Sein Leben widmete Kaspar Stockalper dem Geldverdienen. Er war der Ansicht, dass dies sein göttlicher Auftrag war. Illustration von Marco Heer
Sein Leben widmete Kaspar Stockalper dem Geldverdienen. Er war der Ansicht, dass dies sein göttlicher Auftrag war. Illustration von Marco Heer

Geld scheffeln bis zum Untergang

Kaspar Stockalper hat im Wallis einen Konzern aufgebaut, der die Krisen des 17. Jahrhunderts geschickt ausnutzt. Geld scheffeln ist für ihn ein religiöser Auftrag und die Eintrittskarte zur ewigen Seligkeit. Das bewahrt ihn jedoch nicht vor einem politischen Komplott, mit dem Konkurrenten seinen Sturz herbeiführen.

Helmut Stalder

Helmut Stalder

Helmut Stalder ist Historiker, Publizist und Buchautor mit Schwerpunkt Wirtschafts-, Verkehrs- und Technikgeschichte.

Mit politischem Kalkül, unternehmerischer Schlauheit, Energie und Konsequenz hat Kaspar Stockalper in Brig über Jahrzehnte einen verschlungenen, Europa überspannenden Mischkonzern aufgebaut. Nach der Übernahme des Transportmonopols über den Simplon dehnte er sein Imperium sukzessiv aus, mit Aktivitäten im Bergbau, mit Produktion und Handel landwirtschaftlicher Erzeugnisse, mit einem Söldnerunternehmen und mit der Übernahme des staatlichen Salzmonopols. Gleichzeitig stärkt er seine politische Stellung im Wallis, bis er das Amt des Landeshauptmannes erlangt. Seine Trümpfe Simplon, Söldner und Salz setzt er international ein, um sich auf allen Seiten bezahlt zu machen. Alles fügt sich zusammen zu einem System, in dem sich Wirtschaftskraft und politische Macht gegenseitig bedingen und begünstigen.
Zeichen der Macht: Der Stockalper-Turm in Gondo auf einer Druckgrafik von 1821.
Zeichen der Macht: Der Stockalper-Turm in Gondo auf einer Druckgrafik von 1821. Schweizerische Nationalbibliothek
So risikofreudig Stockalper geschäftlich ist und alles auf Gewinnmaximierung und Kapitalakkumulation durch Monopolrenten, Handelsgewinne, Zinsen und schnellen Geldumlauf ausrichtet, so konservativ ist seine Anlagepolitik. Seine Devise lautet: «Nichts ist beständig ausser Boden». Grundbesitz kauft er zusammen, wo er nur kann: Wiesen, Rebberge, Obstgärten, Alpweiden, Bauparzellen, Häuser, Palazzi. Oft übernimmt er Grundstücke bei Erbteilungen oder er zieht sie von überschuldeten Bauern als Pfandwerte ein. Seine Gier ist so gross, dass er im Wallis selbst eine Immobilienteuerung auslöst und ins Val d’Ossola ausweichen muss. Schliesslich besitzt er so viele Häuser, dass er von Mailand bis Lyon in eigenen Wänden nächtigen kann. Mit den Grundstücken verfügt er über einen immensen Kapitalpuffer und kann riesige Summen bargeldlos absichern. Und dank dem Hartgeld, das seine Sölderkompanien und der Salzhandel einbringen, ist er trotz der chronischen Münzknappheit seiner Zeit immer liquide. So erweitert sich sein Multiunternehmen zur Handels- und Kreditbank mit privater Geldschöpfung. Seine Finanzkraft übersteigt bald jene aller noblen Sippen im Wallis zusammen und die Landeskasse um ein X-Faches, so dass er als Privatmann die umlaufende Geldmenge kontrolliert und wie eine Zentralbank agieren kann.
Mit dem Soldwesen, hier Soldaten in französischem Dienst, verdient der Walliser ein Vermögen.
Mit dem Soldwesen, hier Soldaten in französischem Dienst, verdient der Walliser ein Vermögen. Bibliothek am Guisanplatz
All dies fliesst zusammen in der Palastanlage in Brig, die um 1676 vor der Vollendung steht. In Barocker Repräsentationslust verleiht Stockalper darin in einem allegorischen Code seiner Weltsicht Ausdruck. Der alte Stammsitz dient als Wohnhaus und ist über eine private Kapelle und eine zweistöckige Bogenbrücke mit dem neuen Schloss verbunden. Dieses hat die Form einer Kastellkirche mit vier Stockwerken und Treppenturm. Den angebauten Hof umstellen elegante Arkadengänge, die aber keine Räume erschliessen, sondern als blosse Umfriedung eines Leerraums allein der Prachtentfaltung dienen. Die drei Türme erfüllen keinen Wehrzweck, sondern symbolisieren mit ihren goldglänzenden Kuppeln seinen Herrschaftsanspruch. Stockalpers «Haus und Kapelle der drei Könige» ist damit das weit herum sichtbare Zeichen finanzieller Solidität und eine imperiale Geste. Der 48 Meter hohe Hauptturm, der nach dem ältesten der drei Könige «Kaspar» genannt wird, trägt als Symbol die Sonne, um die alles kreist. Dieser egozentrische Turm ist das Zentrum seines Universums und eine direkte Verbindung zu Gott. So kommt in der Architektur zum Ausdruck, dass sich hier ein einzelner kraft seiner wirtschaftlichen Potenz zu absolutistischer Souveränität aufschwingt – zum ungekrönten Sonnenkönig von Gottes Gnaden.
Handzeichnungen des Stockalper Palasts von Roland Anheisser, Bern 1906-1910.
Handzeichnungen des Stockalper Palasts von Roland Anheisser, Bern 1906-1910. Schweizerisches Nationalmuseum
Tatsächlich ist Stockalper sehr religiös. Seine kapitalistischen Praktiken stehen dazu nicht im Widerspruch. Vielmehr ist er überzeugt, dass irdisches Gewinnstreben und die Erlangung himmlischer Seligkeit aufs engste zusammenhängen – und in seiner Person ihre reinste Verkörperung finden. Dies fasst er in einem lateinischen Sinnspruch zusammen: «SOSPES LUCRA CARPAT» – «Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen». Der Satz erfasst seine wirtschaftliche und spirituelle Lebenshaltung in nur drei Wörtern, versöhnt alle Widersprüche, ist Rechtfertigung und Auftrag und ist – ein Anagramm seines Namens. CASPARUS STOCALPER steht in der Gunst Gottes, und wenn er nach Kräften Gewinne anhäuft, belohnt ihn Gott mit diesseitigem Reichtum und jenseitigem Heil. Dieses Motto, das zugleich seinen Namen und seine Bestimmung enthält, schreibt er in seine Rechnungsbücher und an die Wand seines Kontors in Brig – auf das es ihn leite im irdischen Streben und ihm am Tag des Jüngsten Gerichts einen Platz im Himmelreich sichere.
Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen... So steht es in den Rechnungsbücher von Kaspar Stockalper geschrieben.
Gottes Günstling soll die Gewinne abschöpfen... So steht es in den Rechnungsbücher von Kaspar Stockalper geschrieben. Stockalperarchiv, HRSt VIII, fol. 129v
Noch heute ist Stockalper in Brig präsent – im Büro des Stadtpräsidenten.
Noch heute ist Stockalper in Brig präsent – im Büro des Stadtpräsidenten. Stockalperschloss, Foto: Thomas Andenmatten
Aber Stockalpers Reich ist nicht von Dauer. 1678 haben die Patrizierfamilien genug. Die meisten Landratsabgeordneten stehen bei ihm in der Kreide, sind seiner Dominanz ausgeliefert und müssen ihre soziale Deklassierung fürchten. Auch die Zenden, der Bischof und unzählige Einwohner sind bei ihm verschuldet. Bisher erzeugte Stockalpers System der Patronage viele Profiteure, Loyale, Unterstützer, Adlaten und Abhängige. Doch jetzt besteht für seine Gegner die Aussicht, seine Übermacht zu brechen, Schulden abzuwerfen und selbst an die Futtertröge zu kommen. Die führenden Leute in den unteren Zenden Sitten, Siders, Leuk und Visp schmieden ein Komplott, um ihn in einem politischen Handstreich zu entmachten. Im Landrat anlässlich seiner Wiederwahl als Landeshauptmann legen sie eine Liste mit Anklagepunkten vor, darunter Missbrauch des Salzmonopols und Veruntreuung von Söldnerpensionen. Zudem habe er Verbrechen gegen den Staat begangen. Darauf steht die Todesstrafe. Nun entlädt sich der ganze aufgestaute Groll der übergangenen Führungsschicht. Stockalper wird wochenlang inhaftiert, verliert alle Ämter und Monopole, Kommissäre inventarisieren seinen Besitz. Er muss hohe Strafzahlungen an die Zenden leisten. Gleichzeitig rollen Zivilprozesse an, in denen Gläubiger, Schuldner, Gegner, Neider, ehemalige Freunde und Verwandte sich an der Vermögensmasse gütlich tun. 1679 wird erneut der Vorwurf des Majestätsverbrechens erhoben und Haftbefehl erlassen. Unter Todesdrohung setzt sich Stockalper nach Domodossola ab, wo er einen Palazzo besitzt und Wertsachen in Sicherheit gebracht hat. Fünf Jahre bleibt er im Exil, wo er als Grossgrundbesitzer und Mäzen die Protektion des Mailänder Hofs geniesst. Darben muss er nicht, auch seine in Brig verbliebene Familie nicht, der ansehnliche Vermögensteile und das Schloss gelassen wurden. Nach fünf Jahren darf er zurückkehren, nachdem die Regierung im Wallis gewechselt und er versprochen hat, sich nicht mehr einzumischen. Er lebt noch sechs Jahre zurückgezogen auf seinem Schloss und stirbt 1691 im Alter von 82 Jahren.
Kaspar Stockalpers Macht begann am Simplon und endete dort, als er über den Pass nach Domodossola ins Exil entfloh. Druckgrafik der Passstrasse aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Kaspar Stockalpers Macht begann am Simplon und endete dort, als er über den Pass nach Domodossola ins Exil entfloh. Druckgrafik der Passstrasse aus dem frühen 19. Jahrhundert. Schweizerisches Nationalmuseum
Im Palazzo Silva in Domodossola residierte Kaspar Stockalper nach seiner Flucht.
Im Palazzo Silva in Domodossola residierte Kaspar Stockalper nach seiner Flucht. Wikimedia
Kaspar Stockalper war zu seiner Zeit im Wallis ein singuläres Phänomen. Er erkannte, dass die Eidgenossenschaft als kleines Staatswesen im Zentrum des Kontinents ihre Existenz und ihren Wohlstand den Alpenpässen und dem opportunistischen Umgang mit den mächtigen Nachbarn verdankt. So konsequent wie keiner vor und keiner nach ihm nutzte er mit einer Neutralitätspolitik «avant la lettre» die Möglichkeiten seiner Zeit aus – bis er auf ein gesellschaftsverträgliches Mass zurückgestutzt wurde.

Der König von Brig

In einer dreiteiligen Serie beleuchtet Historiker und Autor Helmut Stalder Aufstieg und Fall von Kaspar Stockalper, des «Königs von Brig»: Teil 1: Der Geopolitiker aus Brig Teil 2: Neutralität als Geschäftsmodell Teil 3: Geld scheffeln bis zum Untergang Mehr zu Stockalper gibt es in Helmut Stalders Buch «Der Günstling. Kaspar Stockalper – Reichtum, Macht und der Preis des Himmelreichs», das 2022 erschienen ist.

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