
Eine kleine Geschichte des Fächers
Gebrauchsgegenstand und Accessoire, Kunstwerk und Statusobjekt: Der Funktionsreichtum des Fächers ist ebenso «breitgefächert» wie seine weit in die Vergangenheit zurückreichende Entwicklungsgeschichte.

Die Entwicklung der Fächerproduktion in Europa

Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts erhielten die bisher verbreiteten Fächer Konkurrenz, die den Markt schon bald dominierte: Portugiesische Händler brachten den Faltfächer aus Ostasien mit nach Europa. Die bereits bestehende lebhafte Nachfrage nach Fächern stieg insbesondere am französischen Hof nochmals erheblich und kurbelte zugleich die Einwanderung vieler Fächerhersteller aus Oberitalien nach Frankreich an. Französische Kunsthandwerker gingen bei diesen in die Lehre. Eine wachsende Anzahl «Eventaillistes», wie die Fächerhersteller in Frankreich hiessen, etablierten eine eigene, selbstständige Berufsgattung. Die wachsende nationale Produktion liess Ludwig XIV. (1638–1715) durch das Zurückdrängen italienischer Importe schützen.

Der Faltfächer – ein portables Kunstwerk



Zu jener Zeit betrat das aufstrebende Bürgertum die Bühne, dessen Frauen sich die kostbaren Fächer nun ebenfalls leisten konnten. Sie zeigten sich mit diesen neu für sich eroberten Accessoires selbstbewusst in der Öffentlichkeit. Zugleich kamen einfachere Ausführungen auf den Markt, die zu Attributen der bürgerlichen Frauenkleidung wurden. Der Fächer war fortan kein «Privileg» des Adels mehr und verlor daher zunehmend an Strahlkraft. Nach der Französischen Revolution ging zudem die Nachfrage nach Statussymbolen des Ancien Régime, zu denen auch der Fächer gehörte, stark zurück. Beschleunigt wurde diese Entwicklung auch durch die neu aufkommende, viel leichtere Damenmode, die weniger Erfrischung verlangte als jene des Barock und Rokoko. Die Zeit, in der Fächer in stickigen Ballsälen drohende Ohnmachten von Korsett- und Perückenträgerinnen in schweren, mehrschichtigen Kleidern verhindern mussten, war definitiv vorbei.
Der Schweizer Fächermaler Johannes Sulzer

Hilfsmittel der nonverbalen Kommunikation
Von der legendären «Fächersprache»
Das älteste schriftliche Dokument, in der die «Fächersprache», aufgeschlüsselt nach Gesten mit entsprechenden Aussagen, zu finden ist, ist ein gedrucktes Faltblatt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Dieses brachte die Londoner Niederlassung der 1827 in Paris gegründeten Fächermanufaktur Duvelleroy in Umlauf. Die aktuelle Forschung geht mehrheitlich davon aus, dass der Inhalt dieses Faltblattes die originäre Quelle der «Fächersprache» ist und dass es sich dabei um eine gewitzte Verkaufsförderungsmassnahme eines Fächerproduzenten handelt, der das «Storytelling» als Marketinginstrument gewinnbringend beherrschte: Duvelleroys Fächer verkauften sich an wohlhabende Kunden bis nach Asien und in die Emirate. In London avancierte Duvelleroy zum königlichen Fächerhersteller. In Paris existiert das Unternehmen als Luxuswarengeschäft bis heute.

Revival und erneuter Rückzug des Fächers


Ganz verschwunden ist der Fächer jedoch bis heute nicht. Nach wie vor rege genutzt wird er als Stilmittel und Ausdrucksträger beim Tanz, vor allem beim Flamenco. Der billig hergestellte Fächer «made in China» liegt in Souvenir- und Touristenläden auf, insbesondere in Spanien. Zudem hat der Fächer bis heute gelegentliche Auftritte in der Werbefotografie, in Modemagazinen, in Filmen sowie in prominenter Hand – etwa jener von Karl Lagerfeld (1933–2019). Der ikonische Modedesigner machte den Fächer in den 1980er-Jahren zu seinem Markenzeichen, ähnlich wie seine grosse Sonnenbrille und später seine schlohweisse Zopffrisur. Für Lagerfeld soll der Fächer zudem einen individuellen Nutzen gehabt haben: Er schützte sich damit angeblich vor dem Mundgeruch der ihn umgebenden Menschen.
