Grenzland Schweiz
Seit Urzeiten prägen immaterielle Trennlinien den Alltag der Menschen. Bewusst oder ohne es zu merken, werden sie immer wieder überschritten.
Die Schweiz ist – wie jeder andere Staat auch – von der Landesgrenze umgeben, an welcher sich Brüche verschiedenster Art vollziehen: das Fensterformat wechselt, Sprache und Schrift auf den Wegweisern ändern, die Essenszeiten sind verschoben und sonntags öffnen die Bäckereien auch auf dem Land... Landesgrenzen sind manchmal aber auch Trennlinien, an denen sich Einheimische und Fremde verständnislos gegenüber stehen, kulturelle Unterschiede unüberwindbar zu sein scheinen und sich – schlimmstenfalls – Kriege entzünden. Grenzen müssen in der einen oder anderen Form sichtbar gemacht werden. Dazu dienen beispielsweise Steine oder Pfähle, die mit den Hoheitszeichen jener versehen sind, die sich an der Grenze begegnen. Es sind immer mindestens zwei Nachbarn betroffen, manchmal aber auch deren drei oder vier.
Immer wieder kam es vor, dass einer der Nachbarn den Namen wechselte oder eine neue (Zwangs-)Ehe einging. Das an die Schweiz grenzende Elsass ist dafür ein gutes Beispiel, war es doch in den letzten 400 Jahren mehrmals Teil des einen oder des anderen Nachbarn am Oberrhein.
1648 wurde es von Louis XIV kurzerhand ins französische Königreich einverleibt, 1871 eroberte es Deutschland zurück und seit 1919 gehört es wieder zu Frankreich. Jedes Mal musste die neue territoriale Situation auch entlang der Grenze zu den Eidgenössischen Ständen respektive zur Schweiz sichtbar gemacht werden. Auf den in Frage kommenden Grenzsteinen von Basel bis Kleinlützel im Jura hingegen gab es auf der schweizerischen Seite der Steine auch dann nichts zu verändern, als sich der Kanton Basel 1833 in die beiden Halbkantone teilte. Wer fortan dem schwarzen Baselstab begegnete, musste lediglich wissen, dass er nur noch den städtischen Teil des alten Basel repräsentierte...
Wenn Grenzen am Schreibtisch gezogen werden...
Je jünger eine Grenzziehung ist, desto eher kann gesagt werden, wie sie zustande kam. 1952 wurde die Grenze zwischen der Stadtgemeinde Basel und der Gemeinde Riehen in gegenseitigem Einverständnis aus rein praktischen Gründen leicht korrigiert unter Beibehaltung der Flächen der beiden Territorien. Manchmal hat ein Grenzverlauf auch eine ganz simple geografische Erklärung: östlich von Lucelle im Kanton Jura folgt er dem krummen Flusslauf der Lützel, den die erst im 19. Jahrhundert ausgebaute Strasse ignoriert und folglich mehrere Male das Ufer – und damit das Land! – wechselt.
Auch am Schreibtisch und direkt auf der Landkarte wurden schon Grenzen gezogen, wenn Regionen oder gar Kontinente administrativ eingeteilt wurden; davon gibt es Beispiele etwa in den USA oder im Nahen Osten, wo man solche Grenzen an ihrem schnurgeraden Verlauf erkennt. Was die Schweiz betrifft, so reichen die Gründe für den Grenzverlauf weit in die Geschichte zurück. Grundbesitz im Kleinen wie Grossen sind Ausgangspunkt für Grenzziehungen, und nicht selten hängt damit beispielsweise eine konfessionelle Zugehörigkeit zusammen, welche eine Region trennt. Der Appenzeller Kantonsteilung von 1597 ging die Reformation voraus; ihre Folge war die Entstehung des reformierten Kantonsteils Ausserrhoden und der Verbleib der Katholiken in Innerrhoden.
In der Südschweiz entstand die italienische Enklave von Campione 1803 aus dem Wunsch von deren Bewohner heraus, auch trotz der Entstehung des Kantons Tessin die jahrhundertealte Verbindung zu Como nicht zu beenden, die seit der Landschenkung eines Campionesen an den Bischof von Como im 9. nachchristlichen Jahrhundert bestand. Erst der italienische Ministerpräsidnet Benito Mussolini übrigens liess 1933 zu Campione «d’Italia» hinzusetzen; er war es auch, der unverhohlen festhielt, dass Italien eigentlich auf dem Gotthard-Pass an die Schweiz grenze.
Das Territorium von Campione war bis 1861 grösser und reichte bis ans gegenüberliegende Seeufer am Fuss des San Salvatore. Wer von Lugano südwärts Richtung Melide die Strasse benutzte, musste also über italienisches Gebiet. Bis 1804 stand dort weithin sichtbar «la forca» – der Galgen – von Lugano. Heute hingegen geniessen Touristen die herrliche Aussicht über den See ostwärts nach Porlezza in Italien. Sie kamen mit dem Auto und entgingen so der Gefahr des vielen Verkehrs, vor dem bereits 1927 Karl Baedeker die zu Fuss reisenden warnte.
Habsburger wollten ein Dorf behalten
Im Falle der von den Kantonen Schaffhausen und Thurgau umgebenen deutschen Ortschaft Büsingen handelt es sich um den 1723 nicht ganz geglückten Schaffhauser Rückkauf von an Österreich verlorenen Dörfern, bei dem das Habsburgerreich diese Gemeinde – im Gegensatz zu anderen in der Umgebung – behalten wollte. Die bei Österreich verbliebenen Territorien kamen 1805 zu Deutschland, weshalb der Staatsvertrag mit der Schweiz, welcher alle Büsingen betreffenden Details regelt, 1967 von der Regierung in Bonn unterzeichnet wurde.
In vielen Fällen sind heute gültige Grenzen im Mittelalter oder sogar noch früher gezogen worden. Aber selbst im 20. Jahrhundert kam es – rund um die Loslösung des jurassischen Teils des Kantons Bern und in deren Folge – zu neuen Grenzen. Deshalb kann man bei einer Wanderung im Laufental auf Grenzsteine stossen, die noch den Berner Bär zeigen, obschon dieses Gebiet seit 1994 zum Kanton Basel-Landschaft gehört.
Sprachgrenzen und Wort-Immigranten
Auch Sprachen haben ihre Territorien und es gibt folglich Sprachgrenzen; Wort-Immigranten werden als Fremdwörter bezeichnet. Nicht immer merkt man ihnen die Herkunft sogleich an, wie zum Beispiel im Fall des Wortes Grenze, das auf den ersten Blick reichlich deutsch klingt. Aber der Schein trügt! Das Wort ist ein Import aus dem Polnischen, wo es mit der gleichen Bedeutung «granica» heisst. Bereits im frühen Mittelalter hat es sich westwärts aufgemacht als Import heimkehrender Deutscher aus dem Nordosten Europas.
Umgekehrt betrachtet finden sich in der Sprache Spuren von Grenzsituationen: Das römische Kastell Ad Fines (Pfyn TG), der Fluss Murg in Frauenfeld, der Bezirk March im Kanton Schwyz und der Ort Murg am Walensee sind entlang der Grenze zwischen der römischen Provinz Maxima Saequanorum (im Westen ) und Rätia (im Osten) aufgereiht. Die drei Namen stehen für «Ende» (Ad Fines) oder «Grenze» (March, Murg).