Porträt von Johann Ludwig Burckhardt, respektive Scheich Ibrahim ibn Abdallah, 1830.
Porträt von Johann Ludwig Burckhardt, respektive Scheich Ibrahim, 1830. Wikimedia / Historisches Museum Basel

Johann Ludwig Burckhardt: Ein unerschro­cke­ner Schweizer Entdecker

Im Jahr 1812 durchquerte der Schweizer Abenteurer und Forscher Johann Ludwig Burckhardt (1784-1817) die antike nabatäische Stadt Petra. Er war der erste Europäer, der die Ruinen seit den Kreuzzügen zu Gesicht bekam. Sein Leben erzählt eine faszinierende Geschichte voller Forschung und unerwarteten Abenteuer.

James Blake Wiener

James Blake Wiener

James Blake Wiener ist Historiker, Mitbegründer der World History Encyclopedia, Autor und PR-Spezialist, der in Europa und Nordamerika als Dozent tätig ist.

Webseite: worldhistory.org
Johann Ludwig Burckhardt wurde am 24. November 1784 in Lausanne, Schweiz, als Sohn von Rudolf Burckhardt und Sara Rohner geboren. Er stammte aus einer wohlhabenden Basler Familie, die ihr Vermögen mit dem Handel und der Herstellung von Seide gemacht hatte. Der junge Burckhardt wuchs in einem kosmopolitischen Haushalt auf, der zwischen Basel und Lausanne pendelte. Zu den Familienfreunden zählten unter anderem Edward Gibbon, Madame de Staël und Goethe.
Gemälde von Johann Ludwig Burckhardt als zweijähriges Kind von Anton Graff
Gemälde von Johann Ludwig Burckhardt als zweijähriges Kind von Anton Graff, 1786. Wikimedia / Historisches Museum Basel
Burckhardts Leben umspannte die Französische Revolution (1789-1799) und die Napoleonischen Kriege (1803-1815), und das Vermögen seiner Familie litt infolge der politischen Umwälzungen, die Europa erschütterten. Die Burckhardts betrachteten die französische Invasion in der Schweiz (1798) und den anschliessenden Mediationsakt (1803) als katastrophal, da diese ihren eigenen geschäftlichen und politischen Interessen zuwiderliefen. Angesichts der verminderten Aussichten und Möglichkeiten in der Schweiz verfolgte der junge Burckhardt ein Studium der Sprachen, des Rechts und der Statistik in Göttingen und später in Leipzig. 1806 zog Burckhardt nach England. Napoleons Erfolge gegen Österreich in der Schlacht von Austerlitz (1805) und gegen Preussen in den Doppelschlachten von Jena und Auerstedt (1806) überzeugten Burckhardt davon, dass Grossbritannien die einzige bedeutende europäische Macht war, die Napoleons Frankreich bekämpfen konnte. Burckhardts Umzug nach England wurde auch durch seinen Wunsch nach einer Karriere im britischen Staatsdienst motiviert.
Johann Ludwig Burckhardt mit 24 Jahren, Frontispiz von «Reisen in Nubien», nach einer Zeichnung von Joseph Slater, 1819. Wikimedia
Obwohl Burckhardt letztendlich in seiner Suche nach einer Position im Staatsdienst nicht erfolgreich war, wurden seine sprachlichen Fähigkeiten und sein gelehrter Geist dennoch belohnt. Er fand schliesslich eine Anstellung bei der Londoner Association for Promoting the Discovery of the Interior Parts of Africa (besser bekannt als die African Association). Ziele der 1788 gegründeten African Association waren die Erforschung der Ursprünge und des Verlaufs des Nigerflusses und den genauen Standort der sagenhaften Stadt Timbuktu sowie die Abschaffung des Handels mit versklavten Menschen. Breiteres Wissen über den afrikanischen Kontinent und den Nahen Osten zu erlangen und zu verbreiten, war ein strategisches Ziel Grossbritanniens im globalen Kampf gegen das napoleonische Frankreich. Auch Burckhardt teilte dieses Anliegen.  
Die Quelle des Nigerflusses und der Standort von Timbuktu waren den Europäern unbekannt. Wikimedia
Während seines Aufenthalts in London hinterliess Burckhardt einen so starken und positiven Eindruck bei dem englischen Naturforscher Sir Joseph Banks (ca. 1742-1820), dem Präsidenten der renommierten Royal Society, dass Banks sich bereit erklärte, das notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen, damit Burckhardt eine eigene Expedition unternehmen konnte. Interessanterweise hatte Banks eine Generation zuvor dem britisch-schweizerischen Künstler John Webber geholfen, seinen Platz in Captain James Cooks dritter Expedition zu sichern. Zur Vorbereitung auf seine Reise ins Herz Westafrikas studierte Burckhardt Arabisch, Medizin, Chemie, Astronomie und afrikanische Geographie an der Universität Cambridge. Nachdem er die Grundlagen des Arabischen erlernt hatte, wurde Burckhardt zuerst nach Syrien und dann nach Ägypten geschickt. Dort sollte er Arabisch perfektionieren und die Nuancen der arabischen Sitten erlernen, bevor er sich in die Sahara wagte.

Reise in die Levante

Burckhardt machte einen Zwischenstopp in Malta, während er 1809 auf dem Weg von England in den Nahen Osten war. In Valletta erfuhr er vom Schicksal des deutschen Entdeckers Ulrich Jasper Seetzen (1767-1811). Seetzen war ein Studienkollege aus Göttingen und Wissenschaftler, der bei dem Versuch starb, die antike nabatäische Stadt Petra zu finden. Fasziniert davon, beschloss Burckhardt, mehr darüber zu erfahren, sobald er Aleppo im osmanisch kontrollierten Syrien erreichen würde. Nach seiner Abreise aus Malta nahm Burckhardt eine neue Identität an – die eines muslimischen Händlers aus Nordindien namens «Scheich Ibrahim ibn Abdallah». Er glaubte, dass seine Tarnung helfen würde, sein unvollkommenes Arabisch zu verbergen und eine genaue Prüfung durch Einheimische und osmanische Beamte zu vermeiden.
Porträt des Scheich Ibrahim ibn Abdallah (Johann Ludwig Burckhardt), zwischen 1817 und 1828.
Porträt des «Scheich Ibrahim ibn Abdallah» zwischen 1817 und 1828. Wikimedia / Historisches Museum Basel
Wenn man Burckhardts Berichten glaubt, funktionierte die Täuschung gut: Immer wenn jemand Burckhardt fragte, wie man etwas auf Hindustani sagt, antwortete er in stark akzentuiertem Schweizerdeutsch. Währenddessen setzte Burckhardt sein Arabischstudium fort und lernte ganze Suren aus dem Koran auswendig, um seinen Akzent zu perfektionieren und sich in die Gesellschaft von Aleppo einzufügen. In den nächsten drei Jahren unternahm Burckhardt kurze, unabhängige Forschungsreisen in den heutige Libanon, Palästina, Jordanien, Israel und Saudi-Arabien. Er untersuchte antike und prähistorische Stätten und war einer der ersten Europäer, der hethitische Hieroglyphen aufzeichnete. Er kaufte seltene Karten, Bücher, Manuskripte und Schriftrollen, um so viel wie möglich über die Topographie, Pflanzen, Geschichte und Kunst der Region zu erfahren. Burckhardt studierte sogar Islamische Rechtsprechung (Fiqh) islamische Rechtswissenschaft und die Bräuche der Beduinenstämme der Levante. Bewusst über seinen fremden Hintergrund und sein europäisches Erscheinungsbild, versuchte Burckhardt so unauffällig wie möglich zu sein – er machte nur dann Notizen in seinem Tagebuch, wenn er völlig privat war. Er liess sich zudem einen Bart wachsen und trug arabische Kleidung. Seine Vorsichtsmassnahmen waren bemerkenswert, wenngleich er mehrmals während seines Aufenthalts ausgeraubt wurde.
Burckhardts Karte von Syrien und dem Heiligen Land, die Palästina und Ägypten sowie die osmanischen Paschaliks zeigt, 1822 publiziert. Wikimedia
Im Sommer 1812 war Burckhardt bereit, nach Ägypten weiterzuziehen. Er hatte die sagenumwobene Stadt Petra jedoch nicht vergessen. Anstatt direkt entlang der Levanteküste nach Kairo zu reisen, wählte er eine Route durch das Wüsteninnere über Amman nach Kerak. Burckhardt reiste unter dem Vorwand, eine Pilgerreise und ein Opfer am Grab Aarons zu machen – er glaubte, dass die antike Stadt Petra irgendwo in der Nähe oder in den Umgebungen des Grabes Aarons liegen musste. Als er in Kerak ankam, stellte ihm der lokale Gouverneur einen zweifelhaften Führer zur Verfügung, der ihn bald in der Wüste verliess. Burckhardt war in der Wildnis, ohne ein einziges Buch oder eine Karte. Das Glück war jedoch auf Burckhardts Seite, denn es dauerte nicht lange, bis er auf ein Beduinenlager stiess. Die Nomaden erwiesen sich als relativ freundlich. Sie erfüllten Burckhardts Wunsch, eine Ziege am Grab Aarons zu opfern, und versprachen, Burckhardt über das Wadi Musa nach Aqaba am Roten Meer zu bringen.

Burckhardts Entdeckung von Petra

Am 22. August 1812 betrat Burckhardt Petra. In einem Brief an die African Association schrieb er: «In einer Entfernung von zwei langen Tagesreisen nordöstlich von Akaba befindet sich ein Bächlein und ein Tal im Djebel Shera, an der Ostseite der Araba, das Wady Mousa genannt wird. Dieser Ort ist wegen seiner Altertümer und der Überreste einer antiken Stadt sehr interessant, die ich für Petra halte, die Hauptstadt von Arabia Petraea, einen Ort, den, soweit ich weiss, noch kein europäischer Reisender besucht hat. Im roten Sandstein, aus dem das Tal besteht, befinden sich über 250 Gräber, die vollständig aus dem Felsen gehauen sind, die meisten mit griechischen Ornamenten. Es gibt ein Mausoleum in Form eines Tempels, von kolossalen Dimensionen, ebenfalls aus dem Felsen gehauen, mit all seinen Räumen, seinem Vestibül, seinem Peristyl usw. Es ist ein sehr schönes Beispiel griechischer Architektur und in perfektem Zustand. Es gibt andere Mausoleen mit Obelisken, scheinbar im ägyptischen Stil, ein ganzes Amphitheater, das aus dem Felsen gehauen ist, sowie die Überreste eines Palastes und mehrerer Tempel. Auf dem Gipfel des Berges, der das enge Tal auf seiner westlichen Seite abschliesst, befindet sich das Grab von Haroun [Aaron]. Es wird von den Arabern sehr verehrt.»
Der schmale Durchgang (Siq), der nach Petra, Jordanien, führt.
Der schmale Durchgang (Siq), der nach Petra, Jordanien, führt. Wikimedia
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Ad Deir (das Kloster) in Petra, Jordanien.
Ad Deir («Das Kloster») in Petra, Jordanien. Wikimedia
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Mosaik der Petra-Kirche, Petra, Jordanien.
Mosaik der Petra-Kirche, Petra, Jordanien.   Wikimedia
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Al-Khazneh (Die Schatzkammer) in Petra, Jordanien.
Al-Khazneh («Die Schatzkammer») in Petra, Jordanien.   Wikimedia
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Die Königlichen Gräber in Petra, Jordanien.
Die Königsgräber in Petra, Jordanien. Wikimedia
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Burckhardt hatte wenig Zeit, Petra zu erkunden. Besorgt, dass die Beduinen ihn verdächtigten, ein Grabräuber oder Zauberer zu sein, setzte er seine Reise nach Kairo fort.

Weitere Expedi­tio­nen

Zwischen 1812 und 1817 unternahm Burckhardt weitere Forschungsexpeditionen im ganzen östlichen Nordafrika und auf der Arabischen Halbinsel. Er folgte dem Nil tief nach Oberägypten und Nubien und war wohl der erste Europäer, der 1813 die lange verschollenen Ruinen von Abu Simbel erblickte. Auf dieser Expedition besuchte er auch die Pyramiden von Meroë im heutigen Sudan.
Archäologische Stätten der Insel Meroë (Sudan): Pyramiden von Meroë – Nordfriedhof.     Wikimedia
Burckhardt reiste sogar zwischen 1814 und 1815 in die islamischen heiligen Städte Mekka und Medina. Er gab sich als Bettler aus, um nach Mekka einzutreten, was ihm erfolgreich gelang. Die Debatte darüber, ob er wirklich zum Islam konvertierte oder nicht, dauert noch immer an. Seine Familie bestritt dies, aber dennoch gibt es einige Hinweise darauf, dass seine Konversion aufrichtig war. Auf jeden Fall bleibt die Tatsache bestehen, dass Burckhardts Schriften die ersten Primärquellen über Mekka sind, die von einem Europäer verfasst wurden.
Haddsch-Urkunde von Scheich Ibrahim, 1814
Haddsch-Urkunde von Scheich Ibrahim, 1814. Der Haddsch ist die islamische Pilgerfahrt nach Mekka. Wikimedia / Historisches Museum Basel
Jahre des unerschrockenen Reisens und eines rauen Lebensstils holten Burckhardt schliesslich ein, gerade als er bereit war, nach Westafrika aufzubrechen. Eine Serie tödlicher Epidemien, darunter die Pest und die Ruhr, suchten den Nahen Osten und Nordafrika in den 1810er-Jahren heim. Burckhardt erkrankte im Sommer 1814 in Dschidda an Ruhr und erlag der Krankheit erneut nur wenige Monate später in Medina. Der dritte Ruhranfall erwies sich als tödlich, und er starb im Alter von 33 Jahren am 15. Oktober 1817 in Kairo. Er wurde auf dem Friedhof Bab el-Nasr im Zentrum von Kairo beigesetzt, und man kann seine Grabstele noch heute besuchen.
Grabstele von Johann Ludwig Burckhardt in Kairo.
Grabstele von Scheich Ibrahim, respektive Johann Ludwig Burckhardt, in Kairo.   Wikimedia

Ein bedeuten­des Vermächtnis

Obwohl Burckhardt heute in der Schweiz relativ unbekannt ist, hinterliess er der Nachwelt ein unbestreitbares Vermächtnis. Burckhardt verfasste umfangreiche und sorgfältige ethnografische und geografische Aufzeichnungen über die Orte und Völker, denen er während seiner Reisen im Nahen Osten und in Nordafrika begegnete. Seine Schriften sind für die Zeit, in der er lebte, aussergewöhnlich lebendig und objektiv. Nach seinem Tod veröffentlichte die African Association Burckhardts Werke: Reisen in Nubien (1819); Reisen in Syrien und dem Heiligen Land (1822); Reisen in Arabien (1829); Arabische Sprichwörter oder die Sitten und Gebräuche der modernen Ägypter (1830); und Notizen über die Beduinen und Wahhabiten (1830).
Porträtbüste Scheich Ibrahim, respektive Johann Ludwig Burckhardt, von Ferdinand Schlöth 1857. Wikimedia / Historisches Museum Basel
Die von Burckhardt gesammelten und aufgezeichneten Informationen waren von immensem Wert für das europäische Wissen über die Region. Aufgrund seiner Beiträge in den Bereichen Ethnografie, Kartografie und Archäologie und für seine Wiederentdeckung von Petra wurde Burckhardt posthum der jordanische Unabhängigkeitsorden zweiter Klasse vom verstorbenen König Hussein von Jordanien im Jahr 1991 verliehen.

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