Eheringe im Renaissance-Stil, Deutschland, Ende 19. Jahrhundert.
Die Ehepartner waren in der Schweiz lange nicht gleich gestellt. Eheringe im Renaissance-Stil, Deutschland, Ende 19. Jahrhundert. Foto: Schweizerisches Nationalmuseum

Dem Haupt der Gemein­schaft unterstellt

Das Zivilgesetzbuch von 1912 regelte die Beziehung von Ehepaaren: Mann und Frau sind in der Ehe im Prinzip gleichgestellt. Allerdings wirklich nur im Prinzip!

Elisabeth Joris

Elisabeth Joris

Elisabeth Joris ist freischaffende Historikerin und Spezialistin für Geschlechtergeschichte.

In der abgeschotteten Sphäre ihrer Wohnung liest und korrigiert Lina Huber-Weissert um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die von ihrem Ehemann Eugen Huber redigierten Studien und Paragrafen zum neuen Zivilgesetzbuch, das dem Professor über die Grenzen der Schweizer Öffentlichkeit hinaus wissenschaftliche und politische Anerkennung bringen soll. 1907 vom Parlament verabschiedet, tritt das Zivilgesetzbuch 1912 in Kraft und löst die bis zu diesem Zeitpunkt gültigen kantonalen Regelungen ab. Doch von Lina Huber-Weisserts Beitrag an diesem Werk wissen wir nur aus ihren persönlichen Briefkorrespondenzen, er bleibt in den Publikationen ihres Gatten unerwähnt. Ihr stilles Arbeiten zementiert vielmehr die von Eugen Huber in den Artikeln des Zivilgesetzbuches zum Ehe- und Familienrecht formulierten Vorstellungen der Zuständigkeit des Ehemanns für den Unterhalt der Familie. Auch in ihrer Rolle als Hausfrau verkörpert Lina Huber-Weissert das Ideal der Professorengattin. Sie führt den Haushalt und sorgt sich als Gastgeberin um das Wohl der Kollegen und Freunde ihres Ehemanns, die sich in ihrer Wohnung zum geselligen und wissenschaftlichen Austausch treffen. Sie folgt damit der von ihm im Zivilgesetzbuch formulierten Pflicht der Ehefrau, dem Mann mit Rat und Tat beizustehen und ihn in seiner Sorge für die Familie nach Kräften zu unterstützen.
Hochzeitsbild von Lina und Eugen Huber 1876.
Hochzeitsbild von Lina und Eugen Huber 1876. Burgerbibliothek, Bern, Sammlung Krebser

Unterschied­li­che Rechte und Pflichten

Nach Eugen Huber sind Frau und Mann in der Ehe im Prinzip gleichgestellt – allerdings wirklich nur im Prinzip. Die meisten Artikel des Familienrechts widersprechen diesem Grundsatz diametral. Die mit je unterschiedlichen Pflichten verknüpften unterschiedlichen Rechte von Ehefrau und Ehemann kaschieren die Geschlechterasymmetrien und Herrschaftsverhältnisse. Mit der Verantwortung des Mannes für den Unterhalt – der «Sorge» für die Gemeinschaft – legitimiert der Gesetzgeber dessen Stellung als «Haupt der Gemeinschaft », der auch allein die Familie nach aussen vertreten und Verträge schliessen darf. Die Ehefrau ist verhandlungsunfähig, ihre Unterschrift in fast allen rechtlichen Belangen ungültig. Weil der Ehemann einer Erwerbstätigkeit nachzugehen hat, soll er auch allein den Wohnort bestimmen können. Er darf die Wohnung ohne Einverständnis oder gar Konsultation der Ehefrau kündigen oder verkaufen. Laut Gesetz üben die Ehegatten die «elterliche Gewalt» gemeinsam aus. Allerdings behält bei Konflikten der Mann das letzte Wort, obwohl die Erziehung der Kinder eher als Domäne der Frau zählt. Die Übernahme von Namen und Bürgerort des Ehemanns markiert den Verlust ihrer Eigenständigkeit, Individualität und herkunftsmässigen Zuordnung.
In den meisten Haushalten ist die alleinige Zuständigkeit des Ehemanns für den Unterhalt weit von der Realität entfernt, ebenso die Vorstellung, dass die Frau ihn dabei einfach nur unterstützt. Vielmehr trägt die Ehefrau im Haushalt mit Kochen, Waschen und anderem mehr zur Sorge für die Familie bei. Tätigkeiten, deren Wert heute als unbezahlte Care-Arbeit statistisch erfasst wird. Im gewerblichen oder bäuerlichen Betrieb kooperieren Frau und Mann selbstverständlich. Doch auch im Bildungsbürgertum leistet die Ehefrau eines Anwalts, Arztes, Publizisten oder Professors in dessen Praxis oder Privatbüro – darin Lina Huber-Weissert ähnlich – vielfältige berufliche Arbeiten. Andere verheiratete Frauen übernehmen zu Hause als selbständige Schneiderinnen oder Bürokräfte Aufträge, beziehen als Heim- und Fabrikarbeiterinnen einen Lohn, arbeiten als Putz- und Waschfrauen sowie als Angestellte in dem sich ausweitenden Bereich des Handels oder auch in anderen Dienstleistungsbereichen. Dennoch können verheiratete Frauen, so das Gesetz, nur mit Erlaubnis des Mannes einer eigenständigen Berufstätigkeit nachgehen.
Heimarbeiterin aus dem Kanton Bern, Anfang 20. Jahrhundert.
Heimarbeiterin aus dem Kanton Bern, Anfang 20. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum
Frauen stellten sich schon im 19. Jahrhundert einzeln oder organisiert gegen solche Einschränkungen. Mit Petitionen auf kantonaler Ebene und Eingaben zur Totalrevision der Verfassung von 1874 forderten sie von Politikern, die ungleiche zivilrechtliche Stellung von Frau und Mann aufzuheben. Die beschlossene Vereinheitlichung der Zivilgesetzgebung gab 1900 Anlass zur Gründung des Bundes Schweizerischer Frauenvereine, der vergeblich einen Sitz in den vorberatenden Kommissionen von Stände- und Nationalrat forderte. Mit der Bevormundung der Ehefrau akzentuierte das Gesetz den Unterschied zwischen verheirateten und nichtverheirateten Frauen.

Als Ehefrau bevormundet

Das Bundesgesetz von 1882 erklärte alle nichtverheirateten Frauen – ledige, geschiedene und verwitwete – als handlungsfähig und hob damit die in einigen Kantonen noch herrschende Geschlechtervormundschaft auf, die alle Frauen – unabhängig von Alter und Zivilstand – unter männliche Vormundschaft stellte. Es beendete die Unsicherheit bei Kaufverhandlungen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kantone, in die nichtverheiratete Frauen einbezogen waren. Ihre Unterschrift erhielt unabhängig von den kantonalen Regelungen Gültigkeit. Von dieser Gleichstellung blieben die verheirateten Frauen jedoch ausgeschlossen, auch nach der Einführung des Zivilgesetzbuches. Die Ehefrau ist weder handlungsfähig noch ist ihre Unterschrift gültig. Lediglich für alltägliche Haushaltsausgaben handelt sie unter dem Begriff «Schlüsselgewalt» selbständig, die ihr der Ehemann aber auch wegen «Unfähigkeit» entziehen kann. Sie bleibt zwar im Prinzip Eigentümerin ihres Vermögens, doch der Mann kann darüber frei verfügen und den Gewinn nutzen. Einzig ihr während der Ehe verdientes Geld ist davon als gesetzliches Sondergut ausgenommen. Das eingebrachte Gut dagegen steht ihm weitgehend als ökonomische Ressource zur Verfügung: Es wird Teil des Vermögens seiner Firma, dient der Kapitalbildung sowie seiner Kreditwürdigkeit und ermöglicht ihm ein schnelles wirtschaftliches Handeln.
Hugo Oser (1863–1930) Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB) Zürich, 1912.
Hugo Oser (1863–1930) Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB) Zürich, 1912. Schweizerische Nationalbibliothek
So unterläuft das Güterrecht auch das im Zivilgesetzbuch geltende Erbrecht, das – mit Abstrichen zwar – die Gleichstellung von Frauen und Männern postuliert. Während mündige männliche Erben unabhängig vom Zivilstand das Erbe nach ihrem Gusto nutzen können, verlieren Frauen mit der Heirat die Kontrolle über das Ererbte. Als buchstäblich stille Teilhaberin des Geschäfts ihres Manns bleibt die Ehefrau weitgehend unsichtbar – so unsichtbar wie Lina Huber-Weisserts Beitrag am Schweizerischen Zivilgesetzbuch.

Weitere Beiträge