Runkelrüben-Ernte im zürcherischen Rheinau, um 1910.
Schweizerisches Nationalmuseum

Agrarre­vo­lu­tio­nen in der Schweiz

Die Modernisierung der Schweizer Landwirtschaft zog sich über zwei Jahrhunderte hin: Vom systematischen Einsatz von Hofdünger über die Einspannung von Arbeitstieren bis zu Motorisierung vieler Arbeitsprozesse.

Peter Moser

Peter Moser

Peter Moser ist Historiker und Leiter des Archivs für Agrargeschichte AfA in Bern. Er ist zudem Vorstandsmitglied der European Rural History Organisation EURHO.

Die Modernisierung der Schweizer Landwirtschaft gleicht mehr einem Prozess als einem Ereignis, hat die bäuerliche Bevölkerung doch schon immer versucht, die Nutzung von Pflanzen und Tieren auf der Grundlage des Bodens zu verbessern. Wie weit ihr das jeweils gelang, hing allerdings von den sich ständig verändernden klimatischen, technischen und institutionellen Gegebenheiten ab, in die jede Agrarproduktion eingebettet ist.

Grundlegende, aber in der Regel noch kaum revolutionäre Veränderungen in der Produktion von Lebensmitteln erfolgten in dem in der Literatur lange Zeit als «Agrarrevolution» bezeichneten Zeitraum von circa 1700 bis 1850. Das hängt auch damit zusammen, dass im Zeitalter der ökonomischen Aufklärung sich Teile der Eliten für agrarische Fragen zu interessieren begannen. Aufbauend auf zum Teil von Bauern und Bäuerinnen wie Jakob Gujer schon lange angewendeten Praktiken propagierten ökonomische Patrioten wie Johann Rudolf Tschiffeli in Bern jetzt überall in Europa die Privatisierung der von der Dorfbevölkerung bisher kollektiv genutzten Allmende, die Stallhaltung des Viehs und den Anbau «neuer» Pflanzen wie Kartoffeln und Klee, der im Wachstumsprozess Stickstoff aus der Luft binden und im Boden anreichern kann.

Frauen beim Setzen von Kartoffeln. Das Bild wurde Ende des 19. Jahrhunderts gemacht.
Schweizerisches Nationalmuseum

Mit der Stallfütterung des Viehs auch im Sommer konnte der organische Dünger gesammelt und gezielter auf den für den Ackerbau benutzten Flächen eingesetzt werden. Deshalb stiegen die Getreideerträge, so dass für die Ernährung der Tiere grössere Flächen zur Verfügung standen. Der wachsende Tierbestand wiederum lieferte nicht nur mehr Milch und Fleisch, sondern auch mehr Mist und Jauche, weshalb dem Boden die mit der Pflanzenproduktion entzogenen Nähstoffe erstmals wieder systematisch zugeführt werden konnten. Dadurch wurde die Brachlegung des Bodens vielerorts überflüssig.

Charakteristisch für den Ausbau der Agrarproduktion in dieser ersten Agrarrevolution ist, dass sie im Wesentlichen noch ohne den Zugriff auf die Ressourcenvorräte im Erdinnern (Lithosphäre) erfolgte. Deshalb blieb die Ausdehnung begrenzt, die Steigerung innerhalb der Wachstumsgrenzen, die jede Nutzung lebender Ressourcen limitieren. Und aussergewöhnliche, wetter- und klimabedingte Rückschläge hatten auch jetzt immer noch Schrumpfungsprozesse zur Folge, weshalb Mangel und Hunger bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Westeuropa nicht verschwanden.

Obwohl die Produktion schon im 18. Jahrhundert ausgeweitet werden konnte, gab es bis Mitte des 19. Jahrhunderts immer noch Hungerkrisen. Zeichnung der Hungersnot von 1817, dem «Jahr ohne Sommer». Menschen im Toggenburg essen Gras auf den Weiden.
Toggenburger Museum Lichtensteig

Grosse Änderungen in der Landwirtschaft

Das änderte sich erst in der Phase der zweiten Agrarrevolution, die ungefähr von 1850 bis 1950 dauerte. Trug das begrenzte, agrarische Wachstum in der ersten Agrarrevolution viel zur industriellen Revolution und dem Bevölkerungswachstum bei, so wirkten zentrale Errungenschaften der Industriegesellschaften wie Kunstdünger und Mähmaschinen nun auf die Agrarproduktion ein und landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Milch, Fleisch und Leder wurden zu wichtigen Grundlagen der Nahrungsmittel- und Bekleidungsindustrie. Organisiert haben diesen Warenaustausch auf der nationale und transnationalen Ebene ab den 1880er-Jahren primär Genossenschaften. Auf der Seite der Produzenten führend war der Verband Ostschweizerischer Landwirtschaftlicher Genossenschaften VOLG, auf der Seite der Konsumenten der Verband Schweizerischer Konsumvereine VSK, heute als Coop bekannt. 1898 schlossen sich der VSK und der VOLG zum Schweizerischen Genossenschaftsbund zusammen. Auch die Systematisierung und Verwissenschaftlichungen der Tier- und Pflanzenzüchtung trug viel dazu bei, dass in der Landwirtschaft nun ein kontinuierliches Wachstum möglich wurde, das nur noch wenig hinter demjenigen in der Industrie herhinkte.

Test der Düngerdosierung, 1941.
Schweizerisches Nationalmuseum / ASL

Doch erst in der dritten, auf der Motorisierung und Chemisierung der Nahrungsmittelproduktion beruhenden Agrarrevolution in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fiel das Wachstum in der Landwirtschaft gleich hoch aus wie in der Herstellung industrieller Güter, die seit dem frühen 19. Jahrhundert auf dem Verbrauch von Kohle und Erdöl aus der Lithosphäre (dem Erdinnern) basierte. Dass allein zwischen 1950 und 1985 die Flächenerträge in der Landwirtshaft stärker anstiegen als in den 150 Jahren zuvor, beruht auch auf dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wie der Firma Dr. Rudolf Maag AG. Einen grossen Beitrag zur bisher ungeahnten Ausdehnung der Nahrungsmittelproduktion lieferten zudem jene Flächen, die bisher zur Futterproduktion für die zahllosen Arbeitstiere benötigt worden waren. Denn die in der Phase der zweiten Agrarrevolution stattfindende Mechanisierung der Agrarproduktion beruhte zu einem grossen Teil auf dem Einsatz von Arbeitstieren (Pferde, Esel, Kühe, Ochsen, Stiere, Hunde), deren Nahrung, wie diejenige der Menschen, auf dem Boden in der Biosphäre produziert werden musste.

Geschich­te Schweiz

Die Dauerausstellung zur Schweizer Geschichte beschreibt auf 1000 m2 das Werden der Schweiz über einen Zeitraum von 550 Jahren. Der Gang durch die Jahrhunderte beginnt am Ende des Mittelalters und endet mit den Herausforderungen für die demokratischen Institutionen der Gegenwart. Die Ausstellung inszeniert den Weg vom Staatenbund zum Bundesstaat als ein Ringen um Zugehörigkeiten. Zudem sprengt sie eine zeitliche Grenze, die für historische Museen oft ein Tabu ist. Sie wagt den Blick auf die Geschichte der Gegenwart.

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