Benito Mussolini (in der Mitte) in Begleitung seiner «Befreier» am 12. September 1943 auf dem Gran Sasso in den Abruzzen. Major Harald Mors, der deutsche Offizier, der massgeblich an der Aktion beteiligt war, ist der Mann neben Mussolini in der hellen Uniform und der dunklen Mütze.
Benito Mussolini (in der Mitte) in Begleitung seiner «Befreier» am 12. September 1943 auf dem Gran Sasso in den Abruzzen. Major Harald Mors, der deutsche Offizier, der massgeblich an der Aktion beteiligt war, ist der Mann neben Mussolini in der hellen Uniform und der dunklen Mütze. Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv

Benito Mussoli­nis zweifel­haf­te Befreiung durch einen «Schweizer»

Am 12. September 1943 «befreite» ein deutsches Kommando den in einem italienischen Berghotel festgehaltenen, abgesetzten Diktator Benito Mussolini. Die SS beanspruchte die folgenschwere Aktion für sich, in Wahrheit war aber ein deutscher Major mit Schweizer Wurzeln federführend.

Raphael Rues

Raphael Rues

Raphael Rues ist Historiker und spezialisiert auf das Tessin und die deutsch-faschistische Präsenz in Norditalien.

Der Konflikt des Zweiten Weltkriegs bringt auch eine Vielzahl von Mythen über einzelne Operationen mit sich. Eine der fantasievollsten Geschichten ist wahrscheinlich jene, die sich am 12. September 1943 in Mittelitalien ereignet haben soll: Der faschistische Diktator Benito Mussolini soll von einem SS-Kommando unter Führung von SS-Hauptsturmführer Otto Skorzeny aus seinem «Gefängnis» auf dem Gran Sasso in den Abruzzen, befreit worden sein. Der berüchtigte Skorzeny erhielt für diese «tapfere» Tat einen legendären Status, der bis heute überdauert hat. Nach 80 Jahren erscheint die Geschichte der Gran-Sasso-Operation in einem ganz anderen Licht. Für die Schweiz ist diese Geschichte äusserst spannend, denn Major Harald Mors, der deutsche Offizier, der tatsächlich an der Befreiung Mussolinis beteiligt war, hatte Schweizer Wurzeln. Er war der Enkel eines berühmten Politikers aus dem Waadtland, wuchs in Prilly VD auf und ging bis zum zwölften Lebensjahr in Lausanne zur Schule.
Otto Skorzeny, um 1943.
Otto Skorzeny, um 1943. Wikimedia
Harald Mors, undatierte Aufnahme.
Harald Mors, undatierte Aufnahme. tracesofwar.com
Gehen wir aufgrund der eindeutigen Quellenlage die Geschichte der Reihe nach durch. Die Aktion vom 12. September 1943 ist eine direkte Folge des 25. Juli 1943, dem Tag, an dem der Grosse Faschistische Rat mit der Ordine Grandi die Absetzung von Benito Mussolini als Staatsoberhaupt erreichte. Mussolini hatte seine Partei 1943 nur noch halb im Griff, die militärische und wirtschaftliche Lage war im Juli bereits hoffnungslos. Nordafrika war völlig verloren, Sizilien wurde von den Alliierten angegriffen und die italienischen Truppen in Russland, waren spätestens seit der Schlacht von Stalingrad auf dem Rückzug oder auf der Flucht. Im Sommer 1943 kam es somit in Italien zur Absetzung Mussolinis faschistischer Regierung, die schnell gefangen genommen wurde. Die militärische und wirtschaftliche Lage war weiterhin auf Talfahrt. Die Alliierten übten viel Druck aus, so dass nach schweren Bombardierungen Norditaliens, vor allem von Mailand und Turin im August 1943, Ende des Monats ganz Sizilien befreit wurde und alliierte Truppen Anfang September in Südkalabrien und Salerno (Kampanien) landeten. In diesem Sommer schmolz die Faschistische Bewegung wie Schnee an der Sonne. Ihre Mitglieder tauchten unter oder flohen in ganz wenigen Fällen in die Schweiz. Benito Mussolini wurde nach seiner Verhaftung in Rom an verschiedene Orte gebracht, zuletzt ins Hotel Campo Imperatore auf 2130 Meter über Meer, im Gran Sasso Gebirgszug gelegen, einer einsamen, schwer zugänglichen Bergregion in den Abruzzen, etwa 80 Kilometer nordöstlich von Rom. Die Ereignisse nahmen am 8. September 1943 mit der Waffenstillstandserklärung von Marschall Pietro Badoglios Regierung eine tragische Wendung. Sie spaltete Italien in zwei Teile. Diejenigen, die konnten, flohen nach Süden zu den Alliierten. König Viktor Emanuel III und Pietro Badoglio gehörten zu den ersten. Ein grosser Teil der italienischen Armee jedoch, rund 800'000 Soldaten, wurden von den Deutschen sofort verhaftet, ins Dritte Reich deportiert oder zum Teil gar erschossen. In diesen Septembertagen herrschte vor allem in Mittel- und Norditalien, welches von deutschen Truppen besetzt wurde, ein grosses Chaos. Offensichtlich war das Chaos auch innerhalb der Regierung Badoglio so gross, dass Mussolini auf dem Gran Sasso zurückgelassen wurde.
Vier der zehn gelandeten Lastensegler auf dem Gran Sasso. Im Hintergrund das Hotel Campo Imperatore.
Vier der zehn gelandeten Lastensegler auf dem Gran Sasso. Im Hintergrund das Hotel Campo Imperatore. Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv
Die Deutschen konnten schnell den genauen Ort seiner Gefangenschaft herausfinden. General der Luftwaffe Kurt Student vertraute die Planung und die Durchführung der Befreiung Mussolinis dem deutschen Fallschirmjäger mit Schweizer Wurzeln Major Harald Mors an. Mehr als von einer Befreiung, sollte allerdings von einer Entführung die Rede sein. Der kühne Plan des «Schweizer» Majors Mors war durch die Topographie des Gebiets Gran Sasso in den Abruzzen bedingt. Es war nicht einfach möglich, allein mit der Seilbahn zum Hotel Campo Imperatore hinaufzufahren, ohne das Überraschungsmoment zu verlieren. Die einzige Alternative für die kampferprobten Fallschirmjäger war ein Angriff aus zwei Richtungen: die Besetzung der Seilbahnstation im Tal und eine Luftlandung mit zehn Lastenseglern. Einmal angekommen konnte Mors schnell, ohne dass die italienischen Truppen von der Mission Wind bekamen, Mussolini behändigen. Mussolini selbst, die Bilder von Gran Sasso sprechen für sich, zeigte bei seiner «Befreiung» wenig Euphorie. Mussolini war des Lebens überdrüssig. Der Verrat seiner Parteifreunde am 25. Juli hatte ihn schwer getroffen. Die Befreiungs- bzw. Entführungsaktion, genannt «Unternehmen Eiche», wurde von den Nazis – besonders Himmler und Goebbels – in den Medien als Heldenstück hochstilisiert und ganz Otto Skorzeny zugeschrieben, der eigentlich bis dahin nur eine sehr marginale Rolle gespielt hatte. Ein Propagandakalkül zugunsten der Medienwirkung der SS-Truppe. Die deutschen Fallschirmjäger kämpften hingegen jahrelang vergeblich, um den Ruhm dieser Operation für sich zu erhalten.
Propagandadokumentation vom September 1943 über die Befreiung von Benito Mussolini. Harald Mors kommt darin mehrmals vor. Archivio Luce / YouTube
Aber wie kommt es, dass Mors ein «Schweizer-Waadtländer» war? Seine Mutter Louise Mors-Paschoud stammte aus Lutry bei Lausanne. Mors wurde 1910 in Ägypten geboren. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs flüchtete Mors’ Mutter, die mit einem Deutschen Offizier verheiratet war, mit einem Teil der Familie in die Schweiz, um so einer Internierung durch die Briten zu entgehen. Mors lebte bis 1923 in Lausanne und besuchte alle Grundschulen auf Französisch, nebenbei lernte er auch fliessend Italienisch. Zudem war er schon in jungen Jahren sportlich sehr begabt. Sein Grossvater David Paschoud (1845-1924) war ein bekannter Waadtländer Politiker, der mehrere Ämter innehatte: Gemeindepräsident von Lutry (1880-1885), Staatsrat (1885-1889), Mitglied des Grossen Rates (1893-1908) und Präsident des Grossen Rates im Jahr 1907. Obwohl er ausgebildeter Notar war, war er vor allem im wirtschaftlichen Bereich in Waadtland tätig. Paschoud war es beispielsweise zu verdanken, dass im Kanton Waadt das Gesetz zur Progressionsteuer eingeführt wurde. Im Jahr 1889 wurde Paschoud zum Leiter des Waadtländer Hypothekenfonds ernannt, dessen Direktor er bis zu seinem Tod 1924 in Lutry blieb. Erst 1923 entschied sich die Familie Mors, nach Berlin zu ziehen. 1934, im Alter von 24 Jahren, beschloss Mors, der Luftwaffe beizutreten. Er stieg in den Rängen auf und war 1943 bereits Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons. Neben seiner Rolle bei der Gran-Sasso-Aktion diente Mors unter anderem an der Ostfront, in Italien und Griechenland. Für seinen Einsatz und Führungsqualitäten wurde er mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichnet.
Benito Mussolini vor dem Hotel Campo Imperatore mit Otto Skorzeny (helle Uniform, Fernglas) und Major Harald Mors (dunkle Mütze).
Benito Mussolini vor dem Hotel Campo Imperatore mit Otto Skorzeny (helle Uniform, Fernglas) und Major Harald Mors (dunkle Mütze). Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv
Mors überlebte den Krieg und eröffnete 1949 eine Tanzschule in Ulm. Zur gleichen Zeit veröffentlichte er in Französisch seine Memoiren über die wahre Geschichte der Gran-Sasso-Aktion. Die Rezeption dieser Publikation wurde auch von der Schweizer Presse aufgegriffen, aber bis 1950 machte niemand die Entdeckung, dass Mors der Enkel von David Paschoud aus Lutry war. Der wirtschaftliche Erfolg von Mors Tanzschule war so bescheiden, dass Mors bereits 1956 in die neue Bundeswehr eintrat. Wie aus Schweizer Archivdokumenten ersichtlich wird, war dies jedoch eine reine Scheinposition. Eigentlich hatte Mors, vor allem dank seiner sprachlichen Fähigkeiten, andere Talente, die für das neue Deutschland gebraucht wurden. Mors diente im neuen deutschen Bundesnachrichtendienst (BND). Mitten im Befreiungskrieg von Algerien tauchte Mors wieder in der Schweiz auf. Mors selbst war aber kein Unbekannter, denn die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte ihn seit 1957 als deutschen «Agenten des Geheimdienstes» fest auf den Radar. Mors war es, der inmitten der Terrororganisation OAS mit der Gruppe «Main Rouge – Rote Hand» Anschläge auf deutsche Waffenlieferanten der Algerischen Nationalen Befreiungsfront (FLN) verübte, die Schweiz mehrmals besuchte und 1960 sogar ein Treffen zwischen algerischen Befreiungskämpfern und deutschen Ermittlern in Lausanne zu organisieren versuchte. Er schied 1965 aus der Bundeswehr aus und starb 2001 in Bayern. Mors wurde nie Schweizer Bürger, aber sein Französisch blieb bis zum Schluss das eines Romands.
Polizei-General Fernando Soleti (links) mit Major Harald Mors (Mitte).
Polizei-General Fernando Soleti (links) mit Major Harald Mors (Mitte). Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv
Mors' Rolle bei der Gran-Sasso-Aktion war bedeutend. Er war verantwortlich für die Planung des Angriffs, die Auswahl der Fallschirmjäger, die den Angriff durchführen sollten, und die Führung der zweiten Gruppe, die die untere Seilbahnstation am Fusse des Gran Sasso sicherte. Ausserdem war er für die Koordination des Angriffs mit den anderen beteiligten deutschen Truppen verantwortlich. Seine wahre Rolle wurde jedoch historisch durch das Bild von Skorzeny als Drahtzieher vollständig verdeckt. Otto Skorzenys Rolle bei der Gran-Sasso-Operation schien lange bestenfalls zweitrangig zu sein.
Benito Mussolini im Flugzeug Fieseler Fi 156 Storch
Benito Mussolini im Flugzeug Fieseler Fi 156 Storch. Der gefährliche Flug, bei dem das Flugzeug viel zu überladen war, führte ihn nach Rom und anschliessend nach München zu Adolf Hitler. Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv
Mussolini selbst sollte noch einmal mit Hitlers Gnaden an die Spitze Italiens zurückgelangen. Sein erstes Funkgespräch aus München am 15. September 1943 klang jedoch sehr apathisch. Einige Monate später, am 1. Dezember 1943, verkündete Mussolini selbst offiziell die Gründung der neofaschistischen «Repubblica Sociale Italiana». Die Geschichte zeigt sodann, wie das «Unternehmen Eiche» wegweisend für den Verlauf des Krieges war. Was folgte war ein vielschichtiger Bürgerkrieg, der noch 20 Monate bis Ende April 1945 dauerte. Die Zahl der Toten in Italien zwischen September 1943 und dem 25. April 1945 wird auf etwa 500’000 geschätzt. Davon waren etwa 300’000 Zivilisten, 150’000 Partisanen und 50’000 Militärs.

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