Auf Bomben folgte Kunst
Am 1. April 1944 wurde Schaffhausen irrtümlich bombardiert. Das städtische Museum verlor dabei über 80 Gemälde. In der Grössenordnung der Verluste trafen daraufhin aus der ganzen Schweiz Kunstwerke ein. Diese Kulturspende zeugt bis heute von der grossen Solidarität für die getroffene Stadt.
Als das Museum zu Allerheiligen am 1. April 1944 von Bomben getroffen wurde, lag seine Gründung noch nicht weit zurück. Die Stadt Schaffhausen hatte ab 1921 auf dem Areal des ehemaligen Benediktinerklosters begonnen, ein regionales Heimatmuseum einzurichten. Es richtete sich nach dem Vorbild des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich. Nach umfangreichen Neubauten war das Museum am 11. September 1938 feierlich eröffnet worden.
Am 1. April 1944 geschah das Unfassbare. 38 Flugzeuge der 8. US-Luftflotte warfen über der Stadt ihre Bomben ab. Sie hätten eigentlich Ludwigshafen bei Mannheim und die dortige IG Farben als Produzentin von Chemiewaffen treffen sollen. Aufgrund schlechten Wetters über dem europäischen Festland, Navigationsfehlern und ungenügenden Kartenmaterials waren die beiden Bombergruppen viel zu weit südlich unterwegs. Durch die aufgerissene Wolkendecke über Schaffhausen meinten sie eine süddeutsche Stadt zu erkennen und orteten ein «Gelegenheitsziel». 40 Menschen verloren ihr Leben, 270 wurden zum Teil schwer verletzt und über 400 obdachlos.
Vom Museum zu Allerheiligen wurde der erst 1938 erstellte Westtrakt des Gebäudekomplexes schwer getroffen. Eine Sprengbombe liess die Wände des obersten Stockwerks wegbrechen und das Dach einstürzen; eine Brandbombe löste ein starkes Feuer im sogenannten Stimmer-Kabinett aus – dort also, wo die Werke des bekannten Schaffhauser Renaissance-Meisters Tobias Stimmer (1539–1584) präsentiert wurden. Mit den Volltreffern im Museum ging ein grosser Teil der Sammlung altmeisterlicher Kunst verloren.
Nur wenige Tage nach der Bombardierung wurde die «Zürcher Kulturspende für Schaffhausen» lanciert. Diese Geldspende-Aktion wurde von der NZZ initiiert und sammelte mithilfe städtischer und kantonaler Persönlichkeiten und bundesrätlicher Unterstützung einen Betrag von rund 150'000 Franken für das Museum zu Allerheiligen. Zwei Drittel standen für den Ankauf von Kunstwerken, ein Drittel für ein Denkmal für die Opfer der Bombardierung zur Verfügung.
Möglicherweise ausgelöst durch die von der NZZ initiierten Aktion wogte eine Welle der Solidarität durch das ganze Land. Aus allen Landesteilen trafen Sachspenden für das Museum ein, um die Verluste insbesondere der Kunstabteilung auszugleichen. In der 1946 erschienenen Publikation «Kunst- und Kulturspenden an das Museum zu Allerheiligen» sind gegen 80 Spenden verzeichnet. Es handelt sich vorwiegend um Werke der bildenden Künste. Aber auch Möbel, Zinn und eine Tapisserie befanden sich darunter.
Diese «Kunst- und Kulturspenden» kamen aus verschiedenen Kontexten. Die Kantone Basel-Stadt, Bern, Fribourg und Waadt spendeten zusammen neun Kunst- und Kulturgüter. So überliess der Regierungsrat des Kantons Bern aus seinem Kunstmuseum «Das kleine Mütterchen» von Albert Anker (1831–1910). Basel schenkte drei Werke, darunter eine besonders frühe Ansicht des Rheinfalls von der Zürcher Seite aus gesehen des Schaffhauser Malers Johann Jakob Schalch (1723–1789). Auch die Schweizerische Eidgenossenschaft trug mit einer neuen, hochwertigen Dauerleihgabe der Gottfried Keller-Stiftung zur Spende bei.
An der Solidaritätsbekundung beteiligten sich auch Städte und Gemeinden, insbesondere aus der Romandie. Zehn Kunstwerke aus Fribourg, Genf, Neuchâtel und Vevey trafen im Museum zu Allerheiligen ein. Besonders freigiebig waren Genf und Vevey: Aus der Stadt an der Rhone traf das «Selbstbildnis mit Rosen» von Ferdinand Hodler (1853–1918) ein, zusammen mit einer Landschaft seines Lehrers Barthélemy Menn (1815–1893). Vevey schenkte das bemerkenswerte Gemälde «Böckligumpis» von Albert Anker – eine Genreszene in antik anmutendem Setting.
Der grosse Anteil kam indessen von Privatleuten. Sie bekundeten ihre Betroffenheit mit Spenden teils bedeutender Kunstwerke, darunter ebenfalls Werke von Künstlern wie Hodler oder Anker, ja selbst ein Stillleben von Auguste Renoir (1841–1919) befand sich darunter. Auch einige Firmen und Vereine trugen zur Erweiterung der Sammlungen bei. Einen interessanten Motivationsgrund äusserte der Schweizer Ableger der amerikanischen Firma IBM mit Sitz in Zürich: Die Entscheidungsträger der Firma hofften, «dass ihre Gabe weitere amerikanische Geschäftskreise in der Schweiz zu ähnlichen Sympathiekundgebungen, ganz speziell für das Museum anregen werden.»
In ihrer Gesamtheit stand die so genannte «Kunst- und Kulturspende» von Beginn an im Zeichen der Solidarität. Sie lief weitgehend spontan ab und unterlag kaum sammlungsstrategischen Überlegungen. Ihr besonderer Charakter liegt denn auch in der unterschiedlichen Herkunft ihrer Bestandteile. Die Kulturspende enthält wichtige Meisterwerke der Schweizer Kunst, sowie Bilder, deren Bedeutung vor allem in der emotionalen Wertschätzung durch ihre Vorbesitzer zu suchen ist. Ab dem 18. Mai präsentiert das Museum zu Allerheiligen Schaffhausen die Kulturspende erstmals in ihrer ganzen Vielfalt.
Kunst aus Trümmern. Schweizer Kulturspenden nach der Bombardierung Schaffhausens 1944
Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
18.5.–20.10.2019
Die irrtümliche Bombardierung Schaffhausens durch amerikanische Flugzeuge am 1. April 1944 brachte Tod und Zerstörung über die Stadt. Getroffen wurden auch das Museum zu Allerheiligen und das damalige Naturhistorische Museum. Dem tragischen Ereignis folgte eine beispiellose schweizweite Solidaritätswelle. Gemeinden, Kantone und Private spendeten neben Geld auch Kunstobjekte.
Erstmals präsentiert eine Ausstellung die rund 80 Kunstwerke aus dieser sogenannten Kulturspende. Bewegende Filmwochenschauen, Zeitzeugenberichte und historische Fotos ergänzen die Exponate. Die Dauerausstellung Schaffhausen im Zweiten Weltkrieg komplettiert den Rundgang und schafft einen grösseren historischen Zusammenhang.