Emile Taddeoli vor seinem Aeroplan bei einem Schaufliegen in Bern, 1911.
ETH-Bibliothek Zürich

Folgen­rei­che Abstürze

Die 1920er-Jahre sind auch das Jahrzehnt der Fliegerei. Flugshows verströmen Visionen. Doch ein schlimmes Unglück führt dazu, dass sich die Fliegerei in der Schweiz fortentwickelt: weg vom Spektakel, hin zur Zivilluftfahrt. Vor genau 100 Jahren geschieht dieser Richtungswechsel.

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw ist promovierter Historiker, Bühnenpoet und Schriftsteller. Er veröffentlicht regelmässig historische Bücher.

Es ist Pfingstmontag im Jahre 1920, das Wetter spielt mit, das grosse Schaufliegen in Romanshorn zieht Tausende von Fluginteressierten an. Die Piloten der «Ad-Astra»-Gesellschaft führen Passagierflüge durch und dann, um 14 Uhr, stehen gewagte Akrobatikflüge auf dem Programm. Aus Erzählungen über den Ersten Weltkrieg weiss das Publikum, welche waghalsigen Manöver die Piloten mit ihren fliegenden Kisten zu absolvieren vermögen.

Flugleutnant Emile Taddeoli, der zweite Schweizer mit dem Flugbrevet und mit seinen 41 Jahren ein erfahrener Mann, startet seinen Doppeldecker der Marke Savoia; sein Mechaniker Yvo Giovanelli, der 23-jährige Chefmonteur der Mailänder Flugmotorenfabrik Isotta Fraschini, steigt zu. Diesen Taddeoli, einen Tessiner mit Wohnsitz Genf, kennen die Leute, weil er schon seit 1909 fliegt, unzählige Flugfeste mit seinen Künsten in der Luft bereichert hat, und weil er auch als Rennfahrer mit dem Auto, aber auch mit dem Motorrad oder dem Velo unterwegs war.

Ernst Frick, Emile Taddeoli und Alfred Comte vor einer Savoia, ca. 1920.
ETH-Bibliothek Zürich

Die Maschine von Taddeoli steigt gerade in den Himmel, fliegt erste Girlanden und einen atemberaubenden Sturzflug – die Leute am Boden staunen und applaudieren. Dann steuert Taddeoli wieder steil nach oben, und auf einer Höhe von 400 Metern kommt es wie aus dem Nichts zu einer Explosion: Das Flugzeug zerbricht in tausend Stücke. Zuschauer wollen an diesem 24. Mai 1920 gesehen haben, wie die Flügel des Doppeldeckers, die Pilotenkabine, die Propeller und die Steuerflächen einzeln in den Bodensee hinabstürzten. Die beiden Flugpioniere sind sofort tot, ihre Körper verstümmelt; bei Taddeoli wird später festgestellt, dass «die rechte Schädelseite abgespalten» war.

Bei der Überführung der Leichen zum Romanshorner Bahnhof stehen Hunderte von Menschen Spalier, um «den toten Bezwingern der Luft» die letzte Ehre zu erweisen, wie der «Bote vom Untersee» rapportierte. Für heutige Ohren mag bei abgestürzten Piloten «Bezwinger der Luft» merkwürdig klingen, doch damals waren alle Piloten Helden. Zwischen Genf und dem Bodensee, zwischen Basel und dem Bündnerland fanden Schaufliegen und Flugtage statt, bei denen die im Krieg ausgebildeten Militärpiloten abenteuerliche Loopings und gefährliche Sturzflüge zeigten.

Wasserflugzeug auf der Schützenmatte in Zug.
Bibliothek Zug

Luftamt, Regelungen und Swissair

Dennoch hatte der Unfall von Romanshorn weitreichende Folgen für die Aviatik der Schweiz. Denn seit dem 1. April 1920 hatte der Bund das Eidgenössische Luftamt erhalten, basierend auf der «Ordnung des Luftverkehrs in der Schweiz». Damit erhielt die Fliegerei eine rechtliche Basis und Leitlinien, in denen sich die Piloten zu bewegen hatten. Schon ein halbes Jahr vor Taddeolis Todesflug war mit Oskar Bider ein weiterer Pilotenstar bei einer Flugakrobatik-Show in Dübendorf zu Tode gestürzt.

Es wäre besser, hiess es nun in den Zeitungen, statt dieser «Totenspiele» vermehrt praktischen Luftverkehr zu betreiben. Die «Ad Astra», gegründet von Flugpionieren Alfred Comte und Walter Mittelholzer, hatte die Flugschau organisiert und sah sich zu einer ausführlichen Stellungnahme genötigt. Sie sei, meinte sie in einer Zuschrift an das «Luzerner Tagblatt», als Unternehmen der Zivilaviatik entstanden, und zwar erst im Jahr des Unfalls. Doch sei in der Schweiz das Bedürfnis nach einem regelmässigen Luftverkehr «teils infolge mangelhafter Aufklärung, teils infolge vieler noch vorhandener Vorurteile» noch nicht vorhanden. Deshalb müsse die Gesellschaft ihren Umsatz auf anderen Gebieten erzielen, zum Beispiel mit Schaufliegen. Zudem seien solche Flugtage ein geeignetes Mittel, um das Publikum mit der Fliegerei vertraut zu machen.

Die Ad Astra versprach, fortan auf artistische Einlagen wie Sturzflüge zu verzichten. Stattdessen setzte die Gesellschaft auf Passagierrundflüge mit ihren Wasserflugzeugen – die Zivilluftfahrt legte an Höhe zu. Dies ist ein Wendepunkt in der Schweizer Aviatikgeschichte. Aufgrund der Unfälle mit Bider und Taddeoli wurde der zivile Einsatz der Luftfahrt zunehmend wichtig. Die Gründung der Swissair im Jahre 1931 war schliesslich eine späte Folge der schlimmen Unglücke.

Passagierflug auf dem Vierwaldstättersee.
ZHB Luzern

Einer von zahlreichen Unfällen: Abgestürztes Flugzeug von Oberleutnant Tobler mit eingezeichnetem Unfallverlauf, 1923.
Schweizerisches Nationalmuseum

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