Die Schweiz war dank zahlreicher britischer Einflüsse früh eine Fussballnation – nicht nur bei den Namen der Klubs.
Die Schweiz war dank zahlreicher britischer Einflüsse – nicht nur bei den Namen der Klubs – früh eine Fussballnation . Archiv BSC Young Boys

Die frühe Fussball­na­ti­on Schweiz

Der Schweizerische Fussballverband wurde am 7. April 1895 gegründet. Die Verbreitung des Fussballs in der Schweiz geschah aber schon einige Zeit vorher und ist auf die starke internationale Verflechtung des Landes im 19. Jahrhundert zurückzuführen.

Simon Engel

Simon Engel

Simon Engel ist Historiker und bei Swiss Sports History für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Bernerinnen und Berner gelten als heimatverbunden und stolz auf ihren in der ganzen Schweiz beliebten Dialekt. Umso eigenartiger ist es deshalb, dass die Stadtberner Fussballmannschaft einen englischen Namen trägt: Young Boys (YB). Und im Wankdorfstadion, der YB-Heimat, ist an diversen Orten der Wahlspruch «Young Boys for ever» zu finden. Ein typisch «moderner» englischer Slogan einer Marketingabteilung? Mitnichten. Die Parole war seit dem ersten Tag ein wichtiger Teil des Wankdorfstadions.
Die Spieler persönlich verewigten das Klub-Motto 1925 im eben erst fertiggestellten Wankdorfstadion.
Die Spieler persönlich verewigten das Klub-Motto 1925 im eben erst fertiggestellten Wankdorfstadion. Archiv BSC Young Boys
Malen statt Grätschen: YB-Spieler im Wankdorfstadion, 1925.
Malen statt Grätschen: YB-Spieler im Wankdorfstadion, 1925. Archiv BSC Young Boys
Seither gilt die gelb-schwarze Liebe für die «Ewigkeit». Begonnen hat diese (Liebes-)Geschichte allerdings noch früher. In einem anderen Jahrhundert sogar. Der Slogan wurde bereits bei der Klub-Gründung 1898 von den Mitgliedern formuliert und wird bis heute von den Young Boys verwendet. Warum aber ausgerechnet ein englischer Vereinsname mitsamt englischem Wahlspruch?
Die Statuten von YB, damals noch unter dem Namen Footballclub Young-Boys vom März 1898.
Die Statuten von YB, damals noch unter dem Namen Footballclub Young-Boys vom März 1898. Archiv BSC Young Boys
Die Einführung des Fussballs in der Schweiz erfolgte im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorwiegend durch britische Schüler, Studenten, Kaufleute und Lehrer. Sie arbeiteten oder studierten in der Schweiz, brachten das Spiel aus ihrer Heimat – England ist das Mutterland des modernen Fussballs – mit, und machten es unter den Schweizern bekannt. Umgekehrt gab es auch Schweizer – verhältnismässig aber viel weniger –, die bei ihren Aufenthalten in Grossbritannien den Fussball kennengelernt hatten und ihn später in der Heimat propagierten. Beispielsweise Treytorrens de Loys. Der Romand studierte in den 1880er-Jahren am King's College in London Ingenieurwesen und machte danach Karriere in der Schweizer Armee. 1913 wurde er zum Oberstdivisonär befördert und kommandierte im Ersten Weltkrieg die 2. Division der Schweizer Armee. Der Offizier brachte die Liebe zum Fussball zurück in die Heimat und auch durch ihn entstand in höheren Militärkreisen nach und nach ein gewisses Verständnis für diesen Sport. Die Begrifflichkeiten des frisch importierten Spiels waren natürlich allesamt auf Englisch. Nicht nur die Bezeichnung des Sports im Schweizerdeutschen – «tschuute» bzw. «tschutte», «schuute» oder «schutte» – stammt aus dem Englischen («to shoot»), sondern auch Begriffe wie Penalty, Corner oder Goalie sind im Schweizer Fussball bis heute Usus. Die Schweizer Fussballpioniere sprachen auch nicht vom «Fussball» sondern vom «Football-Spiel», die Vereine wurden teilweise mit englischen Namen wie Old Boys Basel oder Grasshoppers Club Zürich getauft, der Fussballverband hiess bei seiner Gründung 1895 noch Schweizerische Football-Association und der Verteidiger wurde back genannt.
Anglizismen à gogo: Artikel aus dem Schweizer Sportblatt, November 1898.
Anglizismen à gogo: Artikel aus dem Schweizer Sportblatt, November 1898. e-periodica
Wo und wann genau zum ersten Mal in der Schweiz gekickt wurde, lässt sich nicht abschliessend rekonstruieren. Früheste Zeugnisse lassen sich für die Genferseeregion ab den 1860er-Jahren nachweisen: So findet man in der zeitgenössischen Presse Spielberichte und -ankündigungen, bei denen sich Engländer aus Genf und Lausanne für Fussballspiele getroffen haben sollen. Zudem soll an den welschen Erziehungsinstituten von Château de Lancy und La Châtelaine bereits ab 1853 beziehungsweise 1869 Fussball gespielt worden sein, wobei es sich bei den Schülern um Sprösslinge reicher Familien aus Grossbritannien handelte. Die ersten Fussballklubs wurden ab den 1870er-Jahren gegründet, dabei waren auch Schweizer mit von der Partie. So wurde der älteste noch bestehende Fussballverein der Schweiz, der FC St. Gallen, 1879 von Kaufleuten beziehungsweise ehemaligen Schülern des Institut Wiget in Rorschach ins Leben gerufen. Sie hatten den Fussball während ihrer Ausbildung über ihre englischen Lehrer kennengelernt.
Mannschaft des FC St. Gallen um 1881.
Mannschaft des FC St. Gallen um 1881. Wikimedia
Das Fussball-Team des Château de Lancy, 1853.
Das Fussball-Team des Château de Lancy, 1853. Wikimedia
Die starke Präsenz der Briten sowie die wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Vereinigten Königreich in Handel und Tourismus waren wichtige Voraussetzungen dafür, dass der football vergleichsweise früh in die Schweiz «importiert» und bekannt wurde. Der moderne Fussball – modern im Sinne eines Spiels mit festen und aufgeschriebenen Regeln – verbreitete sich auf den britischen Inseln zwischen 1840 und 1860 (der «wilde» Volksfussball ohne kodifizierte Regeln lässt sich bereits seit dem Hochmittelalter nachweisen). Im kontinentaleuropäischen Vergleich fällt zudem auf, dass sich in Ländern, die zur Zeit des Aufkommens des Fussballs industriell fortgeschrittener waren, der neue Sport rascher verbreitete. Nebst der Schweiz waren dies insbesondere Belgien und Dänemark. Das industrielle Zeitalter brachte eine junge und aufstrebende Gesellschaftsschicht hervor, die für Freihandel, Kosmopolitismus sowie Wettbewerb einstand und diese Werte auch im Fussball erfüllt sah: Es gibt universelle Regeln und es handelt sich um einen offenen Leistungsvergleich zwischen zwei Teams.
Fussballspiel von 1897. Regeln beachtet? Ja. Leistungsvergleich? Na ja... YouTube
Die internationale Verflechtung der Schweiz spielte auch in der weiteren Verbreitung des Fussballs in Kontinentaleuropa eine Rolle: Deutsche, französische und italienische Fussballpioniere lernten das Spiel an Schweizer Hochschulen und Gymnasien kennen, Schweizer Kaufleute und Akademiker gründeten in Südeuropa Fussballvereine mit. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Winterthurer Hans «Joan» Gamper, der 1899 mit Gleichgesinnten den FC Barcelona ins Leben rief. Zudem gab es Turnlehrer aus der Romandie, die auf Einladung des bulgarischen Bildungsministers an verschiedenen Schulen unterrichteten und dort Fussball spielen liessen.
Hans Gamper auf einem Bild von 1896.
Hans Gamper auf einem Bild von 1896. Wikimedia
Auch an einigen staatlichen Schulen in der Schweiz wurde ab den 1880ern Fussball gespielt und 1898 fand er Eingang in die Eidgenössische Turnschule, damals eine Art Rahmenlehrplan für den Turn- und Sportunterricht. Die Bildungsinstitutionen und -inhalte waren damals – abgesehen von den katholisch-konservativen Kantonen – bürgerlich-liberal geprägt, der aus dem gleichen Kosmos entstammende Fussball passte da gut rein. Anschlussfähig für Schweizer Schulen war das Spiel aber vor allem, weil es in seiner britischen Ursprungsform an den bürgerlich-elitären public schools einen zutiefst bildungspolitischen (oder wie man damals sagte: erzieherischen) Anspruch hatte: Es ging um Wettbewerb sowie um die Einübung von Regeln, Teamfähigkeit und einer bestimmten Art von Männlichkeit.
Konditionstraining der Schweizer Fussball-Nati im Wald, um 1960.
Konditionstraining der Schweizer Fussball-Nati im Wald, um 1960. Schweizerisches Nationalmuseum / ASL
Die Schüler sollten dadurch zu charakterfesten, disziplinierten und gesunden Männern erzogen werden. Entsprechend steht in der Eidgenössischen Turnschule von 1898: «Rasches, zielbewusstes, energisches, aber durchaus selbstloses und nur auf das allgemeine Spielinteresse gerichtetes Handeln kennzeichnet den guten Fussballspieler, woraus wohl am besten hervorgeht, welcher Wert dem Fussballspiel als Erziehungsmittel beizumessen ist.» Im deutschsprachigen Raum fasste man diese spezifische Vorstellung von Bildung mit dem Begriff Körpererziehung zusammen, also die Idee, dass das Trainieren des Körpers einen Einfluss auf Seele und Intellekt junger Menschen habe. Auch viele Fussballklubs aus der Pionierzeit orientierten sich an der Körpererziehung, so steht in den ersten Statuten des Grasshopper Club Zürich, einer der Vereinszwecke sei die «Ausbildung des Körpers», die Berner Young Boys sprachen von «Kräftigung des Körpers».
Strammer Marsch am kantonal-solothurnischen Turnfest in Olten, 1921.
Strammer Marsch am kantonal-solothurnischen Turnfest in Olten, 1921. Schweizerisches Nationalmuseum
Für die ersten Fussballer schien aber ein gewichtigerer Faktor das Spiel attraktiv zu machen, wie Fritz Schäublin, Mitglied des FC Basel ab 1893, in seinen Memoiren über die Pionierzeit schrieb: «Wir trieben damals Fussball, weil wir unseren Drang nach körperlicher Ertüchtigung in freierer Weise als in einem Turnverein betätigen wollten, und diese Befriedigung hofften wir im Fussballsport zu finden.» Schäublin grenzt sich vom Turnen so stark ab, weil viele Turnübungen seinerzeit (und noch bis etwa in die 1960er-Jahre) stark an militärischen Drill erinnerten. Neben Felgaufschwung und Handstand wurde auch synchron marschiert und exerziert. Obwohl auch die Turner, die wie die Fussballer oft aus dem Bürgertum stammten, ebenfalls das Ideal der «Körpererziehung» propagierten und es auch Turnlehrer waren, die Fussball in den Schulen spielen liessen, bekämpfte die mächtige und nationalkonservativ orientierte Turnbewegung das neuartige Fussballspiel zunächst massiv: Es sei eine einseitige, gefährliche und unschweizerische Sportart, da es sich um ein fremdländisches Importprodukt handle. Fussballer würden sich zudem nur zum Vergnügen körperlich ertüchtigen anstatt sich auf staatsbürgerliche Pflichten wie den Wehrdienst vorzubereiten. Der wachsenden Popularität des Fussballs tat dies jedoch keinen Abbruch: Heute gehört er zu den beliebtesten Sportarten des Landes, jedes Wochenende «schutten» 280’000 Aktive zusammen und gegeneinander.

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Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Swiss Sports History, dem Portal zur Schweizer Sportgeschichte, entstanden. Die Plattform bietet schulische Vermittlung sowie Informationen für Medien, Forschende und die breite Öffentlichkeit. Weitere Informationen finden Sie unter sportshistory.ch.

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