Jakob Leonhard hat im Spanischen Bürgerkrieg anscheinend gegen die Faschisten gekämpft. Dafür wurde er in der Schweiz verurteilt. Illustration von Marco Heer.

Gestatten, Leonhard, Kriegsheld…

Jakob Leonhard hat im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten gekämpft. Oder doch nicht? Die mysteriöse Geschichte eines Zürcher Taxichauffeurs, der auszog, um als Held zurückzukehren.

Andrej Abplanalp

Andrej Abplanalp

Historiker und Kommunikations-Chef des Schweizerischen Nationalmuseums.

Rund 850 Schweizerinnen und Schweizer zogen zwischen 1936 und 1939 freiwillig in den Spanischen Bürgerkrieg. Obwohl grundsätzlich ein nationaler Konflikt, wandelte sich die Auseinandersetzung schnell zu einem internationalen Problem. Der Putsch des Militärs unter der Führung von General Francisco Franco gegen die demokratisch gewählte Volksfrontregierung spaltete Spanien und ganz Europa in zwei Lager: ein konservatives rechtes und ein sozialistisch-kommunistisches linkes. Während die Rechten von den Faschisten aus Italien und Deutschland tatkräftig unterstützt wurden, konnten die Linken neben viel ideologischer und teilweise auch finanzieller Unterstützung vor allem Freiwillige mobilisieren. Darunter auch den Zürcher Jakob Leonhard.
TV-Doku zum Spanischen Bürgerkrieg. YouTube
Jakob Leonhard wird 1897 in Zürich geboren. Er hat zehn Geschwister und wächst in Zürich auf. Nach der obligatorischen Schulzeit macht er eine Lehre als Mechaniker. Später arbeitet er als Chauffeur und Taxifahrer. 1919 heiratet Jakob Leonhard Frieda Stähli. Er wird Vater eines Mädchens. Da seine Frau sich aber dauernd verschuldet, kommt es 1931 zur Scheidung. Auch die kurze Zeit später geschlossene zweite Ehe mit Jda Keller hält nicht lange. Bald schon zerstreiten sich die beiden. Die Scheidung rückt näher. Gerät Leonhard immer an die falschen Frauen? Vielleicht. Allerdings scheint auch Jakob Leonhard kein einfacher Zeitgenosse. Regelmässig macht er Bekanntschaft mit der Polizei. In seiner Akte stehen zahlreiche Vergehen: vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung, Raufhandel, zu schnelles Autofahren, Ungehorsam... Es scheint, als sei Jakob Leonhard auch der Umgang mit Arbeitskollegen schwer gefallen. «Bei seinen Kollegen war er nicht beliebt. Er hatte mehr Feinde als Freunde», erinnert sich Hans Raus, bei dessen Taxiunternehmer Leonhard fast drei Jahre gearbeitet hat. Er sei gerne auf seinen Vorteil bedacht gewesen. Immerhin, «als Chauffeur war ich mit ihm zufrieden».
Porträt von Jakob Leonhard 1930er-Jahre.
Porträt von Jakob Leonhard 1930er-Jahre. zVg
Was treibt diesen Taxifahrer im Januar 1937 aus Zürich nach Spanien? Ist es eine Flucht vor der zweiten Ehe, die den Bach runter geht? Kommt Jakob Leonhard mit dem Leben in der Schweiz nicht mehr klar? Flieht er vor dem Gesetz? Vor der Einsamkeit bei der Arbeit? Er selbst sieht sich als Abenteurer und überzeugten Antifaschist. So jedenfalls stellte sich Jakob Leonhard Jahre später in einem Zeitungsartikel dar. «Bei Nacht und Nebel ging's damals los: Genf-Paris-Cebres-Barcelona und sofort an die Front von Huesca in Katalonien. Dort erhielt ich meine Feuertaufe. Bald wurde mir eine Mitrallieur-Kompanie anvertraut, mit der ich fast täglich Scharmützel, Gefechte und oft genug auch harte Kämpfe auszutragen hatte.» Bei seiner Rückkehr 1937 in die Schweiz wird er vor ein Militärgericht gestellt, aus der Armee ausgeschlossen und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Die Haftzeit wird später um einen Monat reduziert. Leonhard ist tief gedemütigt, hatte er doch in Spanien für Freiheit und Demokratie gekämpft... «Als ich eines Tages von Berlin über Lindau nach Spanien zurückkehren wollte, wurde ich in Romanshorn verhaftet, wegen ‹Schwächung der schweizerischen Wehrkraft› vor Gericht gestellt und zu sieben Monaten Gefängnis verknurrt. Ein schöner Denkzettel! Ich brannte darauf, zu beweisen, dass ein Spanienfahrer kein schlechter Schweizer zu sein braucht — im Gegenteil! Weniger meine Abenteuerlust als meine politische Überzeugung hat mich nach Spanien getrieben.»
Der «Held» aus Spanien erzählte seine Geschichte 1945 in der Weltwoche.
Der «Held» aus Spanien erzählte seine Geschichte 1945 in der Weltwoche. Schweizerisches Bundesarchiv
Die Brutalität des Krieges zeigte sich besonders eindrücklich bei der Schlacht um Guadalajara, 1937.
Die Brutalität des Krieges zeigte sich besonders eindrücklich bei der Schlacht um Guadalajara, 1937. Wikimedia
Die Akten des Gerichtsfalls zeichnen jedoch ein anderes Bild. In diversen Vernehmungen bestreitet der «antifaschistische Freiheitskämpfer» vehement, dass er im Spanischen Bürgerkrieg war. Mal war er auf Arbeitssuche im Süden, mal war er zum Vergnügen dort. Mal ist er vor der zerrütteten Ehe in der Schweiz geflüchtet, mal ist er im Land herumgereist. «Ich bin nie verwundet worden, ich hatte überhaupt nie ein Gewehr in der Hand. Auch Chauffeurdienste wollte ich im Heer nicht verrichten, ich wollte in Spanien überhaupt keinen Dienst tun.» Er simuliert sogar, um nicht in den Kampf ziehen zu müssen. «Anfangs März, als die Luft in Barcelona revolutionsschwanger wurde, begab ich mich zu einem Arzt, erzählte ihm meine ganze Geschichte und ersuchte ihn um Rat. Er wies mich wegen Blinddarmentzündung in das General-Hospital Cattalena ein. Hier blieb ich vom 25. März ununterbrochen bis 6. Juli. Gefehlt hat mir in Wirklichkeit nichts.»
Leonhard anerkannte das Urteil nicht. In einem zweiten Verfahren wurde die Strafe um einen auf insgesamt sieben Monate reduziert.
Leonhard anerkannte das Urteil nicht. In einem zweiten Verfahren wurde die Strafe um einen auf insgesamt sieben Monate reduziert. Schweizerisches Bundesarchiv
Jakob Leonhard war ein Hochstapler. Er wollte die Frauen beeindrucken und der Krieg in Spanien war die perfekte Bühne dazu. Der Konflikt war in aller Munde und trotzdem war es 1937 unmöglich, den Wahrheitsgehalt von Leonhards Aussagen zu überprüfen. «Fräulein Künzler habe ich aus Spanien 2 oder 3 Briefe geschrieben. Aus dem Spital glaublich 1 oder 2. Ich habe ihr geschrieben ich sei verwundet im Spital, ich hätte einen Bauchschuss bekommen. Das gleiche schrieb ich auch meiner Frau. So schrieb ich ihr unmittelbar nach einem Bombardement Barcelona's, ich sei in Madrid im Krieg gewesen und sei jetzt im Urlaub in Barcelona.»

Postkarte als Beweis

Die Behörden glaubten Jakob Leonhard grundsätzlich, dass er nicht im Krieg gewesen war. Trotzdem wurde er wegen «Eintritt in fremden Militärdienst» verurteilt. Dazu reichte eine Postkarte, welche er seiner Frau Jda geschickt hatte. Darauf ist er in Uniform zu sehen. Auf der Rückseite prahlt der Schweizer damit, morgen in den Krieg zu ziehen: «Morgen geht es an die Front. Hier siehst Du mich als Miliz. Gruss Scheggi.» Dass er nur einige Tage in der Kaserne weilte, verschwieg er. Seine «Begabung» zu lügen brachten ihn 1937 ins Gefängnis. In den 1940er-Jahren wäre deswegen fast hingerichtet worden. Aber das ist eine andere Geschichte...
1937 schrieb Leonhard eine Postkarte an seine Ehefrau Jda. Darauf präsentiert er sich als Milizsoldat.
1937 schrieb Leonhard eine Postkarte an seine Ehefrau Jda. Darauf präsentiert er sich als Milizsoldat. Schweizerisches Bundesarchiv
Im zweiten Teil erfahren Sie, wie aus dem Hochstapler Jakob Leonhard ein Doppelagent wurde, der die Nazis mit falschen Informationen belieferte und dafür zum Tod verurteilt wurde. Sein Leben hing während Wochen an einem seidenen Faden...

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