
Jerusalem in Rothenthurm
Dies ist die Geschichte eines politischen Flüchtlings in der Schweiz, der er es zum Kaiser Frankreichs brachte. Und auf seinem Weg einige Spuren hinterliess. Auch solche, die bis heute hell leuchten.
Ebenso wenig zu übersehen ist auch der Kronleuchter, der im Innern der Kirche hängt: Er ist über fünf Meter hoch und hat einen Durchmesser von vier Metern! Das ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zuerst ist der Leuchter viel älter als die Kirche, er stammt nämlich von 1865, während die Kirche erst 1940 ihre Einweihung erlebte. Doch das ist nicht aussergewöhnlich und kommt in vielen Kirchen hierzulande vor, dass ein Altar, ein Bild oder eine Skulptur viel älter ist als das Gebäude.


Ansichten der Kirche St. Antonius in Rothenthurm. Michael van Orsouw
Das ist reichlich übertrieben, denn Hortense und ihr Prinz Louis-Napoléon sind zwar Verbannte, aber haben doch einiges mehr als nur einen Esel und Stall zur Verfügung, nämlich drei Kutschen für sich, ihre Bediensteten und das Gepäck. Bevor sie sich für kurze Zeit in Konstanz und dann für Jahre in Salenstein im Thurgau niederlassen, finden die französischen Flüchtlinge für ein paar Tage Unterschlupf im Kloster Einsiedeln. Dafür sind sie ewig dankbar.
Der Kaiser spricht Thurgauer Dialekt
Zunächst kommt das meisterhafte Werk aus der Pariser Goldschmiedewerkstatt von Louis Bachelet in den Predigtraum der Stiftskirche Einsiedeln, auch wenn der Leuchter nicht richtig in die barocke Welt der Klosterkirche passt. Zudem verdeckt er die freie Sicht auf die kunstvollen Deckenmalereien. Aber ein kaiserliches Geschenk, das schon damals einen ungemein hohen Wert von rund 40'000 Franken hat, will man nicht einfach verschmähen.
Der Arzt lässt den Leuchter zerlegen, in 35 Jutesäcke verpacken und mit Ross und Heuwagen in seinen Keller transportieren. Kamer lagert ihn während fast 20 Jahren ein. Als der Schwyzer Denkmalpfleger Markus Bamert 1992 die Kirche Rothenthurm restauriert, erinnert er sich an den eingelagerten Leuchter. In einer Scheune lässt er den Leuchter probehalber aufhängen, erstellt Fotomontagen und überzeugt schliesslich die Kirchgemeinde Rothenthurm, dem kaiserlichen Leuchter ein Asyl zu geben. Die Einsiedler gaben einst dem Kaiser ein Obdach, die Rothenthurmer jetzt seinem Leuchter.
Nach der Fertigstellung der Renovation 1995 entdeckte Denkmalpfleger Bamert eine Entwurfzeichnung für vier Leuchter in der Kirche St. Antonius: Es waren Miniaturversionen des kaiserlichen Leuchters. Sie wurden nie realisiert.


