Blick in die geöffnete lateinische Erstausgabe von «De re metallica» von 1556.
Blick in die geöffnete lateinische Erstausgabe von «De re metallica» von 1556. Eisenbibliothek

De re metallica — ein Bestsel­ler aus dem 16. Jahrhundert

Wie ein Chemnitzer Stadtarzt den Bergbau revolutionierte und warum er sein Buch in Basel drucken liess... Die Geschichte des Georg Bauer, besser bekannt unter dem Namen Georgius Agricola.

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr

Dominik Landwehr ist Kultur- und Medienwissenschafter und lebt in Zürich.

Im Jahr 1556 erscheint beim Basler Buchdrucker Johannes Froben ein Buch, das sich als epochaler Beststeller entpuppen sollte. Es trägt den Titel «De re metallica» und beschreibt den aktuellen Stand der Metallurgie und des Bergbaus. Die zeitgenössische Übersetzung des Titels lautet «Vom Bergwerck». Autor ist Georgius Agricola, der Stadtarzt von Chemnitz, der nur ein Jahr vor der Drucklegung seines Buches verstorben war.
Porträt von Georgius Agricola.
Porträt von Georgius Agricola. Wikimedia
Agricola kam 1494 in Glauchau, unweit von Chemnitz, als Georg Bauer zur Welt. Er studierte alte Sprachen und später Medizin und liess sich 1527 in Sankt Joachimsthal im Erzgebirge nieder. Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte er als Stadtarzt in Chemnitz, dort war er auch Bürgermeister. Die Stadt war berühmt für ihren Silberbergbau – ein Gebiet, das Agricola interessierte: Mineralien spielten in der Heilkunde von damals neben Pflanzen eine wichtige Rolle. Und weil Georgius Agricola ein Universalgelehrter mit vielen Fähigkeiten war, kombinierte er die verschiedenen Themen in diversen Publikationen. 1530 erschien «Bermannus, sive de re metallica», das sich mit Verfahren zur Erzsuche und Metallgewinnung beschäftigt. 1533 beschäftige sich Agricola mit «De Mensuris et ponderibus», also mit Messverfahren und -grössen. Im Buch «De ortu et causis subterraneorum» von 1546 befasste er sich mit Stoffen, die aus der Erde herausquellen. 1544 beschrieb er im umfassenden Werk «De natura fossilium» das mineralogische und geologische Wissen seiner Zeit.
Georgius-Agricola-Denkmal in Glauchau.
Georgius-Agricola-Denkmal in Glauchau. Wikimedia
Und dann kam das Meisterwerk von Gregorius Agricola: «De re metallica». Es fasst viele frühere Werke des Gelehrten zusammen und war die erste systematische Darstellung von Bergbau, Hüttenwesen und Metallverarbeitung in zwölf Kapiteln. Da geht es zum Beispiel um Gänge, Klüften und Gesteinsschichten, um das Ausmessen der Lagerstätten, die Ämter der Bergleute, ihre Werkzeuge, Geräte und Maschinen zur Gewinnung von Erzen. Danach folgt die Beschreibung der Verarbeitung, das Abtrennen von Silber, Gold und Blei und die Vorschriften für die Gewinnung von Salz, Soda, Alaun, Vitriol, Schwefel, Bitumen und Glas.
Aus Salzsteinen werden Öfen gebaut, darin wird das Salzwasser gekocht.
Aus Salzsteinen werden Öfen gebaut, darin wird das Salzwasser gekocht. ETH Bibliothek Zürich
Aber Gregorius Agricola beschäftigte sich auch mit Lebewesen, welche unter Tag anzutreffen waren. Damit meinte er Tiere, die sich im Erdinnern Höhlen bauen. Etwa Biber und Fischotter, Kaninchen, Murmeltiere, Frettchen, Dachse, Bären, Salamander oder Schlangen. Zum Schluss spricht er auch von Berggeistern, von denen ein Teil freundlich, ein Teil aber unfreundlich gegenüber den Bergleuten sei. «Dergestalt war einer zu Annaberg, der mehr als 12 Arbeiter in einer Rosenkranz genannten Grube durch seinen Hauch tötete. Der Hauch entquoll seinem Rachen. Er soll einen langgestreckten Hals wie ein Pferd und wilde Augen besessen haben.» Es gebe aber auch gute Geister. Man nenne sie Kobolde. «In lauter Fröhlichkeit kichern sie und tun so, also ob sie viele Dinge verrichteten, während sie tatsächlich nichts ausführen. Manche nennen sie auch Bergmännchen. Sie besitzen die Gestalt eines Zwerges und sind nur drei Spannen lang.» Agricola kannte ganz offensichtlich die Mythologie und den Volksglauben, die sich um die Fabelwesen der Zwerge rankten.
Einen entscheidenden Anteil am Erfolg des Buches hatten die 292 Holzschnitte. Entworfen hat sie Basilius Wefring. Die Holzschnittkünstler Hans Rudolf Manuel (1525–1571) und Zacharias Specklin (1530–1576) haben sie dann ins Holz gerissen. Die Holzschnitte sind von einer erstaunlichen Detailfülle und geben Einblick in die Ingenieurfähigkeiten der Zeitgenossen, es sind fast schon technische Illustrationen. Aus heutiger Sicht besonders erstaunlich ist der hohe Grad der Mechanisierung, auch wenn die wichtigsten Kraftquellen Menschen und Tiere waren.
Holzschnitt De re Metallica mit Pferden
Holzschnitt De re Metallica Bergwerk
Die detaillierten Holzschnitte trugen ihren Teil zum Erfolg des Buches bei. ETH-Bibliothek Zürich
Von Chemnitz nach Basel sind es mehr als 600 Kilometer, im 16. Jahrhundert eine Reise von mehreren Tagen. Warum wurde das Buch also in Basel gedruckt? Grund dafür dürfte die überragende Druckqualität und der hervorragende Ruf der Offizin Froben gewesen sein, meint der Historiker Christopher Zoller-Blundell, der in der Eisenbibliothek im Paradiesgut bei Schaffhausen arbeitet. Er schätzt die Bedeutung des Buches als sehr hoch ein. «Es hatte einen grossen Einfluss auf die Entwicklung der Industrie», erklärt er. Der Bergbau war eine Schlüsseldisziplin in der Entwicklung und beinhaltete grosse technische Herausforderungen und eine grosse Bandbreite von Maschinen, Pumpen und Hebevorrichtungen. Viele einflussreiche Ingenieure haben ihre Karriere im Bergbau begonnen. Agricolas Buch dokumentiert den Stand des Hüttenwesens in der frühen Neuzeit. Wer heute darin blättert muss feststellen, dass die Kunst der Eisengewinnung und Verarbeitung schon vor der Industrialisierung sehr entwickelt war. Es ist allerdings kein Praxishandbuch, eher ein theoretische Übersicht. Agricola beschreibt auch die Umweltschäden durch den Bergbau und die Erzverarbeitung. Die Ausbeutung der Erze verwüstete die Umgebung, die Schmelzöfen erschöpften die Baumbestände. Bei der Produktion von Quecksilber entstehen giftige Dämpfe, die den Hüttenarbeitern die Zähne ausfallen lassen.
Porträt von Johannes Froben, Druckgrafik, Ende des 18. Jahrhunderts.
Porträt von Johannes Froben, Druckgrafik, Ende des 18. Jahrhunderts. Schweizerisches Nationalmuseum
«De re metallica» erschien 1557, bereits ein Jahr nach der lateinischen Erstausgabe, in deutscher Übersetzung. Bis 1675 folgten neun weitere Ausgaben in Latein, Deutsch und Italienisch. Das Buch ist eine der wichtigsten Quellen zur Metallurgie der frühen Neuzeit. Im 20. Jahrhundert erschienen nicht weniger als 28 Ausgaben in verschiedenen Sprachen. Eine überarbeitete deutsche Version ist im Buchhandel erhältlich, sie findet sich auch im Internet. Eine neue englische Version veröffentlichte 1912 der Bauingenieur und spätere US-Präsident Herbert Clark Hoover (1874-1964).
Der 31. Präsident der USA, Herbert Clark Hoover, interessierte sich für Agricolas Werk.
Der 31. Präsident der USA, Herbert Clark Hoover, interessierte sich für Agricolas Werk. Wikimedia
2015 entdeckten Forscher die Kopie einer chinesischen Übersetzung aus dem 17. Jahrhundert. Sie wurde vom Jesuitenmissionar Johann Adam Schall von Bell (1591-1666) angefertigt. Eine lateinische Kopie des Buches war nachweislich zu Beginn des 17.Jahrhunderts nach China gekommen. Der Jesuitenmissionar übersetzte das Buch im Auftrag der chinesischen Regierung mit dem Ziel, der Ming-Dynastie Geldmittel zu beschaffen. Gedruckt wurde das Buch aber nie.
Der Jesuit Johann Adam Schall beschäftigt sich am Hof des Kaisers von China unter anderem mit Astronomie und übersetzte Agricolas Buch ins Chinesische.
Der Jesuit Johann Adam Schall beschäftigt sich am Hof des Kaisers von China unter anderem mit Astronomie und übersetzte Agricolas Buch ins Chinesische. Wikimedia
Das Werk wurde ohne Zweifel auch in der Schweiz rezipiert: Die Uni Basel, die bereits 1460 gegründet worden war, hatte bei der Offizin Froben gewissermassen ein Abonnement und erhielt automatisch alle Bücher von dort. Der Zürcher Kirchenvorsteher (Antistes) und Pfarrer Ludwig Lavater (1527-1587) zitiert Agricola ausgiebig in seiner Kompilation von Gespenster- und Geistergeschichten, er hat also auf ein Exemplar zurückgreifen können. Das Buch ist auch auf eine weitere Weise mit der Schweiz verbunden. Die Eisenbibliothek im Paradiesgut bei Schaffhausen dürfte weltweit eine der grössten Sammlungen dieses Buches besitzen. Total sind es 18, viele davon Erstausgaben in Latein, Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, Tschechisch und Ungarisch.

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