Wallfahrt zur Tellskapelle in Sisikon. Gemalt wurde das Bild von Johann Heinrich Neukomm um 1830. Schweizerisches Nationalmuseum

Tell

Mit Friedrich Schillers Theaterstück wurde Willhelm Tell zum Weltstar. Der grösste Vorteil: Der Schweizer Held konnte je nach eigenem Bedarf eingesetzt werden.

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer

Benedikt Meyer ist Historiker und Autor.

Noch bevor der Vorhang aufgeht, hört man den Ruf eines Hirten und das harmonische Geläut von Kuhglocken. Das Bühnenbild zeigt den Vierwaldstättersee, ein Fischer nähert sich in einem Boot und jenseits des Wassers liegen die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz. Links ein felsiger Gipfel, rechts im Hintergrund vergletschertes Gebirge. So begann am 17. März 1804 die Uraufführung von Schillers «Wilhelm Tell» im Theater von Weimar. Regie führte Schillers Freund Goethe.

Der Stoff war angejahrt, aber aktuell. 1472 tauchte «Thall» erstmals im Weissen Buch von Sarnen auf, Vorläufer finden sich schon in älteren Erzählungen aus Norwegen und Texten aus Dänemark. Schillers Publikum hingegen dachte beim Thema Freiheitskampf und Tyrannenmord vor allem an die Ereignisse der Französischen Revolution und der napoleonischen Kriege. Der Dichter verwob die Geschichte um die Rache des Meisterschützen mit dem Kampf der Innerschweizer Talschaften gegen die Habsburger. Und er hob den Stoff auf ein literarisches Level, das ihn weit über den deutschsprachigen Raum hinaus bekannt machte.

Willhelm Tell in der Erstausgabe der gesammelten Dramen von Schiller. Das Buch erschien 1807.
Schweizerisches Nationalmuseum

Erinnerungsalbum an eine Jubiläumsaufführung von Willhelm Tell durch die Theater-Gesellschaft Wil. Das Album stammt aus dem Jahr 1924.
Schweizerisches Nationalmuseum

Für die Schweiz war der Text ein Geschenk. Schon Frédéric-César de La Harpe hatte dazu aufgefordert, den Mythos als Gründungslegende zu verwenden. Tell hatte das Potenzial, die sprachlich, sozial und religiös fragmentierte Schweiz zu einen. «Wir wollen sein ein Volk von einig Brüdern», liess Schiller seine drei Verschwörer auf der Rütliwiese sagen. Und machte damit deutlich: Nicht durch religiöse, ethnische oder sprachliche Zugehörigkeit wurden Schweizer zu Schweizern, sondern durch ihren Willen, gemeinsam Schweizer zu sein.

Tell schaffte es zwar nicht auf den Schweizer «Fünfliber» (dort ist ein Bergbauer zu sehen), dafür aber dank Schiller auf die Bühnen dieser Welt. Immer wieder wurde das Stück verboten, immer wieder wurde es trotzdem aufgeführt. In der Schweiz hielt sich die Begeisterung zunächst in Grenzen. Es brauchte Jahrzehnte und die Unterstützung des 1848 gegründeten Bundesstaats, bis sich Tells Geschichte als Gründungsmythos durchsetzte. 1880 wurde in Uri die Tellskapelle gebaut, 1906 wasserte in Luzern das Dampfschiff «Schiller». Und die zwischenzeitlich asphaltierte «hohle Gasse» bei Küssnacht wurde 1937 so umgestaltet, wie man sich den Ort des Tyrannenmords vorstellte.

Tells Tyrannenmord wurde immer wieder neu interpretiert und beleuchtet. Er selbst scheint dabei stets derselbe zu bleiben – der tyrannische Gessler hingegen ist durchaus variabel. Je nach Bedarf.

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