Was ist schön? Eine Antwort auf diese Frage wird jeweils an den Miss-Wahlen gesucht. Wie hier in den 1950er-Jahren in der Schweiz.
Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Schön, schöner, am schönsten

Das geltende Schönheitsideal prägt eine Gesellschaft. Dass dies nicht ein Phänomen des 21. Jahrhunderts ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

Sommerzeit ist Badizeit. Wenn es warm wird, zieht es die Menschen ins Wasser. Ob Schwimmbecken, Fluss oder See, der Sprung ins kühle Nass gehört zu einem perfekten Wochenende. Aber Sommerzeit ist nicht nur Badizeit, sondern auch eine Zeit des Musterns, Vergleichens und auch eine Zeit des Verzichtens, denn im Badeanzug kann man nicht mehr schummeln. Der eine oder andere Zeitgenosse bleibt deshalb lieber zu Hause und geniesst die Abkühlung in der Badewanne. Wer sich auf den Musterungsprozess einlässt, stellt sich früher oder später die Frage, ob sein Körper dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Dieses ist heute omnipräsent und betrifft die Geschlechter fast im gleichen Masse.

Der «perfekte» Mann des 21. Jahrhunderts ist gross, sportlich und zeigt im Sommer gerne seinen Waschbrettbauch. Ein Bodybuilder, dessen Muskelpakete den Abendspazierung am See zum schwerfälligen Bummel machen, ist er aber nicht. Athletisch ja, aber bitte mit Mass. Als «perfekte» Frau gilt heute, wer gross, schlank, durchtrainiert und trotzdem weiblich ist. Lange Haare sind ein Muss und markante Wangenknochen erwünscht. Wenn die Frau dann auch noch natürlich wirkt, reicht es vielleicht sogar für eine Karriere als Fotomodell.

Sind die Menschen zu Sklaven von Äusserlichkeiten geworden? Vielleicht, allerdings sind sie dafür auch selbst verantwortlich, denn schön ist, worauf sich die Mehrheit einer Gesellschaft einigt. Und das hat auch mit den Themen zu tun, die dieser Gesellschaft gerade wichtig sind.

Fernreisen und eine braune Haut galten nach dem Zweiten Weltkrieg als chic und belegten den aufkommenden Wohlstand.
Schweizerisches Nationalmuseum

Schönheitsideale zementieren den Status

Ein gutes Beispiel dafür ist das Schönheitsideal der Nachkriegszeit. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mit Beginn einer boomenden Wirtschaft gehörten Reisen in ferne Länder zum Muss für einen Grossteil der Gesellschaft. Braun sein war in. Auch, um den Daheimgeliebenen zu zeigen, dass man verreist war. Der sommerliche Teint zementierte den Status. Dieses Schönheitsideal ging sogar soweit, dass beispielsweise die Spielzeugpuppe Barbie ab den 1970er-Jahren einen braunen Teint erhielt. Im 17. und 18. Jahrhundert hingegen, war eine weisse Haut das Nonplusultra. War dies nicht auf natürlichem Weg möglich, wurde mit Schminke nachgeholfen. Das war nicht ungefährlich, denn das oft verwendete Bleiweiss war giftig. Viele Menschen wussten das und verzichteten trotzdem nicht auf die Anwendung des Stoffs.

Das geltende Schönheitsideal ist also immer auch Statussymbol. Das zeigt sich beispielhaft, wenn man die Entwicklung des männlichen Körpers näher betrachtet. Im Barock galten üppige Körper als attraktiv. Das Erscheinungsbild widerspiegelte den Lebensstil dieser Epoche: Sinnesfreuden, Prunk und Dekadenz. Im späten 19. Jahrhundert galt ein molliger Männerkörper als Ideal. Er zeugte von Wohlstand in einer Zeit, in der viele hungerten. Anfang des 20. Jahrhunderts verändert sich das Vorbild hin zum schlanken Mann. Dazu haben die bessere Versorgungslage und die immer stärker werdende Filmindustrie beigetragen. In den 1960er-Jahren begann die Jugend zu rebellieren. Das zeigte sich nicht nur im Verhalten, sondern auch im äusserlichen Erscheinungsbild. Die jungen Männer liessen sich die Haare wachsen und achteten weniger auf ihren Körper. Training war in dieser Zeit verpönt. Nach einer muskulösen Phase in den 1980er-Jahren, die aus Bodybuilding einen Trend machte, scheint das männliche Schönheitsideal heute wieder auf dem gleichen Stand wie am Anfang des letzten Jahrhunderts zu sein.

Der wohl bekannteste Bodybuilder war Arnold Schwarzenegger. Hier auf einem Bild von 1974.
Wikimedia

Durchschnittlichkeit ist schön

Ähnlich verlief die Entwicklung bei den Frauen. Über Jahrhunderte galten Frauenkörper mit weiblichen Rundungen als attraktiv und erstrebenswert. Sie symbolisierten Fruchtbarkeit und belegten, dass man sich gutes Essen leisten konnte, also über einen gewissen Wohlstand verfügte. Der Statusgedanke spielte also wiederum mit. Seit einigen Jahrzehnten hat sich das Bild jedoch komplett verändert. Heute gilt in westlichen Ländern ein schlanker und trainierter Frauenkörper als ideal. Sprich, wer bei der heutigen Versorgungslage auf sich achtet, ist nicht übergewichtig. Das äusserliche Erscheinungsbild als Indiz für den Charakter einer Person.

Immerhin: Schön ist, worauf sich die Mehrheit einer Gesellschaft einigen kann und das ist meistens nicht das Extravagante, sondern ein Durchschnittswert. Oder anders gesagt: Das Schönheitsideal entspricht immer dem Kompromiss, auf den sich eine Gruppe von Menschen einigen kann. Dass dabei auch kulturelle Unterschiede eine grosse Rolle spielen, versteht sich von selbst.

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