Ein Blick auf die erste Mannschaft von Hakoah in den 1960ern.
Ein Blick auf die erste Mannschaft von Hakoah in den 1960ern. FCZ-Archiv, Bestand Ludy Turkavka

Die Kraft auf dem Rasen

Die über 100-jährige Geschichte des Fussballclubs Hakoah zeigt, wie wichtig der jüdische Sport für die Identitätsbildung und Integration von Jüdinnen und Juden in der Schweiz war.

Michael Jucker

Michael Jucker

Michael Jucker ist Sporthistoriker, Leiter von Swiss Sports History und Co-Leiter des FCZ-Museums.

Sport hatte seit der Emanzipation 1874 eine wichtige Integrationsfunktion für viele Juden in der Schweiz. Nach 1900 kam es in Basel, Bern, Zürich und Genf zur Gründung von Sportvereinen. Dies waren mehrheitlich Turnvereine, die wie die christlichen Vereine eher konservativ ausgerichtet waren und sich oft dem Zionismus verschrieben hatten. Auch die Leichtathletik und das Tennis wurden zu beliebten Sportarten in jüdischen Vereinen. Durch Sport und die Teilnahme an Wettkämpfen und im Spielbetrieb integrierten sich Jüdinnen und Juden in der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Alle diese Erscheinungen prägten auch den Sportclub Hakoah aus Zürich, der 1921 gegründet wurde und ebenfalls klar auf die jüdische Kultur- und Religionsgemeinschaft Zürich ausgerichtet ist. Hakoah ist hebräisch und bedeutet «die Kraft». Von Beginn an war der Verein bestrebt, verschiedene Sportarten zu betreiben. So bildeten sich nach und nach auch eine Leichtathletik- und eine Tennis-Sektion. In den 1940er-Jahren wurde zur Gründung einer Schwimmabteilung aufgerufen. Dies war nichts Aussergewöhnliches, auch christliche Sportvereine waren in ihren Gründungsphasen polysportiv ausgerichtet. Schon früh war jedoch die Fussballabteilung die wichtigste Sektion des SC Hakoah. Später wurde nur noch Fussball gespielt und der Verein nannte sich dann nur noch Fussballclub.
1926 gewann der SC Hakoah die ostschweizerische C-Meisterschaft. Artikel aus der Jüdischen Pressezentrale Zürich.
1926 gewann der SC Hakoah die ostschweizerische C-Meisterschaft. Artikel aus der Jüdischen Pressezentrale Zürich. Archiv für Zeitgeschichte: Z Jüdische Periodika / JPZ-1926-0398
Ab der Gründungszeit 1921 bezog sich der Verein, wie viele jüdische Sportvereine, auf das von Marx Nordau am Zionistenkongress in Basel 1898 geprägte Konzept des «Muskeljudentums». Nordau propagierte die Demonstration von kräftigen und kampfbereiten Juden, um den antisemitischen Vorwurf des schwachen Juden zu entkräften. Besonders deutlich wurde dies während des NS-Regimes in Deutschland. So heisst es in einer Hakoah-Festschrift von 1934: «Ein geistig und körperlich hochwertiger Jude ist die überzeugendste Widerlegung des Vorwurfes, die jüdische Rasse sei den anderen gegenüber minderwertig. […] Eine starke ‹Hakoah› wird auch in der Schweiz ein Bollwerk jüdischer Kraft sein.» Dieser Diskurs einigte gegen innen und grenzte gegen aussen ab. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 und spätestens ab den 1960ern war dieses Konzept jedoch nicht mehr ganz so zentral, andere Themen wie Sport, Gesundheit und Integration wurden wichtiger.
Max Nordau, aufgenommen 1930.
Max Nordau, aufgenommen 1930. Wikimedia
Ein muskeljüdischer Aufruf im Ballprogramm des SC Hakoah, 1934.
Ein muskeljüdischer Aufruf im Ballprogramm des SC Hakoah, 1934. Quelle: FC Hakoah, Zürich
Mitten im Krieg war das Ausüben von Sport und besonders von Fussball schwierig. Durch die «Anbauschlacht» wurden viele Sportplätze zu Äckern umgewandelt. Der FC Hakoah war jedoch der einzige jüdische Fussballverein in Europa, der trotz Krieg und Schoah ohne Unterbruch Bestand hatte und den Spielbetrieb aufrechterhalten konnte.
Eine Sportwiese in der Stadt Zürich, 1942.
Eine Sportwiese in der Stadt Zürich, 1942. Baugeschichtliches Archiv
Rasch wurde der FC Hakoah auch zu einem Migrationsverein, der offen war für Flüchtlinge der jüdischen Glaubensgemeinschaft: Waren es anfänglich vor allem Elsässer und Ostjuden, so wandelte sich dies im Laufe der Zeit: Durch die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg und der Niederschlagung des Ungarnaufstands 1956 hatten zahlreiche geflüchtete Spieler aus Deutschland und anderen Teilen Europas beim FC Hakoah ihre fussballerische Heimat gefunden. Sie waren in der Regel gute Fussballer und verstärkten jedes Team mit etwa drei bis vier Spielern. Auch die aktuelle Mannschaft integrierte letztes Jahr jüdische Ukrainer ins Team.
So sah die erste Mannschaft des FC Hakoah in den 1950er-Jahren aus.
So sah die erste Mannschaft des FC Hakoah in den 1950er-Jahren aus. Privatsammlung Sami Riger
In Zürich nahm und nimmt der FC Hakoah seit 1921 eine Sonderstellung ein: Er ist ein Verein wie jeder andere Fussballverein in der Stadt. Doch bezieht er sein Selbstverständnis weder auf ein Quartier der Limmatstadt noch auf eine spezifische Heimat einer Migrantengruppe. Vielmehr ist der FC Hakoah ein monokultureller Verein, der tief verwurzelt in der jüdischen Kultur ist. Er bildet eine Heimat für alle fussballinteressierten Zürcher Juden und Jüdinnen: Ost- und Westjuden, orthodoxe, religiöse, aber auch nichtgläubige oder liberale Juden. Die Herkunft, ob sozial, ökonomisch, politisch oder national spielte und spielt keine Rolle. Insofern war er auch stets eine Spur liberaler als viele andere jüdische Sportvereine oder der Dachverband Maccabi Schweiz, die stärker am Zionismus festhielten. Schicht- und milieuübergreifend will der Verein «die Pflege des Fussballspiels sowie die jüdischen Geselligkeit» fördern, wie eine der ersten Vorstandsmitteilungen im Jahre 1921 schrieb. Die Hakoahner und Hakoahnerinnen sollen demnach Teil des allgemeinen Fussball-Geschehens sein, aber man tut es als jüdische Sportler und Sportlerinnen. Beim FC Hakoah mitzumachen ist also eine Form der jüdischen Identitätsbestätigung und zugleich eine Form des Praktizierens der Zugehörigkeit zur Schweizer Gesellschaft.
Deshalb schlägt der Verein nach aussen auch Brücken zu anderen Bereichen der Gesellschaft. Diese gelebte Offenheit und Toleranz bedeuteten in historischer Perspektive und bedeuten bis heute auch immer eine innerjüdische Spannung auszuhalten: Nicht alle aus der orthodoxen Gemeinde sahen es gerne, wenn Fussball gespielt wurde. Dies traf aber bis weit in die 1960er-Jahre auch auf den christlichen Glauben zu: Christliche Knaben und ab 1970 auch Mädchen sollten am Sonntag nicht Fussball spielen, sondern in die Kirche gehen.
Der FC Hakoah spielt aktuell in der 4. Liga.
Der FC Hakoah spielt aktuell in der 4. Liga. Bild: Philipp Wyss
Für den FC Hakoah hiess diese Spannung auch, dass gegenüber dem Zürcher Fussballverband seit den Anfängen eine Sonderregelung eingeholt werden musste: Spiele des FC Hakoah konnten und können aus religiösen Gründen nicht am Schabbat durchgeführt werden. Sonst hätte man religiöse Juden per se ausgeschlossen. Somit blieb als Matchtag der Sonntag, was wiederum mit den christlichen Vorstellungen des sonntäglichen Kirchengangs kollidierte. Eine Lösung mit dem Zürcher Fussballverband konnte einvernehmlich gefunden werden, in dem die sonntäglichen Spielzeiten auf nach dem Kirchenbesuch gelegt wurden – nicht nur ein Ausdruck von Integration, sondern auch von gegenseitiger Toleranz und Offenheit.

Swiss Sports History

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Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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