Papst Clemens VII. wird während der Plünderung Roms 1527 von Schweizergardisten auf seiner Flucht aus dem Vatikan beschützt. Illustration von Marco Heer
Papst Clemens VII. wird während der Plünderung Roms 1527 von Schweizergardisten  auf seiner Flucht aus dem Vatikan beschützt. Illustration von Marco Heer

Der schwär­zes­te Tag in der Geschich­te der Schweizergarde

Die Plünderung Roms durch führungslose Truppen Kaiser Karls V. am 6. Mai 1527 geriet zum Blutbad, das auch 147 Schweizergardisten das Leben kostete. Noch heute werden Spuren des «Sacco di Roma» entdeckt.

Thomas Weibel

Thomas Weibel

Thomas Weibel ist Journalist und Professor für Media Engineering an der Fachhochschule Graubünden und der Hochschule der Künste Bern.

Atemlos hasteten die 43 Männer durch das von Fackeln spärlich erleuchtete Tonnengewölbe des «Passetto di Borgo» in Rom, jenes 800 Meter langen, von aussen als gewöhnliche Mauer getarnten Ganges, der vom Vatikan zur Engelsburg führt. 42 der Flüchtenden waren Schweizergardisten unter der Führung ihres Leutnants Herkules Göldli aus Zürich, einer war Papst Clemens VII. höchstselbst. Der Ausbruch gelang, und die Gardisten und der Papst erreichten die Engelsburg unversehrt.
Papst Clemens VII., Gemälde von Sebastiano del Piombo, ca. 1531
Papst Clemens VII., Gemälde von Sebastiano del Piombo, ca. 1531 The Getty Center
Der «Sacco di Roma» (vom veralteten italienischen Wort für «Plünderung») an jenem 6. Mai 1527 sollte ein schwarzer Tag werden. Die hemmungslose Plünderung durch die grösstenteils reformierten Söldnertruppen Karls V., des gewählten, aber noch ungekrönten Kaisers des Heiligen Römischen Reichs, hatte eine lange Vorgeschichte. Seit sechs Jahren kämpften das von Karl regierte Spanien und Frankreich unter König Franz I. um die Vorherrschaft in Norditalien. Nach der vernichtenden Niederlage des französischen Heeres in der Schlacht von Bicocca 1522 sah Papst Clemens, bisher an der Seite der spanisch-kaiserlichen Truppen, seine Zeit gekommen. Er forderte Mailand für sich und trat aus der Allianz mit Karl V. aus. Nach Ansicht des Vatikans, des Herzogtums Mailand, der Republik Venedig und weiterer oberitalienischer Staaten war der römisch-deutsche Kaiser zu mächtig geworden, und so schlossen sie sich 1526 in der pro-französischen Liga von Cognac zusammen.
Kaiser Karl V., Gemälde von Tizian (Entwurf) und seinem Werkstattgehilfen Lambert Sustris, 1548
Kaiser Karl V., Gemälde (Entwurf) von Tizian und seinem Werkstattgehilfen Lambert Sustris, 1548. Alte Pinakothek, München
Als auch noch der englische König Heinrich VIII. Karls Allianz verliess und der Kaiser seine Armeen ohne lukrative Eroberungen nicht mehr bezahlen konnte, kam es im März 1527 zum Söldneraufstand. Der deutsche Oberkommandierende Georg von Frundsberg erlitt einen Schlaganfall, und die führungslos gewordenen deutschen Landsknechte, spanischen Söldner und italienischen Condottieri begannen die von der Liga von Cognac gehaltene Stadt Florenz zu belagern, um sich an deren Reichtum schadlos zu halten. Die Belagerung zog sich in die Länge, und als im Umland nichts mehr zu holen war, beschlossen die hungrigen Soldaten, sich an Papst Clemens zu rächen, den sie für ihre desperate Lage verantwortlich machten. Sie liessen alles schwere Kriegsgerät stehen und marschierten auf Rom.
Der «Sacco di Roma», Gemälde von Johannes Lingelbach aus dem 17. Jahrhundert.
Der «Sacco di Roma», Gemälde von Johannes Lingelbach aus dem 17. Jahrhundert. Wikimedia
Angesichts der sich abzeichnenden Katastrophe versuchte der Papst noch, den kaiserlichen Kommandanten, Generalhauptmann Charles III. de Bourbon, mit einer grossen Geldsumme zu bestechen, aber es half alles nichts: De Bourbon lehnte ab, und ohnehin nahmen die Landsknechte keinerlei Befehle mehr entgegen. Als sie am Morgen des 6. Mai zum Sturm auf Rom ansetzten, hatten die wenigen dort verbliebenen Truppen dem ungezügelten Angriff nichts mehr entgegenzusetzen. Vom dichten Nebel begünstigt, stürmten die Angreifer den von der Engelsburg bis zum Vatikan reichenden Stadtbezirk Borgo, wobei ihr Anführer de Bourbon durch einen Büchsenschuss getötet wurde (den abgefeuert zu haben sich später der in päpstlichen Diensten stehende Bildhauer Benvenuto Cellini rühmte).
42 Angehörige der Schweizergarde brachten den Papst in Sicherheit, die restlichen 147 Mann bezogen auf dem Petersplatz Stellung, um den Petersdom und das Vatikangelände zu schützen. Allein, gegen die über 20'000 Angreifer konnten die Gardisten nichts ausrichten und wurden bis zum letzten Mann aufgerieben. Tags darauf fiel den Söldnern das restliche Stadtgebiet in die Hände, und die monatelange Plünderung geriet gänzlich ausser Kontrolle. Führerlos und ausser Rand und Band, zogen die Landsknechte brandschatzend, vergewaltigend und mordend durch die Strassen. Vatikan, Kirchen und Paläste wurden ausgeraubt, Adligen enorme Lösegeldsummen abgepresst, Bürgern unter Folter alles abgenommen, was von Wert war. Selbst die Gräber der im Petersdom begrabenen Päpste wurden aufgebrochen.
Schweizer Gardist der päpstlichen Garde in einer Druckgrafik, um 1850.
Schweizer Gardist der päpstlichen Garde in einer Druckgrafik, um 1850. Schweizerisches Nationalmuseum
Der «Sacco di Roma», im Gefolge der Reformation bald als Akt eines Konfessionskrieges umgedeutet, ging als beispielloses Kriegsverbrechen in die Geschichte ein. Die Zahl der Opfer ging in die Zehntausende; über 90 Prozent der Kunstschätze Roms wurden gestohlen oder zerstört. Der Papst wurde sechs Monate lang in der Engelsburg belagert und kam erst gegen die Abtretung umfangreicher Besitzungen, darunter der Städte Modena, Parma und Piacenza, und die Zahlung von 400'000 Dukaten wieder frei. Die Schweizergarde war bis auf die 42 Mann in der Engelsburg ausgelöscht und wurde erst 1548 durch Clemens’ Nachfolger Papst Paul III. neu formiert. Bis heute gedenkt die Schweizergarde der Greuel dieses Tages mit der jeweils am 6. Mai stattfindenden Vereidigungszeremonie neuer Rekruten in Rom.
Vereidigungszeremonie der Schweizergarde im Vatikan am 6. Mai 2021.
Vereidigungszeremonie der Schweizergarde im Vatikan am 6. Mai 2021. Alessia Giuliani / DUKAS/ABACA
Eine letzte Spur der mörderischen Soldateska Karls V. kam erst Jahrhunderte später an den Tag. Der Fresko «Disputa del Sacramento» in der im zweiten Stock des Vatikans gelegenen «Stanza della Segnatura», eines der berühmtesten Gemälde des italienischen Renaissancemalers Raffael, stellt anhand Dutzender Engel und Putten, biblischer Figuren, Evangelisten und Kirchenväter die katholische Theologie als «divinarum rerum cognitio», als «Kenntnis der göttlichen Dinge» dar. Als Restauratoren 1999 das 7,7 mal 5 Meter grosse Wandbild in Augenschein nahmen, entdeckten sie, von hasserfüllten Söldnern während des «Sacco di Roma» ins Gemälde eingeritzt, die Lettern «V[ivat] K[arolus] IMP[erator]» und darunter, als wohl grösste denkbare Schmähung der katholischen Kirche, den Namen «Luther».
Fresko «Disputa del Sacramento», Gemälde von Raffael, 1509.
Fresko «Disputa del Sacramento», Gemälde von Raffael, 1509. Wikimedia / Vatikanische Museen
Der eingeritzte Name «Luther» im Fresko «Disputa del Sacramento».
Der eingeritzte Name «Luther» im Fresko «Disputa del Sacramento». Foto: Thomas Weibel

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