Die Tiger am Ziel ihrer Träume: Schweizermeister 1976.
Die Tiger am Ziel ihrer Träume: Schweizermeister 1976. Foto: Hans Wüthrich

Wie der SCL zum Tiger kam

1970 revolutioniert der SC Langnau die Schweizer Sportlandschaft. Mit einem Trick erfindet der Dorfclub die Trikotwerbung.

Marco Oppliger

Marco Oppliger

Marco Oppliger arbeitet für die Sportredaktion Tamedia. Er berichtet regelmässig über die SCL Tigers.

Die Bärte werden länger, die Gangart wird rauer – das sind untrügliche Zeichen, dass die Playoffs begonnen haben. Die Schweizer Eishockey-Saison steuert ihrem Höhepunkt entgegen, der Kampf um den Meistertitel sorgt im 2-Tages-Rhythmus für Spektakel. Eines jedoch steht bereits jetzt fest: Der Pokal wird auch in diesem Jahr nicht an die SCL Tigers gehen. Letzter 2021, Zweitletzter 2022 – die Emmentaler blicken auf zwei miserable Spielzeiten zurück. Beheimatet in einer wirtschaftsschwachen Randregion, versucht sich der Club seit Jahren mit bescheidenen Mitteln in der National League zu behaupten. Bei so viel sportlichem Überlebenskampf könnte glatt vergessen gehen, dass der SC Langnau – wie der Verein bis zur Gründung der Aktiengesellschaft 1999 hiess − einst der Konkurrenz auf und neben dem Eis weit voraus war. Der Tiger gehört zu Langnau, das weiss fast jedes Kind. Doch wie der Club zu seinem Wappentier kam, das wissen wohl nur die Wenigsten. Nämlich mit einem «Buebetrickli» – um im Eishockey-Vokabular zu bleiben. In der Anfangszeit spielt der 1946 gegründete Verein mit dem Schriftzug SCL, Langnau oder einfach einem L auf der Brust.
In den 1960er-Jahren spielten die Langnauer (meist) noch ohne Tiger auf der Brust.
In den 1960er-Jahren spielten die Langnauer, hier Gerhard Wittwer (links), noch ohne Tiger auf der Brust. Meistens auf jeden Fall... SCL Tigers / Jakob Menolfi
Das ändert sich zur Saison 1970/1971, als plötzlich ein Tigerkopf die gelben und roten Trikots ziert. Es ist dasselbe Logo, das die lokale Tiger-Käse AG für ihre Schmelzkäse-Produkte verwendet. Und das ist natürlich kein Zufall. Das alteingesessene Unternehmen möchte den Dorfclub finanziell unterstützen. Doch weil Trikot-Werbung damals strengstens verboten ist, kann dieser keine Gegenleistung bieten. Also entscheiden sich die Langnauer kurzerhand, den Tiger ins Clublogo zu nehmen. Der Eishockey-Verband reagiert umgehend und droht ihnen mit dem Ausschluss aus der Meisterschaft.
Ab den 1970er-Jahren war dann der Tiger immer mit auf dem Eis. Auch gegen den Protest des Verbands...
Ab den 1970er-Jahren war dann der Tiger immer mit auf dem Eis. Auch gegen den Protest des Verbands... Dukas / RDB
Aber er macht die Rechnung ohne Walter Schwarz, den damaligen SCL-Präsidenten. Der Fürsprecher stösst im Archiv auf alte Fotos, welche Langnau mit einem Tiger auf dem Leibchen zeigen. Sie datieren aus dem Jahr 1961, als der SCL erstmals in der Nationalliga A spielte. Schwarz kann also beweisen, dass der Tiger schon lange zu Langnau gehört. Worauf der Verband seine Drohung zurückzieht. Die Krux: Jenes Logo von 1961 zierte ebenfalls die Produkte und Briefköpfe der Röthlisberger & Sohn AG, die später zur Tiger-Käse AG wurde. Wie es damals seinen Weg auf die Trikots fand, ist unklar. Dem Club kann das egal sein, durch das Sponsoring erhält er jährlich 40’000 Franken – eine für damalige Verhältnisse horrende Summe.
Briefkopf der Roethlisberger & Sohn AG, 1961.
Briefkopf der Roethlisberger & Sohn AG, 1961. Foto: Marco Oppliger
Gruppenbild des SC Langnau von 1965.
Gruppenbild des SC Langnau von 1965. SCL Tigers
Welch Coup dem SC Langnau 1970 gelingt, zeigt ein Vergleich zum Fussball. Auch dort ist Trikot-Werbung strikt verboten. Erst sechs Jahre später wirbt mit dem FC Basel erstmals ein Schweizer Club für ein Unternehmen. Und zwar für das Reisebüro von Umberto Guarnaccia. Dieser legt dem FCB-Vorstand bei einem Abendessen einen Check von 100’000 Franken auf den Tisch und übertrumpft damit die namhafte Konkurrenz (Bankverein, Fiat und Pirelli), die sich ebenfalls für das Sponsoring beworben hat. Von einem auf den anderen Tag wird sein Reisebüro zum Stadtgespräch. Nach nur einer Saison zieht sich Guarnaccia wieder zurück – schliesslich hat er sein Ziel erreicht.
Basel mit Sponsor auf dem Trikot gegen GC, April 1977.
Basel mit Sponsor auf dem Trikot gegen GC, April 1977. Keystone / STR
Aber zurück zum Eishockey: In jener Zeit sind die Clubs noch viel stärker als heute auf die Zuwendungen von Mäzenen angewiesen. Charles Frutschi in La Chaux-de-Fonds, Madame Janine Potin in Villars oder Willy Gassmann in Biel formen in Eigenregie Meisterteams. Lange bevor horrende Löhne bezahlt werden, locken sie die Spieler, die damals noch alle einem Beruf nachgehen, mit Prämien oder Engagements in ihren Unternehmen an. Langnau kann dank des grosszügigen Sponsoring der Tiger-Käse AG unter anderem einen Ausbildungsfond äufnen und so den Spielern etwa einen Lohnausgleich zahlen. Es folgen goldene Jahre: Im Sommer 1975 erhält die Eisbahn ein Dach und wird zur Ilfishalle. Im März 1976 feiert der SC Langnau dann seinen bisher einzigen Meistertitel. Es ist ein Triumph eines Dorfclubs über die reichen Städter aus Biel und Bern – damals die ärgste Konkurrenz der Emmentaler. Nur 4 der 22 Spieler der Meistermannschaft stammen nicht aus Langnau. Bis Anfang der 1980er-Jahre spielt der Club regelmässig um den Titel mit, dann setzt die Professionalisierung im Schweizer Eishockey ein, mit welcher Langnau nicht Schritt halten kann. Es folgt ein Niedergang, der bis in die 1. Liga führt. Erst 1998 kehrt der SCL wieder in die NLA zurück. Dort kann er sich seither– mit Ausnahme von zwei Saisons – halten.
Der einzige Meistertitel der Langnauer, 1976. SRF
Die Tiger-Käse AG übrigens wird 2003 vom Lebensmittelkonzern Emmi übernommen. Aber auch in der neuen Form hält sie den SCL Tigers noch bis 2010 als Sponsorin die Treue. Eine solche Verbundenheit eines Unternehmens mit einem Club ist beispiellos.

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