Am Nachmittag des 25. Juni 1898 gipfelten die dreitägigen Eröffnungsfeierlichkeiten des Landesmuseums in einem pompösen Festumzug durch die Zürcher Innenstadt. Die einzelnen Kantone präsentierten sich unter dem Titel «Die Schweizerischen Volkstrachten in Bildern aus dem Volksleben».
Historiker und Mitarbeiter im Bildarchiv des Schweizerischen Nationalmuseums
Die Gründung eines Nationalmuseums war in der föderalistisch geprägten Schweiz keine Selbstverständlichkeit. Bereits 1799 wurde eine Centralsammlung der Kunstsachen angedacht, in der Folge scheiterte die Idee aber am Widerstand der Kantone, die ihre eigenen historischen Sammlungen pflegten und die Deutungshoheit über ihre Geschichte nicht preisgeben wollten. Erst 1890 wurde das Landesmuseum per Gesetz gegründet. Damit ging der Streit jedoch erst richtig los, indem sich Bern und Zürich in der Standortfrage eine giftige Auseinandersetzung lieferten, die das eidgenössische Zweikammersystem vor eine bis dahin nicht gekannte Zerreisprobe stellte. Erst nach einem Jahr fiel der Entscheid zugunsten von Zürich. Anschliessend gestaltete sich die Umsetzung der extravaganten Pläne des Architekten Gustav Gull langwieriger als gedacht und auf der damals grössten Baustelle Zürichs kam es immer wieder zu Verzögerungen.
Entsprechend gross war die Freude und Erleichterung, als am späten Nachmittag des 24. Juni 1898 der Extrazug mit den Mitgliedern des Bundesrates, des diplomatischen Corps und der Bundesversammlung in den Zürcher Bahnhof einfuhr. Bis am Abend traf eine Vielzahl illustrer Gäste aus der gesamten Schweiz und dem Ausland ein. Das Eröffnungswochenende – ein Fest wie es Zürich noch selten gesehen hatte – nahm mit einer Vorstellung im Stadttheater und einem Fackelzug der Studenten beider Hochschulen seinen Lauf. Am nächsten Morgen wurde das Landesmuseum unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Eidgenossenschaft übergeben und die auserlesene Schar der Offiziellen zog in einem Festzug kreuz und quer durch die Zürcher Altstadt zur Tonhalle.
Der Gesamtbundesrat führt die offizielle Delegation – u.a. bestehend aus Bundesversammlung und diplomatischem Corps – am Morgen des 25. Juni 1898 vom Landesmuseum zur Tonhalle.
Den unbestrittenen Höhepunkt bildete am Nachmittag der kostümierte Festumzug, der sich um 15 Uhr mit 2000 Teilnehmern, 21 Musikkorps, 200 Berittenen und 70 Wagen in Bewegung durch die mit Schaulustigen überbordenden Strassen und Gassen setzte. Die Erwartungen waren riesig, wie auch der Journalist der Neuen Zürcher Zeitung – von dem auch die Zitate zu den Bildern weiter unten stammen ¬– nicht ohne einen gewissen Pathos zu berichten wusste:
«Unter Tannen! – Der Berichterstatter träumt von Ferien und er hört über sich schon die Wipfel rauschen – fern von der Stadt – fern vom Unfrieden des Gewühls – aber ob sie nicht in die Waldesruhe hineingaukeln, die wundersamen Bilder vom Festzug? – Nun, komme nur, du leuchtender Farbenjubel, du herzzerreissendes Gemälde alles dessen, was an Schönheit, Gesundheit und Rassigkeit im Volke lebt, das zwischen der grünen Rheinwelle und dem weissen Firnschnee wohnt. Es sind in unsern schaufreudigen Städten vielleicht schon prunkvollere Züge als die Bilder aus dem Volksleben gesehen worden, aber niemals etwas Lieberes, Intimeres, Freundlicheres als das Trachtenfest des Schweizervolkes, als das Spiel der Sitten und Gebräuche, die voll tiefer Poesie aus dem geheimnisvollen Schoss der Volksseele gewachsen sind. [...] Sah man je ein Volk, das sich würdiger benahm, als am Samstag Zürichs Gäste, als die Spaliere an allen unseren Strassen? Kein Stossen, kein Drängen, tausende in willigem Gehorsam gegen die paar Polizisten und Rekruten, welche die Strasse frei hielten. Und welch’ ehrbietige Haltung beim Vorüberzug! [...] Es fehlt zum vollen festlichen Glanz der Sonnenschein vom Himmel, dieser hielt sich bedeckt, aber das müsste ein armer, rettungslos verbitterter Mensch gewesen sein, dem nicht der Sonnenschein im Herzen aufgegangen wäre vor dem prachtmässigen Bilderzug, den nicht nur die Besucher der Tribünen, die nicht so stark benutzt wurden, wie man erwartet hatte, sondern Jung und Alt vom Strassenrand mit Musse betrachtete. [...] Wir sassen am Bahnhof. Da von der Brücke ein Stichwort, das sich durch die Menge wie Meeresbrausen fortpflanzt: “Sie kommen – sie kommen“ und von fernher rauschen die festlichen Fanfaren, sie elektrisieren und andächtige Erwartung spannt die Scharen.»
Eröffnungsgruppe: Prachtwagen der Helvetia
«Schildern lässt sich der Zug nicht – daran verzweifle ich – nur ein paar lückenhafte Stichworte – nur einen Gruss an Helvetia, die, das Modell des Landesmuseums zu ihren Füssen, auf einem mit zwölf Schimmeln bespannten Prachtwagen siegreich durch ihr Land wallt. Um sie sind die Genien der Religion, der Natur, der Sage und Geschichte und indem die herrliche Erscheinung an uns vorüberzieht, neigen wir uns vor der Poesie des Schweizerlandes, die in ihr verkörpert ist.»
Luzern: Ländliche Taufe im Surenthal
«Folgt Luzern, dem würdevoll der Standesweibel vorangeht. Die “wilden Männer“, die mit mächtigen Tannenbäumen einherschreiten, sind Prachtgestalten so recht nach Odyssee oder Nibelungen. Mit den zweien möchte ich keine Händel. Voll ursprünglicher Stimmung ist die Taufe im Suhrenthal, ein Genregemälde von Vautier, ebenso die Heuernte im Amt Willisau, alles ländliche Poesie mit Bodengeruch.»
Urkantone: Tellenfahrt mit Uri-Nauen
«Zwei Vautier bot Luzern, einen Ludwig Vogel grossen historischen Stils Uri mit seiner würdevollen, von einem religiösen Hauch überschwebten Prozession der Tellenfahrt auf wuchtigem Uri-Nauen, über dem Fahnen fliegen. Schade nur, mit ein paar flüchtigen Worten ist dem feierlichen Eindruck dieses Volksbildes nicht gerecht zu werden. Hätte man die Trachten und ihre Trägerinnen prämieren wollen, so hätte gewiss eine rassige kleine Schächenthalerin von Wyterschwanden, ein herziges Krötlein, einen ersten Preis verdient. Aber es ist schon vorsichtiger, man teile keine Parisäpfel aus.»
Basel: Basler Fasnacht
«Und nun Basel mit den merkwürdigen drei Ehrenzeichen Leu, wilder Mann und Greif, mit den humoristischen Volksgestalten der beiden “Ueli“, mit den geschicktesten Trommlern des Schweizerlandes, Basler Fasnacht – flott – flott!»
Thurgau: Ermatinger Groppenfasnacht
«Da bist du ja, du fröhlicher, gesegneter Thurgau, du hast die originellen Fischer von Ermatingen mit ihren Netzen und Gehren, du hast die lachenden Mädchen mit ihren zierlich durchbrochenen Tellerhüten, sie ziehen von der Obsternte heim mit roten, feinen Wangen, wie die Aepfel, die sie in ihren Körben tragen und indem ich sie sehe, erscheint in der blauen Ferne der Jugenderinnerung jener gemütliche Mann, der mir den ersten Unterricht über das Heiraten gab. “Joggeli“, sagte er, “mit einer Thurgauerin verdirbt man nicht“. Und das glaube ich gern, wenn die klugäugigen, saubern Mädchen vorüberziehen.»
Wallis: Festparade im Lötschental und wandernde Evolaner
«Es ist, als wolle der Trachtenzug nicht zu Ende gehen und immer noch steigert sich der Eindruck der Bilder. Das Wallis stellt ein wahres Kleinod einer Gruppe, es weist ein militärisches Bild, die Festparade im Lötschenthal, dazu kommen die Savieserinnen mit ihrem eigenartig schönen Typ, die sanften Evolenerinnen mit ihren weissen zarten Spitzenhäubchen unter dem flachen Hut, die Frauen aus dem Val d’Illiez, die als Sonntagsstaat eine dunkle Männertracht tragen, die Mönche von St. Bernhard mit ihren Hunden und wandernde Leute, die heut im Rhonetal in den Weinbergen, morgen auf der Alp sind. Wie der reizende Kleine lacht, der in seiner Wiege am Maultier angeschnallt ist, auf dem die Mutter reitet. Und alles ist so wunderbar echt, die Bilder reden Bücher, was für eine gewaltige Ursprünglichkeit und Mannigfaltigkeit im Schweizer Volksleben herrscht und da stehen die Walliser an erster Stelle, das eigenartige Volk, in dem sich Frohmut und tiefer Ernst zu den überraschendsten Nüancen verschmelzen.»
Waadt: Winzerfest in Vivis mit Bacchuswagen
«[...] und an sie schliesst sich die herrliche Waadtländergruppe, die uns das Winzerfest in Vivis mit einer Schönheit schildert, wie wenn wir an den Ufern des Genfersees selbst auf den Tribünen sässen. Was haben sie für hochgewachsene kraftvolle Männer mitgebracht und was für feine zierliche Mädchen und Frauen; man könnte glauben, sie wären alle Töchter der Königin Bertha, die wenn die Sage Recht hat, jetzt noch spinnend durch die sonnige Waadt reitet und das Volk segnet. Die Waadtländer Tracht ist die koketteste eleganteste Blüte einer Zeit, in der das geschwellte Selbstgefühl eines glücklichen Volkes zur äusseren Erscheinung kam.»
Schlussgruppe: Prachtwagen der Turica
«Und auf stolzem Prachtwagen Turica, die Hüterin des Landesmuseums, eine edle vollkräftige Erscheinung, die würdig abschliesst. Worte sind zu schwach den überwältigenden, freudevollen Eindruck des Zuges zu schildern – in der Erinnerung wird er als ein Jubelfest so echt aus Volkes Herzen bei allen gross stehen bleiben, die das Glück genossen haben ihn zu sehen.»
120 Jahre Landesmuseum Zürich
Am 25. Juni 1898 wurde das Schweizerische Landesmuseum in Zürich eröffnet. Aus diesem Anlass schauen wir eine Woche lang zurück auf Episoden aus seiner über 120-jährigen Geschichte.
Montag: Eröffnungsumzug
Die dreitägigen Eröffnungsfeierlichkeiten gipfelten am Nachmittag des 25. Juni 1898 in einem pompösen Festumzug durch die Zürcher Innenstadt.
Dienstag: Rundgang Auf einem Rundgang durch das neu eröffnete Landesmuseum um 1900 begeisterten vor allem die spektakulär gestalteten Ausstellungsräumlichkeiten.
Mittwoch: Ansichtskarten Als ein Zürcher Wahrzeichen war das Landesmuseum ein überaus beliebtes Motiv auf Ansichtskarten und wurde millionenfach verschickt.
Donnerstag: Arbeitsplätze
Ein Blick in die Büros, Ateliers und Sammlungen des Landesmuseums in den 1970er-Jahren.
Freitag: Erweiterung
Schon bei der Eröffnung 1898 plant man eine Erweiterung des Landesmuseums. Erst 118 Jahre später wird sie Realität.
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