Durch den südlichen Teil des Kantons Thurgau fliesst die Murg nordwärts, um unweit von Üsslingen in die Thur zu münden. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts nutzte man im Abschnitt nördlich von Wil ihr Wasser nicht nur für Mühlen, sondern auch für die Gewinnung von Energie, denn es wurden beidseits des Gewässers Fabriken gebaut, zu denen abzweigende Kanäle gegraben wurden. Zwar haben diese ihre Funktion oft verloren, aber sie bilden heute ein kulturhistorisch interessantes Element in der Landschaft, an dem die Geschichte von Arbeit, Investition, (Miss-)Erfolg und Strukturveränderung erzählt werden kann.
Am Südrand der Stadt Frauenfeld kehrt als zweitletzter linksseitiger Industriekanal seit etwa 1830 jener in die Murg zurück, welcher ab 1917 eine Fabrik begleitet, deren Geschichte allerdings in Baden bei Wien beginnt: Dort leben der aus dem zürcherischen Ossingen stammende Giessermeister Eduard Sigg und seine aus Schlesien stammende Ehefrau Albertine Mohr. Ihnen wird am 15. Dezember 1877 Ferdinand geboren, der erste von vier Söhnen. Die Familie zieht später um nach Göppingen, einer kleinen Industriestadt am Neckar östlich von Stuttgart. Dort macht Ferdinand eine Lehre als Metalldrücker bei den Brüdern Märklin. Ferdinand Sigg wurde die Welt der Verarbeitung von Metall also in die Wiege gelegt, und er machte sie zu seinem Beruf und den Namen Sigg vor allem in der Schweiz gleichsam zu einem Synonym für Nützliches aus Aluminium.Aluminiumfabrik von Ferdinand Sigg, aufgenommen von Flugpionier Walter Mittelholzer, um 1920.ETH Bibliothek Zürich1888 war in Zürich die Firma Alusuisse gegründet und in Neuhausen am Rheinfall deren Betrieb aufgenommen worden. 20 Jahre später gründete Ferdinand Sigg zusammen mit Xavier Küng 1908 in Biel eine Fabrik, die aus Aluminium Freizeitartikel, Kochgeschirr und Elektrogeräte herstellte. Die beiden hatten sich um 1905 in der Gröninger AG in Binningen bei Basel kennen gelernt, deren Produkte – beispielsweise Touristenartikel – aus Aluminium mit dem Markennamen Edelweiss und Herkules verkauft wurden. Sigg und König versuchten, in der relativ jungen Branche Fuss zu fassen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts rasch entwickelte. Dazu brauchte es einigen Mut – und ein wenig Mut brauchte Ferdinand Sigg vielleicht auch, in Basel Fräulein Regina Montorfani aus Lugano anzusprechen, an deren Namen er sich allerdings schnell gewöhnen und die er 1908 heiraten sollte.Ehepaar Sigg-Montorfani an der Axenstrasse.Sammlung Jörg Sigg, Frauenfeld1917 zügelte Ferdinand Sigg, dessen Compagnon Küng die Firma kurz zuvor verlassen hatte, das Unternehmen in die seit 1904 leerstehende einstige Walzmühle in Frauenfeld, wo seit 1877 Schnupftabak hergestellt worden war. Bereits 1920 brachte Sigg auf den Markt, was in weiterentwickelter Qualität und immer wieder dem veränderten ästhetischen Geschmack angepasstem Design auch heute noch verkauft wird: die ebenso schlichte wie leichte zylindrische Flasche aus Aluminium, die man als Bettwärmer brauchen kann oder zum Transport von kaltem Tee auf Bergtouren. Im Sortiment der Aluminium-Waren, das sich im Laufe der Jahre auf mehrere Tausend Artikel erweiterte, gab es auch Feldfaschen für Soldaten, die selbst von Armeen auf dem Balkan oder im Vorderen Orient bestellt wurden.Siggs Aluminiumflaschen eroberten die Welt und sind bis heute gefragt.Sigg / Schweizerisches NationalmuseumGebrauchsgegenstände aus dem Leichtmetall Aluminium mit der Marke SIGG waren in den 1950er- und 1960er-Jahren in der ganzen Schweiz aus keinem Haushalt wegzudenken. Ob Salatsieb, Milchpfanne oder Backgeschirr, ob Vorratsdosen oder Eierharfen, ob Wäschebefeuchter oder Kettenabdeckungen für Fahrräder: Die Produkte von Sigg durchdrangen denn Alltag in der Schweiz ähnlich denjenigen von Wisa-Gloria – und den Kindern klingelte Spielzeuggeld aus Aluminium in der Krämerladenkasse. Längst begegnet man ihnen aber nur noch im Brockenhaus oder – wie etwa die Velonummern verschiedener Kantone – bei Sammlern.Dampfkochtopf von Sigg, um 1950.Schweizerisches Nationalmuseum99 Jahre nach Ankunft von Sigg in Frauenfeld, deren Trinkflasche sogar den Weg ins Museum of Modern Art in New York gefunden hat, wurde die Firma 2016 an die chinesische Haers-Gruppe verkauft. Aber bereits ab 1936 gehörte Sigg nicht mehr sich selber: die Aluminiumfabrik Menziken, die zeitweise Zulieferin und Konkurretin in einem war, übernahm die Sigg AG und rettet ihr damit das Leben.Ersatzspitz für gebrochene Skier.Schweizerisches NationalmuseumDie Weltwirtschaftskrise nach dem Black Friday vom 25. Oktober 1929 und dem Börsencrash einen Monat später hatten dem Unternehmen arg zugesetzt. Ferdinand Sigg erlebte wohl die Turbulenzen jener Tage, das Ende des stetigen Niedergangs seiner Firma hingegen nicht. Denn bereits am 8. Februar 1930 sollte sein energiegeladenes Unternehmerleben durch den Tod in Nizza ein jähes Ende finden.Bis heute führen Wegweiser von Sigg durch das Tessin.Bernhard Graf
Verdächtiger Leichentransport
Sigg verbrachte mit seiner Familie in Nizza Ferien. Die Wintermonate waren damals für die Destinationen an der französischen und an der italienischen Riviera Hochsaison. An vielen Orten dirigierten Schweizer Hotelbetriebe, führten Deutsche Apotheken und in grossen Lokalen wurde Bier aus der Tschechoslowakei ausgeschenkt. Die Mehrzahl der die Wärme suchenden Gäste stammten aus Gebieten nördlich der Alpen bis hinauf nach Russland.
Ausgerechnet in jenen Tagen anfangs Februar 1930 machte in Europa Alexander Pawlowitsch Kutepow von sich reden, der als General der russischen Armee auch ein Führer der Weissen Partei im russischen Bürgerkrieg war. Ihn, der nach 1918 als Grossgouverneur der russischen Schwarzmeerregion für Repressionen an der Bevölkerung verantwortlich war und der später in Paris im Exil lebte, entführte der russische Geheimdienst Ende Januar 1930.Alexander Pawlowitsch Kutepow, um 1919.WikimediaAls nun der Leichnam von Ferdinand Sigg bald nach seinem Tod in die Schweiz transportiert wurde, erweckte die fremdländische Sprache der den Transport begleitenden Familienangehörigen in der piemontesischen Stadt Novara den Argwohn der wegen der Kutepow-Geschichte besonders wachsamen Polizei. Mitten in der Nacht wollte sie wissen, wer der Tote sei, und es mussten Dokumente vorgelegt werden, die garantierten, dass es sich nicht zufälligerweise um den russischen General handeln würde. Die Gazzetta Ticinese vom 22. Februar erzählt diese Geschichte, nicht ohne sich über die italienische Polizei lustig zu machen und für die Hinterbliebenen gebührend Mitgefühl zu zeigen.
Im Nachruf auf Ferdinand Sigg, der am 10. Februar 1930 im Corriere del Ticino erschienen war, wurde bemerkt, dass es Siggs persönlicher Wunsch gewesen sein, auf dem Friedhof in Lugano begraben zu werden. Zwei Kilometer nordwestlich vom Monte Bré, wo der Thurgauer Unternehmer alljährlich im Hotel Kulm seine Ferien verbrachte, erinnert denn auch auf dem Cimitero monumentale von Lugano ein grosses Grabmahl an ihn.Grabmahl Sigg in Lugano.Bernhard Graf
Wer auf der Riederfurka unterwegs ist, kommt nicht um die Villa Cassel herum. Das eigenwillige Bauwerk von 1902 ist weitum sichtbar und war das ehemalige Feriendomizil eines gestressten Engländers.
Velofahren boomt, dank Corona und E-Bike. Blütezeit des Velos waren jedoch die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts: Damals dominierte das Velo das Strassenbild, und im Eidgenössischen Parlament hiess es 1913 gar: «Die heutige Welt könnte ohne Fahrrad gar nicht mehr existieren.»
1955 war er eine Sensation – der Projektor mit dem Namen Spitlight, der Bilder auf Felswände und Wolken projizieren konnte. Das futuristische Gerät brachte seinem Erfinder jedoch kein Glück.