
Benito Mussolinis zweifelhafte Befreiung durch einen «Schweizer»
Am 12. September 1943 «befreite» ein deutsches Kommando den in einem italienischen Berghotel festgehaltenen, abgesetzten Diktator Benito Mussolini. Die SS beanspruchte die folgenschwere Aktion für sich, in Wahrheit war aber ein deutscher Major mit Schweizer Wurzeln federführend.
Nach 80 Jahren erscheint die Geschichte der Gran-Sasso-Operation in einem ganz anderen Licht. Für die Schweiz ist diese Geschichte äusserst spannend, denn Major Harald Mors, der deutsche Offizier, der tatsächlich an der Befreiung Mussolinis beteiligt war, hatte Schweizer Wurzeln. Er war der Enkel eines berühmten Politikers aus dem Waadtland, wuchs in Prilly VD auf und ging bis zum zwölften Lebensjahr in Lausanne zur Schule.


Im Sommer 1943 kam es somit in Italien zur Absetzung Mussolinis faschistischer Regierung, die schnell gefangen genommen wurde. Die militärische und wirtschaftliche Lage war weiterhin auf Talfahrt. Die Alliierten übten viel Druck aus, so dass nach schweren Bombardierungen Norditaliens, vor allem von Mailand und Turin im August 1943, Ende des Monats ganz Sizilien befreit wurde und alliierte Truppen Anfang September in Südkalabrien und Salerno (Kampanien) landeten.
In diesem Sommer schmolz die Faschistische Bewegung wie Schnee an der Sonne. Ihre Mitglieder tauchten unter oder flohen in ganz wenigen Fällen in die Schweiz. Benito Mussolini wurde nach seiner Verhaftung in Rom an verschiedene Orte gebracht, zuletzt ins Hotel Campo Imperatore auf 2130 Meter über Meer, im Gran Sasso Gebirgszug gelegen, einer einsamen, schwer zugänglichen Bergregion in den Abruzzen, etwa 80 Kilometer nordöstlich von Rom.
Die Ereignisse nahmen am 8. September 1943 mit der Waffenstillstandserklärung von Marschall Pietro Badoglios Regierung eine tragische Wendung. Sie spaltete Italien in zwei Teile. Diejenigen, die konnten, flohen nach Süden zu den Alliierten. König Viktor Emanuel III und Pietro Badoglio gehörten zu den ersten. Ein grosser Teil der italienischen Armee jedoch, rund 800'000 Soldaten, wurden von den Deutschen sofort verhaftet, ins Dritte Reich deportiert oder zum Teil gar erschossen. In diesen Septembertagen herrschte vor allem in Mittel- und Norditalien, welches von deutschen Truppen besetzt wurde, ein grosses Chaos. Offensichtlich war das Chaos auch innerhalb der Regierung Badoglio so gross, dass Mussolini auf dem Gran Sasso zurückgelassen wurde.

Der kühne Plan des «Schweizer» Majors Mors war durch die Topographie des Gebiets Gran Sasso in den Abruzzen bedingt. Es war nicht einfach möglich, allein mit der Seilbahn zum Hotel Campo Imperatore hinaufzufahren, ohne das Überraschungsmoment zu verlieren. Die einzige Alternative für die kampferprobten Fallschirmjäger war ein Angriff aus zwei Richtungen: die Besetzung der Seilbahnstation im Tal und eine Luftlandung mit zehn Lastenseglern.
Einmal angekommen konnte Mors schnell, ohne dass die italienischen Truppen von der Mission Wind bekamen, Mussolini behändigen. Mussolini selbst, die Bilder von Gran Sasso sprechen für sich, zeigte bei seiner «Befreiung» wenig Euphorie. Mussolini war des Lebens überdrüssig. Der Verrat seiner Parteifreunde am 25. Juli hatte ihn schwer getroffen.
Die Befreiungs- bzw. Entführungsaktion, genannt «Unternehmen Eiche», wurde von den Nazis – besonders Himmler und Goebbels – in den Medien als Heldenstück hochstilisiert und ganz Otto Skorzeny zugeschrieben, der eigentlich bis dahin nur eine sehr marginale Rolle gespielt hatte. Ein Propagandakalkül zugunsten der Medienwirkung der SS-Truppe. Die deutschen Fallschirmjäger kämpften hingegen jahrelang vergeblich, um den Ruhm dieser Operation für sich zu erhalten.
Propagandadokumentation vom September 1943 über die Befreiung von Benito Mussolini. Harald Mors kommt darin mehrmals vor. Archivio Luce / YouTube
Erst 1923 entschied sich die Familie Mors, nach Berlin zu ziehen. 1934, im Alter von 24 Jahren, beschloss Mors, der Luftwaffe beizutreten. Er stieg in den Rängen auf und war 1943 bereits Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons. Neben seiner Rolle bei der Gran-Sasso-Aktion diente Mors unter anderem an der Ostfront, in Italien und Griechenland. Für seinen Einsatz und Führungsqualitäten wurde er mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet.

Mors diente im neuen deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Mitten im Befreiungskrieg von Algerien tauchte Mors wieder in der Schweiz auf. Mors selbst war aber kein Unbekannter, denn die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte ihn seit 1957 als deutschen «Agenten des Geheimdienstes» fest auf den Radar. Mors war es, der inmitten der Terrororganisation OAS mit der Gruppe «Main Rouge – Rote Hand» Anschläge auf deutsche Waffenlieferanten der Algerischen Nationalen Befreiungsfront (FLN) verübte, die Schweiz mehrmals besuchte und 1960 sogar ein Treffen zwischen algerischen Befreiungskämpfern und deutschen Ermittlern in Lausanne zu organisieren versuchte. Er schied 1965 aus der Bundeswehr aus und starb 2001 in Bayern. Mors wurde nie Schweizer Bürger, aber sein Französisch blieb bis zum Schluss das eines Romands.

