La Chaux-de-Fonds war Ende des 19. Jahrhunderts für viele Juden eine neue Heimat.
Schweizerisches Nationalmuseum

Die Synagoge der Rue du Parc in La Chaux-de-Fonds

Am Aufschwung und der Modernisierung der Uhrenindustrie im Jura hatten jüdische Uhrenfabrikanten einen massgeblichen Anteil. Die grösste Synagoge der Schweiz wurde vor 125 Jahren in La Chaux-de-Fonds errichtet. Sie ist ein Wahrzeichen dieser Erfolgsgeschichte.

Gabriel Heim

Gabriel Heim

Gabriel Heim ist Buch- und Filmautor sowie Ausstellungsmacher. Er befasst sich vor allem mit Recherchen zu Themen der Neueren Zeitgeschichte und lebt in Basel.

«Ein Taufschein war in La Chaux-de-Fonds als «Entreebillet» für die bürgerliche Gesellschaft nicht nötig. Uhrmacherfertigkeiten aber, vielmehr noch Vermögen und ein bürgerlicher Lebensstil waren in der Uhrenstadt um die Jahrhundertwende ausreichend», schreibt Stefanie Mahrer in ihrem Buch «Handwerk der Moderne. Jüdische Uhrmacher und Uhrenunternehmer im Neuenburger Jura 1800 - 1914». Als das Comité der Communauté Israélite von la Chaux-de-Fonds im Jahr 1890 den Beschluss fasst, im Zentrum der Stadt ein repräsentatives und weithin als Synagogenbau erkennbares Gebetshaus zu errichten, sind in der Neuenburger Uhrenmetropole 800 Frauen und Männer jüdischen Glaubens niedergelassen. Wenige Jahre später, beinahe zeitgleich mit der festlichen Einweihung der neuen Synagoge an der Rue du Parc, erreicht die jüdische Bevölkerung ihren zahlenmässigen Höhepunkt. La Chaux-de-Fonds ist um 1900 die Schweizer Stadt mit der in Prozenten grössten jüdischen Einwohnerschaft.

Das Wachstum der jüdischen Gemeinde von La Chaux-de-Fonds hat seinen Ursprung in der Abschaffung des Niederlassungsverbots für Juden im Jahr 1857. Eine starke Zuwanderung tüchtiger jüdischer Elsässer aus dem unweiten Sundgau setzt ein. Und als ab 1866 den Juden auch der Erwerb der schweizerischen Staatsangehörigkeit offensteht, gewinnt die wirtschaftlich florierende Stadt zusätzlich an Anziehungskraft. Die neuen Bürger mit Namen Schwob, Bloch, Didisheim, Ditesheim, Weill oder Dreyfuss bringen Tatkraft und neue Ideen mit, denn sie erkennen, dass die traditionellen, in der ganzen Stadt verteilten, kleinteilig arbeitenden Ateliers der «fabrique horlogère collective» dem Druck einer sich rasch modernisierenden Uhrenfabrikation nicht länger gewachsen sind. Der althergebrachten Assemblage droht das Aus.

Jüdische Modernisierung der Uhrenindustrie

Der Weg aus der ersten grossen Uhrenkrise im Jura führt zur Errichtung von Syndikaten, internationalen Handelsniederlassungen und dem Aufbau von Uhrenfabriken, die in der Lage sind, grosse Stückzahlen für den Weltmarkt herzustellen. Die unlängst eingewanderten Jüdischen Unternehmer und Uhrmacher sind an der Modernisierung der Horlogerie massgeblich beteiligt. Sie lassen innovative Kollektionen entwickeln, finanzieren zukunftstaugliche Fabriken und bauen internationale Netzwerke auf. Ihren Marken geben sie die aus der Kunstsprache Esperanto entliehene Namen Eterna oder Movado. Ein Beispiel dieser Dynamik ist die Fabrik der Tavannes Watch Co., die in der Lage war, täglich bis zu 2500 Uhren zu fabrizieren. Im Jahr 1910 sind in La Chaux-de-Fonds vier von fünf Firmen mit einem steuerbaren Vermögen von mehr als 20'000 Franken in jüdischem Besitz.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts zählen die jüdischen Entrepreneure zur städtischen und wirtschaftlichen Elite der Neuenburger Uhrenmetropole, wovon auch heute noch ihre herrschaftlichen Fabrikantenvillen, ihre einst moderne Fabrikarchitektur und der grösste Synagogenbau der Schweiz ein sichtbares Zeugnis ablegen.

Uhrenschachtel von Movado, um 1950.
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Eigentlich sollte das neue Gotteshaus schon Mitte der 1880er-Jahre errichtet werden. Doch eine Welle politisch angeheizter Ausschreitungen, bei denen jüdische Geschäfte zu Bruch gehen und Puppen mit den Namen jüdischer Fabrikanten aufgehängt und angezündet werden, veranlasst die Gemeinde, den Bau zu vertagen. So wird erst 1892 ein Wettbewerb im Schweizerischen Baublatt ausgeschrieben. Die Gemeinde ist bemüht darum, ihr Vorhaben möglichst öffentlich darzustellen, denn der neue Synagogenbau soll von Anfang an als ein allseits anerkannter Beitrag zur städtischen Kultur wahrgenommen werden. Den Zuschlag erhält der Architekt Richard Kuder, der zunächst in Strassburg und später auch in Zürich (Rentenanstalt am Alpenquai, Schützenhaus beim Albisgüetli, Börse am Bleicherweg) repräsentative Grossbauten entworfen hat.

Am 28. Juni 1894 kann der Grundstein gelegt werden. In seiner Ansprache betont der Gemeinderabbiner Jules Wolff, dass die Gemeinde nun ein religiöses Gebäude besitzen werde, das seiner Bestimmung und der Anzahl der in La Chaux-de-Fonds lebenden israelitischen Mitbürger endlich genügen werde. Ganz im Stil der Synagogenarchitektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts entwirft Kuder auch für La Chaux-de-Fonds einen Zentralbau mit byzantinisch-romanischen Elementen. Die hohe, mit emaillierten Schindeln eingedeckte Kuppel verkündet weithin sichtbar den Wohlstand und das grossbürgerliche Selbstverständnis der prosperierenden Tausend-Seelen-Gemeinde.

Die Synagoge von La Chaux-de-Fonds.
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