Der Titlis träumt von einer Palme. Noldes Sicht des über 3000 Meter hohen Berges.
Der Titlis träumt von einer Palme. Noldes Sicht des über 3000 Meter hohen Berges. Schweizerisches Nationalmuseum

Der Mann, der den Bergen ein Gesicht gab

Emil Nolde war zeitlebens von den Schweizer Alpen fasziniert. Seine Liebe zu den Bergen verewigte der Maler in vielen witzigen Werken.

Katrin Brunner

Katrin Brunner

Katrin Brunner ist selbstständige Journalistin mit Schwerpunkt Geschichte und Chronistin von Niederweningen.

Ob es daran lag, dass der junge Emil in der bis 1920 noch zu Deutschland gehörenden Ortschaft Nolde (heute Dänemark) aufwuchs und Berge nur von Fotos kannte, ist nicht bewiesen. Aber als er 1892 nach seiner Ausbildung zum Holzbildhauer und Zeichner nach St. Gallen kam, um dort technisches Zeichnen zu unterrichten, war es um ihn geschehen: Im Januar 1892 stand Emil Nolde am Ufer des Bodensees und blickte in die Alpen. Dieses wunderschöne Panorama besiegelte sein Schicksal. Entgegen dem Wunsch seines Vaters, den elterlichen Landwirtschaftsbetrieb zu übernehmen oder Schreiner zu werden, entschloss sich der damals 25-Jährige, zukünftig als Kunstmaler tätig zu sein. In der Folge war der Deutsche oft mit seinen Malutensilien in St. Gallen unterwegs. Noch lieber aber wanderte er im nahen Alpstein und überhaupt in den Schweizer Alpen. Als Mitglied des SAC stand er auf dem Matterhorn, der Jungfrau und auf dem Gipfel des Monte Rosa. Namen wie Schreckhorn, Churfirsten, Jungfrau oder Mönch beflügelten die Fantasie des jungen Mannes.
Können Berge krank werden? Nolde fand ja, schliesslich war die Schynige Platte auf einer seiner Postkarten erkältet.
Können Berge krank werden? Nolde fand ja, schliesslich war die Schynige Platte auf einer seiner Postkarten erkältet. Schweizerisches Nationalmuseum

Als Lehrer ungeeignet

In seiner Zeit als Lehrer am Industrie- und Gewerbemuseum St. Gallen fiel der Startschuss zu seiner Karriere als einer der wichtigsten deutschen expressionistischen Maler seiner Zeit. Als Lehrer jedoch hatte Hans Emil Hansen, wie Nolde damals noch hiess, kein Talent. Nach nur fünf Jahren wurde er entlassen. Sein schweigsamer und distanzierter Charakter taugte nicht, um die Schülerschaft zu fesseln und zu unterrichten. Der Maler, der fast jede freie Minute irgendwo in den Bergen unterwegs war, begann, den bekanntesten Alpengipfeln witzige und menschliche Gesichter zu geben. Den Sommer 1894 verbrachte er im Lötschental. Ab da entstand eine ganze Reihe von expressionistischen Bergpostkarten, die Serie der Berggesichter. So hatte noch keiner vor ihm die Berge und Täler dargestellt. Mehr aus Neugier schickte Emil Hansen 1896 zwei seiner Bilder an den Verlag der Zeitschrift Jugend, wo seine skurrilen Bergporträts sofort Gefallen fanden. Diese ungewohnten und witzigen Sujets waren denn auch bei der zahlenden Kundschaft äusserst beliebt. Schlussendlich sollten es rund 30 unterschiedliche Postkartenmotive werden.
Eiger, Mönch und Jungfrau waren für Emil Nolde Opfer des Fortschritts. Postkarte, hergestellt um 1897.
Eiger, Mönch und Jungfrau waren für Emil Nolde Opfer des Fortschritts. Postkarte, hergestellt um 1897. Schweizerisches Nationalmuseum
Der Verkauf dieser Postkarten ermöglichte Hansen ein geregeltes Einkommen. 1897 verkaufte er beispielsweise innert zehn Tagen rund 100’000 Karten. 1899 gewann der Maler mit seiner originellen Postkartenkunst an der Internationalen Postkartenausstellung in Nizza einen Preis. Diese Erfolge, auch in finanzieller Hinsicht, machten ein Leben als unabhängiger Künstler überhaupt erst möglich. Hansen scheint ein getriebener Mensch gewesen zu sein. Um die Jahrhundertwende verliess er die Schweiz, um nach Deutschland zurückzukehren. 1902 wurde aus Hans Emil Hansen Emil Nolde. Ob er mit diesem Namenswechsel seine Heimat ehren oder einfach den «Allerweltsnamen» Hansen ablegen wollte, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Im gleichen Jahr heiratete er die Schauspielerin Adamine (kurz Ada) Vilstrup.
Porträt von Emil Nolde. Das Bild wurde vor 1929 aufgenommen.
Porträt von Emil Nolde. Das Bild wurde vor 1929 aufgenommen. Wikimedia
Der sich nun Emil Nolde nennende Künstler und seine Frau waren überzeugte Nationalsozialisten. Sobald als möglich trat er in die NSDAP ein. Der Maler war ein Rassist und Antisemit und hatte eine klare Meinung zur «Überflutung» deutscher Kunst durch jüdische Einflüsse. Dies, obwohl sich auch in seinem Freundeskreis einige jüdische Künstler befanden. Es muss wohl ein harter Schlag für ihn gewesen sein, als 1937 rund 50 seiner Werke, darunter die Bilderreihen Leben Christi und Das verlorene Paradies, in der Ausstellung Entartete Kunst in München gezeigt wurden. Seine Bilder entsprachen so gar nicht der traditionellen Wahrnehmung der Nationalsozialisten; sie seien grotesk in Figur und Farbgebung, lautete die Begründung dafür. Im Sommer 1941 bekam Emil Nolde Post von Adolf Ziegler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, und damit ein ausdrückliches Berufsverbot. Ziegler schrieb unter anderem: «... stehen Sie jedoch auch heute noch diesem kulturellen Gedankengut fern und entsprechen nach wie vor nicht den Voraussetzungen, die für Ihre künstlerische Tätigkeit im Reich und damit für eine Mitgliedschaft bei meiner Kammer erforderlich sind.»
Videoclip über die Ausstellung «Entartete Kunst» von 1937 in München. YouTube
Trotzdem verteidigte Emil Nolde die Ideologie des Naziregimes bis zum Schluss. Die Ablehnung von Hitlers sogenannten Kunstverständigen wurde nach dem Krieg zu seinem Vorteil. Er durfte wieder malen, und die Siegermächte sahen in ihm ein Opfer. Entsprechende Dokumente, die ihn als Sympathisanten des Naziregimes bestätigt hätten, vernichtete der Künstler kurz nach dem Krieg. 1946 starb Adamine Vilstrup an einer Herzschwäche. Zwei Jahre später heiratete Emil Nolde die erst 26-jährige Jolanthe Erdmann. Auf der Hochzeitsreise besuchte das Paar die Schweiz 1948. Es sollte das letzte Mal sein. Der Mann, der den Bergen ein Gesicht gab, starb im April 1956 in seinem Haus im norddeutschen Seebüll.
Noldes Berggesichter waren inspirierend, er wurde von zahlreichen Zeitgenossen kopiert. Hier eine Postkarte der Kurfirsten von 1898.
Noldes Berggesichter waren inspirierend, er wurde von zahlreichen Zeitgenossen kopiert. Hier eine Postkarte der Churfirsten von 1898. Schweizerisches Nationalmuseum

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