
Herakles lässt grüssen
Die griechischen Sagen sind eine Wunderkammer menschlicher Möglichkeiten und Grenzen. Das zeigt ein Abstecher zu Herakles, dem Helden aller Helden. Der Rahmen archaisch-mythisch, der Erkenntniswert zeitlos.
Als Jugendlicher gelangt Herakles an einen Scheideweg. Zwei Frauen kommen ihm entgegen. Die eine wird von ihren Freunden Glückseligkeit genannt, von ihren Feinden jedoch Laster. Leicht verwirrlich, weil komplex: es ist dieselbe Frau. Die andere ist eindeutig, kennt kein Wenn und Aber, erklärt: Ohne Fleiss kein Preis! Herakles muss wählen. Das heisst: Er hat keine Wahl. Wie könnte sich ein Held, der später in den Olymp aufgenommen wird, für das süsse Nichtstun entscheiden! Alles andere als der beschwerliche Weg der Tugend und Tatkraft, hin zu Ehre und Bewunderung, ist ausgeschlossen. Vorläufige Bilanz: Eine eher spezielle Kindheit und Jugend. Doch es kommt weit gröber.
Hera, die Göttermutter, verzeiht ihrem Gatten Zeus nicht, dass er den jungen Helden mit einer anderen Frau gezeugt hat. Deshalb macht sie Herakles das Leben schwer, schlägt ihn gar mit Wahnsinn. Der Umnachtete wirft seine zwölf Kinder ins Feuer und kann sich danach von seiner Verdammnis nur befreien, wenn er zwölf Aufgaben löst, für jedes Kind eine.
Der Kampf mit dem Nemeïschen Löwen
Der Kampf mit der Lernäischen Hydra
Simultan-Attacken haben es in sich, erst recht, wenn lähmendes Gift mit im Spiel ist und jeder tapfere Teilsieg über das Untier dessen Gefahr verdoppelt. Arbeitsteilung ist vonnöten, ein Gehülfe muss her. Herakles schlägt der Hydra die Köpfe ab, derweil sein Neffe Iolaos die Hälse mit glühenden Baumstämmen ausbrennt, damit nicht alsbald zwei Köpfe nachwachsen. Der treue Gefährte hat zu diesem Zweck ein ganzes Wäldchen in Brand gesteckt. Nötig gewesen wären doch bloss neun Stämme.
Der Stall des Augias
Es lebe der kleine Unterschied
Einige der animalischen Gegner verkörpern die lebensbedrohliche Natur. Diesen Dienst für andere leistet Herakles aber nebenher. Fokussiert ist er auf sich und seine Aufgaben, wofür ihm unermessliche Kräfte zur Verfügung stehen. Ein bloss egozentrischer Kraftprotz ist er indes nicht. Allein mit Muskelkraft lässt sich eine Hirschkuh, die so schnell flieht wie der Wind, nicht einfangen. Es fehlt Herakles weder an Geschick noch an Geduld. Ein ganzes Jahr lang setzt er dem Tier nach.
Dennoch: Ein Ehrenkodex im Sinn einer heldischen Moral, wie sie Homer dem Achilleus, Anführer der Griechen im Trojanischen Krieg, zuschreibt, ist nicht auszumachen. Freundschaft, Empathie, Grossmut? Fehlanzeige. Kopf und Hand ja, Herz weniger. Ganz ohne Herz kann Herakles aber nicht sein. Wie sonst könnte er es in der Folge verlieren?
In Liebesnot
Herakles hat im Jähzorn einen Mord begangen und muss als Sühne nun Sklavenarbeit verrichten. Als Sklave wird er an die Königin von Lydien verkauft, Omphale. Herakles leidet, schmachtet, verliert die Besinnung – doch nicht etwa, weil er für den Schutz des lydischen Reiches zu sorgen hat, sondern weil er sich unsterblich in Omphale verliebt.
Die Wertschätzung der Frau im freien Fall? Umgekehrt: Femina triumphans, zumindest auf diesem Gemälde, das allerdings die reale Geschlechterhierarchie der Renaissance auf den Kopf stellt. Gerade dieser Sachverhalt mag das Bild schon bei seiner Entstehung so beliebt gemacht haben: die listige soziale Umkehrung in Vollendung, der Mann als Spielball der Frau.
Ein Geschäft, so gut wie die Bilder




Weiterhin gute Reise!
Auf den Punkt gebracht
Vielfach spiegeln sich in den griechischen Sagen zeitlose Träume der Menschheit. Was, wenn wir wie Herakles die Welt vor Unglück und Leid bewahren könnten? Heldenlieder sind jedoch mit Vorteil zweistimmig zu singen. Neben der oberen, hellen Stimme gibt es in aller Regel eine untere, dunkle. Herakles lässt zweistimmig grüssen.
Worum geht es im Kern? Die antiken Mythen konfrontieren uns mit einer Fülle archetypischer Konstellationen, Charaktere, Motive. Umrisse der Conditio humana zeichnen sich ab, darin unzählige Hypothesen über uns. Beim Einblick in diesen Kosmos ahnen wir, woher wir kommen und wer wir sind.


