westeuropa war aber schnell auch von nationalen Perspektiven geprägt. Deutschland war stolz auf den am Apollo-Programm massgeblich beteiligten Raketeningenieur Wernher von Braun und verdrängte dabei dessen nationalsozialistische Vergangenheit weitgehend. Sogar die Österreicher beanspruchten von Braun für sich, da dessen Eltern nach dem Kriegsende in der Nähe von Salzburg wohnten. Die Italiener strichen die Leistungen von Rocco Petrone heraus. Der Ingenieur mit italienischer Abstammung war für den Start der Saturnraketen in Cape Canaveral verantwortlich. Die unzähligen Frauen, viele davon Afroamerikanerinnen, die als Mathematikerinnen und Programmiererinnen wesentlich zum Erfolg der Mondmission beitrugen, blieben damals in der Presse noch weitgehend unerwähnt. Und die Schweiz – konnte man sich hier auch auf «grosse Männer» berufen? Hierzulande feierte die Presse die universitäre Forschung sowie die Schweizer Industrie. Die Schweizerische Handelszeitung resümierte am 24. Juli 1969 in einem patriotischen Untertitel: «Auch das Armbrustzeichen ging zum Mond».
In der Folge wollen wir die einzelnen «Swiss Made»-Beiträge zur erfolgreichen Apollo XI wieder einmal in Erinnerung rufen. Beginnen wir mit der Wissenschaft: Noch bevor die beiden Astronauten die amerikanische Flagge hissten, installierte Buzz Aldrin im Rahmen des Solar Wind Collector-Experiments (SWC) ein Sonnensegel der Universität Bern auf dem Erdtrabanten. Das etwa ein Meter hohe Stück Aluminiumfolie diente zur Messung des Sonnenwindes und wurde auf die Erde zurückgebracht. Der Professor für Experimentalphysik Johannes Geiss und seine Entourage werteten das weitgereiste Stück Metall hauptsächlich am Physikalischen Institut der Universität Bern aus. Die gewonnen Daten aus dem Massenspektrometer erlaubten neue Rückschlüsse auf die Entstehung unseres Sonnensystems und auf den Urknall. Das SWC-Experiment war das einzige nichtamerikanische Forschungsprojekt im Pflichtenheft der Apollo-XI-Crew.
Dem Erheben von Daten dienten auch die vier «Data-Acquisition»-Filmkameras. An der Kommandokapsel als auch an der Mondfähre angebracht, hielten die 16-mm-Kameras das Geschehen für spätere Auswertungen fest. Die Hochleistungsobjektive stammten dabei von der Firma Kern in Aarau. Die 1991 stillgelegte Firma war auf Präzisionsmechanik und optische Geräte spezialisiert. Zwei der Objektive waren Spezialanfertigungen und wurden eigens für die harten Bedingungen eines Weltraumfluges entwickelt. Wie sich die Firma rühmte, benötigte die Berechnung der Optiken über 100 Millionen Rechenoperationen auf einem Grosscomputer. Zudem lieferten die Aargauer der NASA präzise Theodoliten, die beim Bau der Saturn-V-Rakete als Richtinstrumente dienten.
Ebenfalls vom Jurasüdfuss stammte der wohl bekannteste Schweizer Beitrag zur amerikanischen Raumfahrt. Seit 1965 waren die amerikanischen Astronauten bei Ihren Weltraummissionen mit Omega-Speedmaster-Chronografen aus Biel ausgerüstet. Bei NASA-Tests hatte sich das mechanische Omega-Werk mit Handaufzug von der Konkurrenz abgesetzt und Druckschwankungen, extremen Temperaturen, Magnetfeldern, hoher Beschleunigungen und intensiven Vibrationen standgehalten. Weil der elektrische Bordchronograf ausfiel, liess Neil Armstrong seine Speedmaster als Backup an Bord der Landefähre. Am Handgelenk von Buzz Aldrin kam die Omega-Uhr dann auf der Mondoberfläche zum Einsatz und bescherte der Bieler Uhrenfirma eine unbezahlbare Marketing-Story. Bis heute wird die «Moonwatch» praktisch baugleich wie 1969 weiterproduziert.
Aldrin trug seine Speedmaster über dem Weltraumanzug und nutzte dazu ein Armband aus Velcro. Klettverschlüsse aus diesem Material kamen auch bei den Weltraumanzügen sowie in der Apollo-Kapsel zum Einsatz. Mit Velcro befestigt, trotzten dort Ausrüstungsgegenstände dem Zustand der Schwerelosigkeit und schwebten nicht frei herum. Auch die Schuhsohlen der Astronauten waren mit Velcro-Besätzen versehen. An den Gegenstücken in der Kapsel fanden die Männer den nötigen Halt. Das von der NASA grosszügig verwendete Verschlussmaterial wurde in der Westschweiz vom Elektroingenieur Georges de Mestral erfunden und 1955 patentiert. Der Markennamen Velcro ist eine Wortschöpfung aus den französischen Begriffen Velours (Samt) und Crochet (Haken) und weist auf die mechanische Basis des Klettverschlusses hin. Die Firma hat heute noch einen Ableger im waadtländischen Assens, ist aber weltweit tätig.
Während sich die drei Astronauten der Apollo-XI-Mission im lebensfeindlichen Weltraum behaupteten, starrten Wissenschaftler und Ingenieure im Mission Control Center (MCC) der NASA in Houston konzentriert auf zahlreiche Bildschirme und Projektionen. Es galt in Echtzeit den Zustand von Mensch, Material und Technik zu überwachen. Die an die Wände geworfenen Bilder im MCC stammten von Eidophor Projektoren des Typs EP 6 und waren Swiss Made. Die Projektoren-Technik wurde in den 1940er Jahren an der ETH in Zürich entwickelt und danach in einer Art Spin-off-Unternehmen perfektioniert und kommerziell vertrieben. 1969 hielten das Basler Pharmaunternehmen CIBA (heute Novartis) sowie die Firma Philips das Gros der Aktien der Gretag AG in Regensdorf, welche die Eidophor-Geräte herstellte. In einer Medienmitteilung rühmte sich die Firma: «Wir glauben, dass unser Beitrag zum Apollo 11 Projekt einer der grössten aus Schweizerischer Sicht ist», und verwies darauf, dass die 34 Projektoren bei der NASA einen Wert von ca. 20 Millionen Franken (heute ca. 60-70 Millionen Franken) hatten. Zudem wies das Marketing auf die Verlässlichkeit der Projektoren hin. Zwischen 1965 und 1969 hatten die Geräte bei der NASA eine Bereitschaftsquote von über 99,9 Prozent. Bis in die 1990er Jahre hinein mischte die Gretag AG noch im Projektoren-Geschäft mit. Die billigere Beamer-Technologie und Managementfehler führten jedoch zum Niedergang der Firma und endete 2002/2003 im Konkurs. Das Archiv zur Eidophor-Technologie und diverse Projektoren – darunter auch ein Modell des Typs EP 6 – befinden sich mittlerweile im Museum für Kommunikation in Bern.
Im Mission Control Center fand sich noch mehr Schweizer Hightech. Bei Computeranlagen und anderem Elektrogerät befürchteten die Verantwortlichen Brände durch Überhitzung. Nach der Feuerkatastrophe in der Kapsel von Apollo I im Jahr 1967 war die NASA betreffend Brandgefahren sensibilisiert. Daher überwachen in den meisten NASA-Gebäuden elektronische Cerberus-Feuermelder, sogenannten «Brandnasen», die Raumluft. Die Cerberus AG in Männedorf wurde 1998 in den Siemens-Konzern integriert. Letzterer produziert weiterhin Brandmeldesysteme. Die von Cerberus verwendete Technologie wird aber nicht mehr eingesetzt, da die «Brandnasen» eine schwache radioaktive Quelle benötigten.
Hitze und Feuer fürchteten auch die Astronauten beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Ein Hitzeschild an der Apollo-Kapsel verhinderte jedoch das Ende der Mond-Crew als verglühende Sternschnuppe. Das Schild bestand unter anderem aus von der CIBA in Basel speziell entwickelten Araldit-Epoxidharzen. Diese Kleb- und Füllstoffe trotzten in Verbindung mit Bändern und Sandwichwaben mehreren tausend Grad Celsius und garantierten eine sichere Rückkehr zur Erde mit.
Über weitere schweizerische Beiträge zur Apollo XI-Mission berichtete die Presse teils in nur auf wenigen Zeilen. Die folgenden Ausführungen wurden keiner ausführlichen Quellenanalyse unterzogen – vervollständigen aber das Gesamtbild zum Thema: Die Aigle AG für industrielle Elektronik in Losone lieferte für das Apollo-Programm Kupfersiebe, die für den Bau von Katalysatoren Verwendung fanden. Künstliche Rubine und Saphire steuerte die Firma Industrie des pierres scientifiques H. Djévahirdjian S.A. (heute kurz DJEVA genannt) in Monthey bei. Synthetische Saphire aus dem Wallis fanden bei der Konstruktion der Sonnenbatterien sowie bei den Fenstern der Apollo-Kapsel Verwendung. Das besonders harte Material sollte empfindliche Stellen der Kapsel vor Meteoriten schützen. Die Mikron AG in Biel produzierte Zahnräder für das nautische System der Kapsel und schliesslich lieferte die Mettler Instrumente AG aus Greifensee Präzisionsinstrumente an die NASA. Mit einem in der Schweiz gebauten «Thermo-Analyzer» machten die Amerikaner Materialkontrollen. Eine Mettler-Präzisionswage sorgte zudem dafür, dass die gefriergetrocknete Nahrung der Astronauten exakt abgewogen wurde. Indirekt war auch die Schweizer Rüstungsindustrie am Mond-Abenteuer beteiligt. Für diverse Satelliten (z.B. Intelsat 3) – die bei der Fernsehübertragung der Mondlandung eine Rolle spielten – lieferte die Contraves Space-Division Elektronikteile. Die Firma Contraves war die Waffenschmiede des Oerlikon-Bührle Konzerns.
Abschliessend sei noch darauf hingewiesen, dass zumindest die Gretag AG nicht nur den Westen mit Spitzentechnologie für die Raumfahrt belieferte. Wie die Historikerin Caroline Meyer in ihrer 2009 publizierten Dissertation «Der Eidophor» aufzeigt, fanden sich auch in sowjetischen Raumfahrtinstitutionen Projektoren aus Regensdorf.