
Unparteiisch? Die Figur des Schiedsrichters im Wandel
Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter gelten vordergründig als neutrale Figuren. Gleichsam sind sie umstritten. Ein Blick zurück zeigt die Herkunft des Schiedsrichterwesens und die Funktionen dieser Vorstellung im Recht und im Sport auf.
Gerade in der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft war das Schiedsverfahren ein üblicher Rechtsvorgang, sowohl unter den Orten als auch unter Einzelpersonen. Meist waren es hochangesehene, adelige Männer, welche die Funktion des Schiedsrichters ausfüllten: Landvögte, Landammänner, bisweilen auch Räte, Stadtschreiber und Bürgermeister. Aber auch Königinnen und Könige fungierten als Schiedsrichter. Das biblische salomonische Urteil war Vorbild.
Die Figur des neutralen Schiedsrichters und des Schiedsgerichts verschwand mehrheitlich durch das Aufkommen des römischen Rechts und den entsprechenden auf Indizien und Rechtsgrundsätzen basierenden Verfahren. Eine Renaissance erlebte das Schiedsrichterwesen im Völkerbund 1920, als die Nationen kompromissorientierte Konfliktlösungen anstrebten. Bis heute kennt man Schiedsgerichte jedoch im Handelsrecht, bei internationalen Konflikten und als oberste Instanz im Sportschiedsgericht (CAS) in Lausanne.
Von Gladiatorenkämpfen bis zur Regelüberwachung
«20. Februar 1436: [...] am Montag, wurden nach dem Mittagsmahl alle Helme in jenen Saal gebracht, und die ganze Gesellschaft begab sich dann zur Probe nach dem Kampfplatze. Die grossen Herren kamen mit ihren Vasallen und wer über keine solchen gebot, kam allein oder mit zwei oder drei andern Edelleuten. Vom Turnierplatze begab sich von den Damen, wer Lust hatte, in den Saal, um die Helme zu betrachten. Und da bezeichnete eine jede den Helm des Ritters, über den sie Klage zu führen hatte.»
Dennoch sind die Schiedsrichterbeeinflussung, das Hinterfragen der Neutralität und die Bestechung keine modernen Phänomene. Im griechischen und römischen Wettkampf gab durchaus solche Fälle und es waren Bestrafungen der Fehlleistungen vorgesehen. Insofern kann trotz der schlechten Forschungs- und Quellenlage davon ausgegangen werden, dass mittelalterliche Schiedsrichter «auch nur Menschen» waren und es durchaus denkbar ist, dass sie teilweise beeinflusst wurden.
Vom Captain zum Referee: Die Entstehung des Schiedsrichterwesens im Fussball
Dies gilt nicht nur für die Domestizierung der ursprünglich eher wild verlaufenden Ritterturniere, sondern lässt sich abschliessend auch am Beispiel des Fussballs aufzeigen: Die ersten Regeln entstanden in England um 1863. Man durfte nur den Ball und nicht auch die Spieler treten; 1866 folgen Eckball-, Freistoss- und Offsideregeln; seit 1871 dürfen nur noch die Goalies den Ball in die Hände nehmen. Die Regelauslegung war Sache der Spieler, die Captains entschieden darüber. Was heute im Kinder- und Freizeitfussball immer noch üblich ist, funktionierte allerdings im Geburtsland des modernen Fussballs nicht lange gut. 1874 wurde dann ein neutraler «referee» eingeführt, der das Spiel leitete, vier Jahre später wurde er mit Trillerpfeife ausgestattet und ab 1889 bekam er zwei Linienrichter zur Unterstützung.
Wie in vielen Sportarten sind auch im Fussball die Geschlechterunterschiede gross. Als in den ausgehenden 1960er Jahren erste Frauen Fussball spielen wollten, durften sie das in der Schweiz gemäss den Reglementen nicht. Als Entschädigung wurden beispielsweise Madeleine Boll und weiteren Pionierinnen angeboten, eine Schiedsrichterinnenausbildung zu machen und Juniorenspiele pfeifen zu dürfen. Ein billiges Trostpflaster, welches nicht alle annahmen. Erst ab 1970 durften Frauen in einer eigenen Liga kicken, natürlich geleitet von Männern. An der ersten Frauenfussball-WM 1991 setzte die FIFA dann erstmals auch Frauen als Unparteiische ein.
Grössere Bekanntheit erreichte dann Nicole Petignat, die erste Schweizerin, welche auch auf höchster Stufe in der Schweiz und in Österreich Spiele der Männer leitete. Am 14. August 2003 war sie die erste Frau, die ein UEFA-Cupspiel der Männer leitete. Sie pfiff an internationalen Frauenturnieren wie beispielsweise an den Weltmeisterschaften von 2003 in den USA und 2007 in China oder an der Frauen-EM 2005 in England. Bis heute sind Frauen im Schiedsrichterwesen jedoch klar in der Minderheit und werden in den Medien kritischer bewertet als Männer.
Swiss Sports History

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.


