
Meine Nazi-Grossmutter
Ich erfuhr spät, dass meine Grossmutter, die ich nie kennenlernte, überzeugte Nationalsozialistin gewesen ist. Nach der Lektüre hunderter Briefe stellte ich mit Erschrecken fest, wie viel Schuld sie auf sich geladen hat.
Ich bedaure es, meine deutsche Grossmutter nie kennengelernt zu haben. Sie starb im Dezember 1945 in St. Blasien im Schwarzwald, nahe der Schweizer Grenze. An ihrem Totenbett lag Monate nach Kriegsende statt der Bibel Hitlers «Mein Kampf».
Krankheit und Nöte
Hilde hat viele Menschen, darunter Mitbürgerinnen und Mitbürger, geschnitten, missachtet, ausgeschlossen, vertrieben, vermutlich denunziert. Zeitlebens hat sie nicht erkannt, wie sehr sie Unrecht tat. Ist es zulässig, Mitgefühl zu haben mit ihr, der bekennenden Nationalsozialistin? Sie hat bisweilen gelitten als moderne Frau, Mutter und Ehepartnerin. Das wird aus ihren Briefen deutlich. Politisch und ideologisch hat sie sich fürchterlich geirrt, das wird im Nachhinein zweifellos klar. Sie hatte eine ausgeprägte Energie. Vielleicht war sie auch liebevoll. Ihre Briefe zeugen von Klarheit im Denken und einer differenzierten Sprache. Ich, ihre Enkelin, fühle mich Hilde in Vielem verwandt. Und ich kann nicht sicher sein, dass ich es an ihrer Stelle besser vermocht hätte. Das irritiert.
Gnadenlos geirrt
Im Mai 2021 erschien im Hamburger Verlag Tedition das Buch Gnadenlos geirrt. Die Geschichte meiner Grossmutter (1907-1945) von Barbara Bonhage. Mehr Informationen dazu gibt es hier.


