Der König von Brig hatte spielte seine Macht gnadenlos aus. Illustration von Marco Heer
Der König von Brig spielte seine Macht gnadenlos aus. Illustration von Marco Heer

Neutra­li­tät als Geschäftsmodell

In den Wirren des Dreissigjährigen Krieges hält Kaspar Stockalper drei Trümpfe in der Hand: Simplon, Söldner und Salz. In seiner Konzernzentrale in Brig entwickelt er die ebenso heikle wie lukrative Strategie des internationalen Doppelspiels.

Helmut Stalder

Helmut Stalder

Helmut Stalder ist Historiker, Publizist und Buchautor mit Schwerpunkt Wirtschafts-, Verkehrs- und Technikgeschichte.

Die Gefahr, in den kontinentalen Krieg hineingezogen zu werden, ist gross um 1639, als Kaspar Stockalper seinen Multikonzern am Simplon aufbaut. Starke Truppenverbände stehen an den Grenzen, mehrfach kommt es zu Übergriffen und Durchmärschen und ständig ist das Alpengebiet mit den wichtigen Pässen im Fokus der Krieg führenden Mächte. Die Eidgenossenschaft ist konfessionell gespalten, aussenpolitisch handlungsunfähig und verfügt nicht über eine zentrale Militärorganisation.

Schulden­ein­trei­ber und Diplomat

Auch im Zugewandten Ort Wallis steigt die Furcht, da «die Umstände disser ietzigen betriebten Zeit und gefährlicher Kriegsleuffen da dann ein löbliche Eidgenosschafft wie auch unser geliebtes Vaterlandt mit schwere Armaden umbgeben» sind, wie der Walliser Landrat festhält. Er sieht sich genötigt, das Wehrwesen zu reorganisieren und die Verteidigungsfähigkeit zu erhöhen. Stockalper wird in den Kriegsrat gewählt, denn er verfügt als international vernetzter Handelsherr über ein grosses Beziehungs- und Informationsnetz. Er war bereits nach Solothurn zum französischen Ambassador gesandt worden, um geschuldete Gelder für Walliser Söldner einzutreiben und über die Lieferung weiterer Kompanien nach Frankreich zu verhandeln. Nun wird er als Vertreter der Republik Wallis an die Tagsatzung der eidgenössischen Orte nach Baden abgeordnet, wo über die Wirren in den Drei Bünden und über Durchmarschrechte für Spaniens Truppen über die dortigen Pässe debattiert wird. Damit rückt Stockalper auch im Militärwesen in entscheidende Funktionen auf – die er geschäftlich zu nutzen weiss.
Kurzdokumentation über Kaspar Stockalper. YouTube / NZZ
20’000 bis 30’000 Schweizer Söldner stehen in dieser Zeit in fremden Diensten. Alle Kriegsparteien wollen sie, die Kantone erhalten von den Königen und Fürsten für die Werbeerlaubnis grosse Summen, und die privaten Kriegsunternehmer, welche die Kompanien rekrutieren, ausrüsten und an den Besteller schicken, machen Kasse. So ziehen in vielen Heeren Europas mehrere Tausend Schweizer mit. Als Widerspruch zur Neutralität wird das nicht gesehen, weder von den Käufern noch von der Eidgenossenschaft. Voraussetzung für das Geschäft ist bloss die unparteiische Berücksichtigung aller Interessenten. Für das Wallis sind die Solddienste seit jeher wichtig. Seit dem Mittelalter tun sich Angehörige der regimentsfähigen Familien als Söldnerführer hervor, auch Vorfahren Stockalpers. Für die Kompanieinhaber und Offiziere ist es eine gute Einnahmequelle. Die Jahrgelder für das Anwerberecht machen einen guten Teil der öffentlichen Einnahmen aus. Und überzählige Bauernsöhne hat das Wallis mehr als genug. Besonders aktiv ist Frankreich, das aufgrund des 1521 geschlossenen und eben erneuerten Soldbündnisses mindestens 6000 Schweizer anwerben darf. Bei Lieferengpässen in der Eidgenossenschaft weicht der französische König gern auf Walliser Freikompanien aus. 1641 nimmt er zudem regulär das 2000 Mann starke Walliser Regiment Ambühl in Dienst.
Im Dreissigjährigen Krieg waren Söldner ein gefragtes Handelsgut.
Im Dreissigjährigen Krieg waren Söldner ein gefragtes Handelsgut. Wikimedia
Stockalper führt selbst keine Truppen, sondern stellt Frankreich und Savoyen und wohl auch Neapel und Venedig Freikompanien zur Verfügung, indem er sie an Kommandanten vermietet oder zu einem Fixlohn an Offiziere übergibt. Dieses Geschäft ermöglicht Renditen bis zu 20 Prozent bei geringem Risiko. Nur einmal 1644 muss Stockalper selbst nach Paris, weil das dortige Walliser Regiment führungslos ist. Fünf Kompanien mit 600 Mann sind jedoch bereits vertragswidrig nach Spanien abkommandiert worden, um aufständische Katalanen zu unterstützen. In der strategisch wichtigen Stadt Lérida (Lleida) in Katalonien werden sie von den Spaniern nahezu vollständig aufgerieben. 250 Söldner fallen, 200 geraten in Gefangenschaft – ein Schlag fürs Soldgeschäft. Doch insgesamt, so wurde errechnet, soll Stockalper allein mit diesem stetig wachsenden Unternehmensteil bis 1679 nach heutigem Wert 48 Millionen Franken verdient haben.

Salz – das weisse Gold

Richtig in Fahrt kommt Stockalpers Konzern, als er 1647 das wichtigste Monopol übernimmt, die Versorgung des Wallis mit Salz. Salz ist für die Viehzucht und zur Konservierung von Käse und Fleisch unerlässlich. Das Wallis hat keine Salzvorkommen und benötigt bis 750 Tonnen pro Jahr, weshalb der Staat die Versorgung im Monopol verpachtet. Da die Bezugsquellen weit entfernt liegen, muss der Salzherr gute Beziehungen in die Handelsplätze und zu staatlichen Stellen haben. Er braucht viel Kapital, um Einkauf, Transport und Lagerung vorzufinanzieren. Und er muss über eine flächendeckende Vertriebslogistik verfügen. All dies bietet Stockalper. Der Zehnjahresvertrag, den er für die «Besalzug des Landes» aushandelt, ist günstig: Für das exklusive Recht und die Pflicht der Salzversorgung bezahlt er eine Pauschalgebühr und erhält fixierte Verkaufspreise. Zölle und Sustgebühren werden ihm erlassen. Seine Subunternehmer sind verpflichtet, ihm das Salz jederzeit in Hartgeld zu bezahlen. Er ist aber frei im Einkauf, kann also je nach Marktlage französisches, savoyisches, burgundisches, venezianisches oder sizilianisches Salz einkaufen und seinen Schnitt machen. Der Salzvertrag wird zweimal verlängert und macht Stockalper steinreich.
Salzgewinnung aus Meersalz, aus «De re metallica libri XII», 1556.
Salzgewinnung aus Meersalz, aus «De re metallica libri XII», 1556. ETH Bibliothek Zürich
Der eigentliche Motor seiner Geldmaschine in Brig ist jedoch die Verbindung von Simplontransit, Söldnerwesen und Salz zu einem System, das sich selbst antreibt und beschleunigt. Mit diesen drei Elementen laviert er zwischen den Grossmächten. Dem französischen König liefert er Söldner gegen billiges Salz, Handelsvorrechte und Sondervergünstigungen. Immer wieder meldet der französische Ambassador nach Paris, «Stockalper gouverne le Valais» oder «Stockalper est le chef du Pays du Valais». Er solle billiges Salz erhalten, sonst sei der Söldnernachschub gefährdet. «Le roi du Simplon» wird er am Hof genannt. Ähnlich spielt Stockalper seine Trümpfe bei Spanien-Mailand aus. Dieser Seite gewährt er Truppendurchzüge über den Pass gegen günstiges Salz und andere Vorrechte. Die gekrönten Häupter wollen sich den Herrn von Brig gewogen machen. Louis XIV. macht ihn zum Ritter des Sankt-Michaels-Ordens, Papst Urban VIII. ernennt ihn zum Ritter vom Goldenen Sporn, der Herzog von Savoyen macht ihn zum Baron und Kaiser Ferdinand III. erhebt ihn in den erblichen Adelsstand des Reichsritters.
«Le roi du simplon», Kaspar Stockalper, stand 1669 am Zenit seiner Macht. Das Bild ist im Rittersaal des Stockalperschlosses zu bewundern.
«Le roi du simplon», Kaspar Stockalper, stand 1669 im Zenit seiner Macht. Das Bild ist im Rittersaal des Stockalperschlosses zu bewundern. Stockalperschloss, Foto: Thomas Andenmatten
Kaspar Stockalper vom Thurm macht sich mit einer politisch-geschäftlichen Neutralität über die Jahre auf allen Seiten nützlich, hält die Grossmächte von Interventionen ab, spielt sie gegeneinander aus, bleibt mit allen im Geschäft. So bringt er das Wallis ungeschoren und sich selbst reich bezahlt durch die Kriegszeiten. Die Rivalität zwischen Frankreich und Spanien dauert auch nach dem Westfälischen Frieden 1648 an. So bleibt Stockalpers Geschäftsmodell der Neutralität und seine Position in diesem Pendelspiel intakt. 1669 erreicht er die höchste Würde des Landes. Er wird zum Landeshauptmann gewählt und vereinigt damit die höchste legislative, exekutive und judikative Gewalt in sich. Wirtschaftlich und politisch im Zenit, scheint er unantastbar. Doch es kommt anders...

Der König von Brig

In einer dreiteiligen Serie beleuchtet Historiker und Autor Helmut Stalder Aufstieg und Fall von Kaspar Stockalper, des «Königs von Brig»: Teil 1: Der Geopolitiker aus Brig Teil 2: Neutralität als Geschäftsmodell Teil 3: Geld scheffeln bis zum Untergang Mehr zu Stockalper gibt es in Helmut Stalders Buch «Der Günstling. Kaspar Stockalper – Reichtum, Macht und der Preis des Himmelreichs», das 2022 erschienen ist.

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