
Der hohe Preis der Freiheit
Das weibliche Schicksal lag lange Zeit in den Händen der Männer. Selbst wenn die Frau reich und bekannt wie Lydia Welti-Escher war.
Liebe wird zur kriminellen Handlung
Diagnose «systematisierter Wahnsinn»
Zu Hause reicht Friedrich Emil Welti auf Druck seines Vaters die Scheidung wegen Ehebruchs ein. Lydia erklärt sich bereit, ihm eine Entschädigung von 1,2 Millionen Schweizer Franken zu zahlen. Danach zieht sie sich in eine Villa in der Nähe von Genf zurück und lebt in Einsamkeit. Karl, durch die Ereignisse zerstört, nimmt sich Anfang 1891 das Leben. Lydia hingegen gründet eine Stiftung zur Förderung der Kunst, die heute als Gottfried-Keller-Stiftung bekannt ist, und vermacht ihren gesamten Nachlass der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Dies ist ihre letzte Handlung. Am 12. Dezember 1891 setzt auch sie ihrem Leben ein Ende.
Vormundschaftsrecht und Medizin
Seit dem Zeitalter der Aufklärung hatten Ärzte und Wissenschaftler Frauen aufgrund einer Reihe von Unterschieden, die durch die «Natur» selbst bedingt waren – wie etwa die geringere Grösse des weiblichen Gehirns –, als den Männern unterlegen dargestellt. Diese Konzepte waren zu Lydia Welti-Eschers Zeit noch relevant. Das wird auch durch eine Reihe wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Publikationen bestätigt, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu wahren Bestsellern wurden.
Zu dieser Sonderanthropologie des weiblichen Körpers kommt der Rechtsapparat hinzu, der das Privatrecht regelte und in der Schweiz, aber nicht nur dort, auch die Vormundschaft der Ehemänner über verheiratete Frauen umfasste. Laut Gesetz war der Ehemann «das Haupt der Ehe», verwaltete das Vermögen seiner Frau und war ihr Vertreter. Im Fall von Lydia Welti-Escher reichte die Zustimmung des Ehemanns aus, um die medizinische Diagnose und die Einweisung in die Anstalt zu bestätigen.


