Erfolgsgeschichte eines Schweizer Spionagerecorders
So klein wie eine Brieftasche, präzis und zuverlässig: Das Nagra SN ist als Tonbandgerät der Schweizer Firma Kudelski von Anfang an dazu bestimmt, in die Geschichte einzugehen. Entwickelt wird dieses Wunderwerk analoger Audiotechnik Anfang der 1960er-Jahre im Auftrag von John F. Kennedy.
Der amerikanische Präsident John F. Kennedy kontaktiert das renommierte Schweizer Unternehmen Kudelski auf der Suche nach einem kleinen Recorder für verdeckte Tonaufzeichnungen der CIA, des US-Geheimdienstes. An diesen ausschliesslich wird das Nagra SN (Série Noire) bis Anfang der 1970er-Jahre geliefert.
Die Kudelski AG hatte sich in den 1950er-Jahren einen Namen mit ihren Nagra-Recordern gemacht. Diese konnten Ton in hervorragender Qualität aufzeichnen und wiedergeben. Das Besondere daran war: Die Maschinen waren portabel und robust. Sie eroberten somit in kurzer Zeit das Radio, das Fernsehen und die Filmindustrie, also Bereiche in denen Ton «on location» aufgenommen wurde. Firmengründer war der 1929 in Warschau geborene Ingenieur Stefan Kudelski. 1939 floh seine Familie über Ungarn und Frankreich in die Schweiz. Während seiner Studienzeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne baute er sein erstes Tonbandgerät. 1951 gründete er seine Firma und begann mit der Produktion einer tragbaren Tonbandmaschine für Radioreporter, der Nagra I. Die ersten Geräte lieferte er an die Radiostudios in Lausanne und Genf. Mit seinen professionellen Aufzeichnungsgeräten wurde die Firma innert Kürze zum Branchenleader. Und Stefan Kudelski erhielt im Laufe der folgenden Jahrzehnte viermal in Hollywood Oscar-Auszeichnungen in der Kategorie Wissenschaft und Technik.
Der Name Nagra leitet sich vom polnischen Wort nagrywać/nagrać und bedeutet «aufnehmen/aufgenommen». Er ist somit nicht zu verwechseln mit der Abkürzung Nagra, die für die 1972 gegründete Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle steht.
Der Fichenskandal von 1989
Die Nagra SN-Geräte kommen in den 1970er-Jahren auch bei der Stasi und, wie ein Exemplar im Polizeimuseum Zürich heute noch bezeugt, bei der Schweizer Polizei zur Anwendung. Deren Erfolg ist dem Kalten Krieg zu verdanken. Der Schutz von Staat und Bevölkerung wird in der Schweiz angesichts der atomaren Bedrohung wichtiger. Spionageabwehr und Überwachung gehören zu den Prioritäten der Bundespolizei und insbesondere der Politischen Polizei, also der Abteilung, die als Fahndungs- und Nachrichtendienst der Bundesanwaltschaft agiert. Abhörgeräte, Wanzen, Mini-Funkgeräte oder getarnte Kameras kommen zum Einsatz.
Die Politische Polizei war gemäss einem Bundesratsbeschluss von 1958 mit der «Beobachtung und Verhütung von Handlungen, die geeignet sind, die innere oder äussere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden», beauftragt. Was dies bedeutet, wird 1989 mit dem so genannten Fichenskandal klar, als die parlamentarische Untersuchungskommission (PUK), die über den Fall der Bundesrätin Elisabeth Kopp ermittelt, das Ausmass der Überwachung aufgedeckt. In ihrem Bericht hält die PUK fest, dass in der Registratur der Bundespolizei rund 900'000 Karteikarten (Fichen) geführt werden. Die Einträge beruhen nicht nur auf Beobachtungen von offiziellen Organen, sondern enthalten auch Informationen, die anonyme Private geliefert haben. In den Fichen, stellt die PUK fest, wimmelt es von Falschmeldungen und belanglosen Informationen. Ausserdem scheinen Personen aus dem linken politischen Spektrum systematisch überwacht worden zu sein. Das sorgt für allgemeine Empörung in der Bevölkerung. Über 300’000 Personen verlangen Einsicht in ihre Fichen.
Zu den Betroffenen gehört auch der Schriftsteller und Intellektuelle Max Frisch, der von 1948 bis 1990 über 40 Jahre lang überwacht worden ist. Seine Kritik an selbstgefälligen Institutionen und seine Osteuropareisen, unter anderem an einen Friedenskongress, haben ihn offensichtlich verdächtig gemacht. Am 1. August 1990 erhält er seine Fiche: 13 teilweise geschwärzte Karteikarten. Wütend und enttäuscht über den Dilettantismus der Beamten, setzt er sich an die Schreibmaschine. Er kommentiert und korrigiert jeden Eintrag. Bereits für das Richtigstellen der ersten Karteikarte braucht er fünf Seiten. Das Typoskript dieses letzten Werkes von Max Frisch ist 2015 posthum bei Suhrkamp mit dem Titel «Ignoranz als Staatsschutz?» erschienen.
Ob bei der Überwachung von Max Frisch auch einmal ein Nagra SN zum Einsatz kam, bleibt offen. Sicher ist, dass die Erfolgsgeschichte des Spionagerecorders 1989 endet. Nicht nur wegen des Fichenskandals, sondern vor allem auch wegen des Falls der Berliner Mauer, womit die schweizerischen Staatsschutzorgane das Hauptobjekt ihres Interesses – das Szenario eines kommunistischen Umsturzes durch die Linken – verlieren.
Das Nagra SN besichtigen
Das kleine Wundergerät, das an die James-Bond-Ausrüstung erinnert, kann in der Dauerausstellung «Geschichte Schweiz» im Landesmuseum Zürich betrachtet werden. Zusammen mit einem als Koffer getarnten abhörsicheren Telefon des Polizeimuseums Zürich und einer Medienstation, die auch Teile von Max Frischs Kommentar seiner Fiche enthält, beleuchtet es das Thema des Staatsschutzes in der Schweiz während des Kalten Krieges.