Still aus der neusten Verfilmung von Gottthelfs «Die Schwarze Spinne».
Dank dem Pakt mit dem Teufel erfüllen die armen Sumiswalder den Befehl des bösen Ritters in nur wenigen Tagen eine Buchenallee zu seinem Schloss zu erstellen. Still aus der neusten Verfilmung von Gottthelfs «Die Schwarze Spinne». © 2022 Ascot Elite Entertainment Group

Der Wald der Schwarzen Spinne

In Gotthelfs Novelle «Die Schwarze Spinne» geht es um Gier, Zwietracht und die Macht der Seuche. Der Autor verarbeitet darin aber auch seine Enttäuschung über die ungebremste Abholzung der Berner Wälder.

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz

Noëmi Crain Merz ist Historikerin an der Universität Basel.

Als Jeremias Gotthelf Anfang der 1840er-Jahre Die schwarze Spinne zu Papier bringt, ist er verbittert über die politische Entwicklung seiner Heimat. Den Sturz des alten Regimes in Bern 1831 hat er zwar begrüsst, das neue enttäuscht ihn jedoch. Den Freiheitsgedanken leitet der dichtende Pfarrer aus der göttlichen Offenbarung ab, nicht aus der menschlichen Vernunft. Er verachtet die radikalen Kräfte, die in der Eidgenossenschaft zunehmend das Sagen haben, Säkularisierung und wirtschaftliche Liberalisierungen sind ihm ein Gräuel. Die alte Aristokratie sieht er von einer neuen abgelöst: einer Geldaristokratie, in der die Starken auf dem Buckel der Schwachen reich werden. «O du Lehre von der persönlichen Freiheit», klagt er, «wie ähnlich siehst du dem Grundsatz, dass der Stärkere Meister sei!»
Jeremias Gotthelf (1797-1854).
Jeremias Gotthelf (1797-1854). Schweizerisches Nationalmuseum
Manuskript zu «Die Schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf, 1842.
Manuskript zu «Die Schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf, 1842. Burgerbibliothek Bern
Auch in der Novelle Die schwarze Spinne, die 1842 erscheint, gilt das Recht des Stärkeren: Der wohlhabende Ritter Hans von Stoffeln beutet die armen Bauern aus und auferlegt ihnen erst noch eine schier unlösbare Aufgabe. Der ganze Sumiswald muss von seinem ursprünglichen Ort an einen neuen verpflanzt werden.

Mein Schloss ist fertig, doch noch eines fehlt, der Sommer kömmt, und droben ist kein Schatten­gang. In Zeit eines Monates sollt ihr mir einen pflanzen, sollt hundert ausgewach­se­ne Buchen nehmen aus dem Münneberg mit Ästen und Wurzeln und sollt sie mir pflanzen auf Bärhegen, und wenn eine einzige Buche fehlt, so büsst ihr mir es mit Gut und Blut.

Hans von Stoffeln in «Die Schwarze Spinne»
Sitz des fiktiven Ritters Hans von Stoffeln. Das Schloss Sumiswald in einem Kupferstich von 1744.
Sitz des fiktiven Ritters Hans von Stoffeln. Das Schloss Sumiswald in einem Kupferstich von 1744. Schweizerische Nationalbibliothek
In ihrer Verzweiflung lassen sich die Bauern auf einen Pakt mit dem Teufel ein. Dieser verlangt für seine Dienste einen horrenden Preis: ein noch ungetauftes Kind. Damit sät er Zwietracht und Zerstörung. Darf oder muss man ein Kind opfern, um die Gesellschaft zu retten? Es kommt zu Streit und Schuldzuweisungen, Sündenböcke werden gefunden – im Fremden, in der emanzipierten Frau. Als der Pfarrer das Neugeborene tauft, nimmt das Unheil seinen Lauf. Eine todbringende schwarze Spinne tritt als Rächerin auf. Wahllos greift sie Menschen an, verschont weder Mädchen noch Greise, weder Mütter noch Kleinkinder. Aus dem Nichts hört man Schreie in Todesangst, als sei einer «in einen glühenden Dorn getreten», und erblickt dann die Spinne, die «giftig und schadenfroh in die Runde» glotzt. Ehe sich die Umstehenden vom Schock erholt haben, werden sie selbst zum Opfer.
In der Zeichnung «Die Schwarze Spinne» (Kreide auf Papier, ohne Jahr) zeigt der Künstler Franz Karl Basler-Kopp (1879-1937) die Szene, in der die Mutter ihr Kind vor der sich rächenden Spinne beschützt.
In der Zeichnung «Die Schwarze Spinne» (Kreide auf Papier, ohne Jahr) zeigt der Künstler Franz Karl Basler-Kopp (1879-1937) die Szene, in der die Mutter ihr Kind vor der sich rächenden Spinne beschützt. Kunstmuseum Luzern
Das schreckliche Drama hat seinen Ursprung in der sinnlosen Forderung des Ritters. Er schikaniert nicht nur die einfache Bevölkerung, sondern greift auch aus einer Laune heraus massiv in die Natur ein. Spielt Gotthelf damit auf die in seinen Augen zerstörerische Ausbeutung der Wälder seiner Berner Heimat an? Seit seiner Liberalisierung 1831 ist der Holzhandel ein bedeutender Wirtschaftszweig. Die aufgrund der wachsenden Bevölkerung und der Industrialisierung steigendende Nachfrage treibt die Preise in die Höhe. Während Händler und Waldbesitzer profitieren, wird Brennholz für Konsumenten teuer oder gar unerschwinglich. 1840 macht Gotthelf seinem Ärger in Zeitungsartikeln Luft: Die Landschaft gehe zugrunde, wenn nicht gutgemacht würde, «was gesündigt worden ist und immerfort gesündigt wird.» Arme Leute würden zum Holzstehlen «förmlich gezwungen». Gotthelf entrüstet sich über eine Welt, in der jeder Waldbesitzer abholzen könne «wo und wie er will, bis unsere Berge kahl sind und sich nie mehr bewachsen wollen». Nachhaltigkeit und Aufforstung wünscht er sich.
Blick die Ofenpasswälder, wo im 19. Jahrhundert rücksichtslos gerodet wurde – in der Bildmitte sind die Reste der Kahlschläge gut zu erkennen – und 1914 der Nationalpark entstand.
Blick die Ofenpasswälder, wo im 19. Jahrhundert rücksichtslos gerodet wurde – in der Bildmitte sind die Reste der Kahlschläge gut zu erkennen – und 1914 der Nationalpark entstand. Archiv Schweizerischer Nationalpark
Noch bei seinem Tod 1854 ist die Dringlichkeit dieses Anliegens weder den Nationalräten noch dem Bundesrat bewusst, die Gotthelf alle verächtlich als «windiges Fötzelzeug» bezeichnet hat. Es dauert Jahrzehnte, bis der Wind im Bundeshaus dreht: 1876 regelt die Schweiz mit dem ersten eidgenössischen Forstgesetz die Nutzung der Wälder. Und setzt – zumindest in einem Teil des Landes – letztlich das durch, was sich der Dichter gewünscht hat: Der Wald wird im 1914 eröffneten Nationalpark, dem ersten Mitteleuropas, ganz sich selbst überlassen. Der in Deutschland erfolgreiche, in seiner Heimat zu Lebzeiten jedoch unpopuläre Dichter erlebt in diesen Jahren eine Renaissance. 1911 wird eine Gesamtausgabe seiner Werke initiiert, Die Schwarze Spinne ist längst als Meisterwerk anerkannt. Bis heute fasziniert die Novelle. Die Corona-Pandemie gab der Seuchengeschichte einen neuen Popularitätsschub, Regisseur Markus Fischer verfilmte sie 2021. Ihre Themen sprechen auch im 21. Jahrhundert ein breites Publikum an: der Teufelspakt, Sündenböcke, gesellschaftlicher Zerfall, der Umgang mit dem Fremden und der selbstbestimmten Frau. Vor allem aber sind die von Gotthelf beschriebenen Eingriffe der Menschen in die Natur und die desaströsen Folgen von beklemmender Aktualität. Volltext von Die Schwarze Spinne auf Wikisource
Trailer des Schweizer Spielfilms «Die Schwarze Spinne» von 2022. AscotElite / YouTube

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