
Der Erste sollte der Letzte sein
Jahrzehntelang bemühte sich das kommunistische Regime in Ostdeutschland um engere Kontakte zur Schweiz. Drei Wochen nachdem erstmals ein DDR-Ministerpräsident in Bern weilte, hörte der Staat auf zu existieren.
Auch zwei weitere Bundesräte und der Bundespräsident machen dem Besucher aus Berlin-Pankow die Aufwartung. Nach den Arbeitsgesprächen in der Bundesstadt trifft der Regierungschef der DDR am Nachmittag im Zürcher Kongresshaus mit den Spitzen von Finanz und Wirtschaft zusammen, um neue Investitionsmöglichkeiten in Ostdeutschland auszuloten. Das Bild vom 10. September 1990 hält den historischen Moment fest, von dem die Parteioberen des DDR-Regimes jahrzehntelang sehnsüchtig geträumt haben. So könnte man meinen...

Dies galt selbstredend auch für die neutrale Schweiz, die keinesfalls ihren mächtigen Nachbarn und bedeutendsten Handelspartner durch irgendwelche Fehltritte gegenüber den ungeliebten ostdeutschen Kommunisten irritieren wollte. Im Gegenzug versuchten die DDR-Behörden umso eindringlicher «immer wieder mit allen Mitteln, einer de facto Anerkennung ihres Staates durch die Schweiz näher zu kommen», wie das Eidgenössische Politische Departement (ab 1979 EDA) in den 1960er Jahren festhielt (dodis.ch/31183): «Auf Seiten der DDR liegt ein wirtschaftliches, vor allem aber ein eminent politisches Interesse an der Aufnahme offizieller Kontakte mit der Schweiz vor.» (dodis.ch/32468)

Als kurz darauf mit dem Grundlagenvertrag die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten normalisiert wurden, war die Schweiz mit ihrer Anerkennung der DDR noch am 20. Dezember 1972 – just einen Tag vor Unterzeichnung des deutsch-deutschen Vertragswerks – unter den ersten westlichen Ländern (dodis.ch/34372). Die Geste blieb eine Episode. So schloss die Schweiz 1975 als letzter westeuropäischer Industriestaat ein Handels- und Wirtschaftsabkommen mit der DDR ab (dodis.ch/49969).
TV-Beitrag zum Treffen mit dem DDR-Minister in Bern. SRF
23 Tage, bevor er sein Werk vollendet hatte, besuchte er die Schweiz.
Video des Mauerfalls von 1989. YouTube

Gemeinsame Recherche
Der vorliegende Text ist das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen dem Schweizerischen Nationalmuseum und der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz (Dodis). Das SNM recherchiert im Archiv der Agentur Actualités Suisses de Lausanne (ASL) Bilder zur schweizerischen Aussenpolitik und Dodis kontextualisiert diese Fotografien anhand des amtlichen Quellenmaterials. Die Akten zum Jahr 1990 wurden im Januar 2021 auf der Internetdatenbank Dodis publiziert. Die im Text zitierten Dokumente sind online verfügbar: dodis.ch/C2111.