Farbloser Becher mit bunter Emailbemalung, 18. Jahrhundert.
Glasbecher mit bunter Emailbemalung, Liebestaube und Aufschrift «Lieb du mich wie Ich dich nit mer beger Ich 1727». Schweizerisches Nationalmuseum

Fragile Liebe

Die Liebe war schon immer ein zerbrechliches Gut. Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert. Wie es uns schwülstige Liebesbekundungen und Treueschwüre auf Trinkgläsern und Flaschen offenbaren.

Christine Keller

Christine Keller

Christine Keller ist Kunsthistorikerin und Kuratorin beim Schweizerischen Nationalmuseum.

«Du aus allen, hast mir gefallen», «Lieb du mich allein, oder lass gar sein». Solche und ähnliche Liebesbekundungen und Treueschwüre beseelen vom 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert Trinkgläser und Flaschen. Seiner erfüllten, aber auch unerfüllten Liebe und Sehnsucht auf Glas Ausdruck zu verleihen, gehörte in den ländlichen Gebieten und Bergregionen der Schweiz zu einer weit verbreiteten Sitte. Die Träger dieser Botschaften sind als «Flühli-Gläser» bekannt. Die Glashütten im luzernischen Entlebuch fertigten in grosser Anzahl solche mit bunten Emailfarben bemalte und beschriftete Glaswaren. Dabei handelt es sich um farblose, blau oder violett eingefärbte Trinkbecher und verschiedenförmige Flaschen, mehrheitlich vierkantig oder beutelförmig mit einem Schraubverschluss aus Zinn. Als Liebesgaben und Hochzeitsgeschenke verwendet, tragen sie Liebessymbole wie Turteltauben und Herzen oder Maiglöckchen und Liebesknoten. Es finden sich auch steigende Bären, Hirsche, Löwen oder Hasen und Füchse. Zuweilen prosten sich in ländliche Trachten gekleidete Frauen und Männer zu und halten einander ein Herz entgegen. Das Entlebuch war jedoch nicht der einzige Produktionsort. Weitere Glashütten im Jura oder bernischen Emmental stellten solche emailbemalten Gläser für ihre vorwiegend regionale Kundschaft her.
Kobaltblaue Flasche mit bunter Emailbemalung. Zwei Tauben auf einem Herz, Maiglöckchen, «lieb du mich allein oder lass gar sein 1723», Flühli. Schweizerisches Nationalmuseum

Heimli­ches Treffen bei Vollmond

Eine Liebesszene aus dieser Zeit ist uns vom Berner Maler Franz Niklaus König (1765–1832) mit dem Titel «Der Kiltgang im Canton Bern» überliefert. Junge Männer und Frauen treffen sich in einer Vollmondnacht für einen Umtrunk am Fenster. Während der eine Mann sich bereits Zugang zur Kammer verschaffen konnte, schmeichelt der andere seiner Angebeteten noch durch das Fenster zu. Das romantische Treffen ist in ein gehobenes, bäuerliches Ambiente versetzt. Übrigens lässt sich die Bezeichnung «kilten» auf das germanische «kwelda» zurückführen und bedeutet die Zeit des Sonnenuntergangs, der Abendstunden. Zu dieser bereits im 16. Jahrhundert in der Schweiz belegten und ab dem 18. Jahrhundert verbreiteten nächtlichen Liebelei des Kiltgangs passen die auf den Gläsern aufgemalten Liebesschwüre «lieb du mich allein oder lass gar sein». Das Zutrinken am Fenster ist ein wichtiger Moment im Bild und unterstreicht einen wesentlichen Teil des Kiltgangs. Mit lieblichen Schmeicheleien, den Kiltsprüchen, Verlobungsversprechen und süssem Wein oder Schnaps erhofften sich die Jünglinge Zutritt zur Kammer ihrer Begehrten.
Lithographie von Franz Niklaus König.
Kiltgang im Canton Bern, 1801 gezeichnet von Franz Niklaus König. Wikimedia / Schweizerische Nationalbibliothek
Waren mehrere junge Männer beteiligt, wurde zuweilen mit Trinken und Tanzen ausgelassen gefeiert. Das Mädchen entschied sich dann für einen unter ihnen, der die Nacht bei ihr verbringen durfte: «Du aus allen hast mir gefallen». Der Maler Franz Niklaus König beschreibt das nächtliche Treiben: «Es ist die gewöhnliche Sitte im Canton Bern, dass auf dem Lande nur die Abende, und zwar / mehrentheils die Stunden vor Mitternacht, der Liebe gewidmet sind. Zwey, drey, auch mehrere / Jünglinge machen vereint dergleichen Besuche an den Sonn-Abenden. Die Mädchen wohnen immer in den oberen Stockwerken wohin der Weg zum Fenster führt. … Der eine Jüngling ist noch am Fenster und wird von seinem Liebchen mit Kirschwasser bewirtet … der andere beginnt seine Liebkosung. Die Stube ist eine Mädchenstube … die Uhr zeigt über elf ...» Nicht selten führte ein nächtlicher Kiltgang zu einer Schwangerschaft, worauf die Verlobung und Heirat folgte. Auf dem Land gehörte der Kiltgang zur Brautwerbung und war oft die einzige Möglichkeit, einen Gatten oder eine Braut zu finden. So war es vielleicht auch beim Ehepaar Brunner und Weber auf ihrer Hochzeitsflasche von 1801. Neben dem Liebespaar steht der feierliche Ausruf: «Es lebe Herr Johann Brunner und Frau Selina Weber 1801».
Milchglas bemalt, 1801, Prättigau.
Flasche aus Opalglas mit bunter Emailbemalung, «Es lebet Herr Johann Brunner und Frau Selina Weber 1801». Schweizerisches Nationalmuseum
Die Liebenden konnten nicht immer auf eine Erwiderung ihrer Gefühle hoffen: «Lieben und nicht haben ist schwerer als Steine tragen». Der sehnliche Wunsch einer einsamen Tochter «Vatter ein man den muss ich han» und der eindeutige Aufruf «Ach wenn ich einen hätte – der mit mir ging ins Bette», spiegeln die Bandbreite an Herzbegehren und Verzweiflung. Auch das Begehren einer anderen Braut oder eines anderen Gatten sind als Äusserungen auf den Gläsern zu finden: «Jch lieb was/ fein ist: und/ doch nid/ mein ist/ und auch/ nid haben kan hab/ ich doch mein freid daran 1734». Mehr Glück in der Liebe, so macht es zumindest den Anschein, hatte Balz Hodel aus dem Kanton Bern. Die Flasche mit der Aufschrift «mein Herz liebt dein Herz», seinem Namen, dem Emblem der Schuhmacher, Liebesknoten und der Jahreszahl 1745 war wohl ein Verlobungsgeschenk an seine Liebste.
Farblose Beutelflasche mit bunter Emailbemalung, Bern, 18. Jahrhundert.
Farblose Beutelflasche mit bunter Emailbemalung, Pflug, Schuh und Liebesknoten, «mein Hertz liebt dein Hertz 1745». Schweizerisches Nationalmuseum
Farblose Flasche mit bunter Emailbemalung, 2. Hälfte 18. Jahrhundert, Schwarzwald.
Farblose Flasche mit bunter Emailbemalung. Dame mit Herz und Aufschrift «Vatter ein man den muss ich han», 2. Hälfte 18. Jahrhundert, Schwarzwald. Schweizerisches Nationalmuseum

Nicht zur Freude aller

In der Schweiz schien der Kiltgang im Entlebuch, Emmental, Wallis, Graubünden und Verzascatal eine ausgeprägte Form gefunden zu haben. Doch nicht alle erfreuten sich an diesen romantischen Liebeleien. Kirchenvertreter sahen dem nächtlichen Treiben mit unguten Gefühlen zu. So meinte Josef Xaver Schnyder, der von 1776 bis 1784 in Schüpfheim Pfarrer war: «Nicht unverdientermassen steht sowohl das Entlebuch, als grossen Theils dessen Nachbarschaft wegen der unter dem Namen des Kiltengehens bekannten Unordnung so ziemlich in üblem Rufe.» Übrigens verzeichnete das Entlebuch ab 1730 eine starke Zunahme an Geburten! 100 Jahre später erhitzte der Kiltgang die Gemüter noch immer. Gottfried Jakob Kuhn (1775–1849), Berner Pfarrer und Volksliederdichter, mahnte in seiner Schrift: «Der Kiltgang. Ein ernstes Freundeswort an christliche Eltern und Hausväter», die er «allen Freunden der Zucht, Sitte und Ehrbarkeit zur Verbreitung» schickt, dass: «junge ledige Leute beiderlei Geschlechts, im gefährlichsten, leichtsinnigsten Alter ihres Lebens, besuchen sich in finsterer Nacht, einsam, von niemand bewacht, heimlich, verstohlen, besuchen sich sogar im Bette!» Der Kiltgang hatte bei aller Romantik auch seine Schattenseiten. Manch junge Frau riskierte eine uneheliche Schwangerschaft, denn nicht alle Männer kamen dem Heiratszwang bei einer Schwangerschaft nach. Sie bestritten die Vaterschaft und machten sich davon. Die jungen Frauen wurden geächtet und ihre Kinder verstossen. Im schlimmsten Fall verheimlichten sie ihre Schwangerschaften und griffen aus Angst und in äusserster Not zur Kindstötung.
Gemälde von Achille Buzzi.
Der fliehende Liebhaber, gemalt von Achille Buzzi, 19. Jahrhundert. Wikimedia

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