«Die Parze Lachesis», gemalt von Pietro Bellotti, um 1684.
«Die Parze Lachesis», gemalt von Pietro Bellotti, um 1684. Staatsgalerie Stuttgart

Schick­sals­göt­tin mit Falten

Wer malt denn schon alte Frauen? Ein Blick in die Kunstgeschichte zeigt, dass die Maler sich mit dem Sujet schwertaten. Meist widmeten sie sich ihm nur unter einem Vorwand.

Barbara Basting

Barbara Basting

Barbara Basting war als Kulturredaktorin tätig und leitet derzeit das Ressort Bildende Kunst in der Kulturabteilung der Stadt Zürich.

Vom antiken Maler Zeuxis ist überliefert, dass er starb, weil er sich beim Malen des faltigen Gesichts einer alten Frau totgelacht haben soll. Die Anekdote belegt, dass schon zu Beginn der abendländischen Kunstgeschichte – Zeuxis wirkte im 5. Jahrhundert vor Christus – die Darstellung alter Frauen als unmögliches Sujet galt. Die entsprechenden Konventionen und Tabus wirkten bis weit ins 20. Jahrhundert. Für eine würdevolle Darstellung von Greisen stand den Malern ein Arsenal positiv besetzter Rollen zur Verfügung. Heilige, Philosophen und Gelehrte, ja Gottvater selbst: Solche Rollen gab es für Frauen nicht. Ihre Darstellung hatte dementsprechend keine Funktion. Die wenigen Ausnahmen haben jedoch zur allmählichen Enttabuisierung des Problem-Sujets beigetragen. Insbesondere im 19. Jahrhundert mehren sich die Beispiele. Sie finden sich etwa im Werk von Albert Anker. So hat er 1885 gleich zwei Versionen seins Gemäldes «Hohes Alter (Frau, sich wärmend)» gemalt. Im Gegensatz zu Zeuxis hat sich Anker dabei nicht totgelacht. In seinem bildnerischen Kosmos sind die alten Frauen auch gar nichts Besonderes. Er stellt sie in der detailreichen Manier in der Tradition der niederländischen Genremalerei dar, die auch im 19. Jahrhundert bei seinem bürgerlichen Publikum gut ankam.
«Hohes Alter II (alte Frau sich aufwärmend)», gemalt vom Berner Maler Albert Anker, um 1885.
«Hohes Alter II (alte Frau sich aufwärmend)», gemalt vom Berner Maler Albert Anker, um 1885. Wikimedia
Anker bedient damit zugleich das im 19. Jahrhundert zunehmende Interesse an gesellschaftlichen Milieustudien. Es entstand im Gefolge der aufkommenden Gesellschaftskritik und Sozialanalyse und beim Versuch, sich in einer zunehmend komplexen Welt zu orientieren. Im Gemälde «Hohes Alter II» liefert etwa der Witwenschleier zusammen mit der einfachen, groben Kleidung und dem kärglichen Ambiente Indizien dafür, dass die Frau in einem ärmlichen bäuerlichen Milieu lebt. Als Witwe hat sie zudem einen schweren Stand. So gesehen, könnte man die Szenerie als soziale Anklage interpretieren. Jedoch setzt dies eine Kenntnis der strukturellen historischen Kontexte voraus, zu denen die frühkapitalistische Ausbeutung einer verarmenden Landbevölkerung und hygienisch miserable Lebensbedingungen in den Städten gehörten. Genau diese Kontexte macht Anker aber nicht sichtbar. Seine beklagenswerte alte Frau erscheint sozial isoliert und eher als pittoresk und effektvoll inszeniertes Rührstück für Ankers besser situiertes Publikum. Das Schicksal der Frau als Individuum ist zweitrangig. Dass die Maler solche Vorwände brauchten, um alte Frauen darzustellen, belegt schon ein bald 400 Jahre früher entstandenes, heute berühmtes Porträt einer alten Frau von Giorgione (Giorgio da Castelfranco, 1478-1510). Giorgione, ein wichtiger Vertreter der venezianischen Renaissancekunst, malte 1506 «La Vecchia». Von Giorgione sind nur wenige Gemälde überliefert, da er sehr jung an der Pest starb. Zu seinen Sujets gehören neben Madonnen und Darstellungen ländlicher Idyllen mit reizvollen jungen Frauen vor allem männliche Porträts. Auch Giorgione orientierte sich damit an seinen Auftraggebern.
«La Vecchia», gemalt von Giorgio da Castelfranco genannt Giorgione, um 1510.
«La Vecchia», gemalt von Giorgio da Castelfranco genannt Giorgione, um 1510. Gallerie dell'Accademia di Venezia
«Die Alte» sticht aus diesem Werk heraus. Ihr Mund ist wie nach einem Schlaganfall oder anklagend geifernd halb geöffnet und entblösst ein bröckelndes Gebiss. Gesteigert wird der trostlose Anblick durch die schütteren Haare, die hängenden Züge und den traurigen, aber auch vorwurfsvollen Blick, der uns direkt fixiert. Der schwarze Hintergrund unterstreicht die Isolation der Frau. Anders als bei Anker erhalten wir nur knappe Hinweise auf ihre mögliche Herkunft. Für Giorgione ist sie aus einem anderen Grund zweitrangig. Denn seine «Vecchia» tritt in einer klar definierten Rolle auf: Sie ist eine Allegorie, eine Verkörperung der Vergänglichkeit. Dafür spricht das Spruchband mit der Aufschrift «col tempo» in der Hand der Frau und der auf ihre Brust gerichtete Finger. «Mit der Zeit» werden auch wir, die wir das Bild betrachten, uns den Zumutungen des Alters nicht entziehen können. Darüber hinaus enthält das Gemälde einen versteckten Hinweis auf die herrschenden Sachzwänge für Künstler: Die wohlhabenden Auftraggeber bevorzugen jugendliche Madonnen und schmeichelhafte Porträts. Abgewirtschaftete alte Frauen kann Giorgione nur unter dem Vorwand der Allegorie malen, und nur in einem ganz speziellen Kontext. Die «Vecchia» diente ursprünglich als Schutzdeckel für das Porträt eines (jüngeren) Mannes. Die französische Feministin Simone de Beauvoir hat 1970 in ihrer bahnbrechenden Analyse «La Vieillesse» herausgearbeitet, wie die Literatur seit der Antike den körperlichen Verfall des Menschen im Allgemeinen, insbesondere aber den von Frauen thematisiert: zumeist satirisch. Auch dies erklärt, warum für die Maler alte Frauen kein würdevoller Gegenstand waren: Die Gesellschaft sah das schlicht nicht vor. Erst zu Zeiten von Giorgione ändert sich dies allmählich. Auf einzigartige Weise sichtbar wird das im Schaffen Albrecht Dürers. Dürer zeichnet 1514, wenige Jahre nach Giorgiones «Vecchia», seine Mutter Barbara Holper. Sie ist damals 63 Jahre alt, ausgezehrt von 18 Geburten und schwer krank. Zwei Monate später lebt sie nicht mehr.
Albrecht Dürer zeichnete seine Mutter, als diese 63 Jahre alt war.
Albrecht Dürer zeichnete seine Mutter, als diese 63 Jahre alt war. Staatliche Museen zu Berlin
Dürers Kohlezeichnung ist weit drastischer und lebensnäher als Giorgiones Gemälde: Hier gibt es keinen aparten rosa Stoff und keinen allegorischen Filter, die den traurigen Anblick abmildern. Zahlreiche Stirnrunzeln in pergamentartiger Haut, hohle Wangen, Tränensäcke, schmale Lippen, eine riesige Altersnase, eine ausgezehrte Halspartie und ein verhärmter, gebrochener Blick: Das war keine Vorlage für ein Gemälde oder für einen der rasch verbreiteten Kupferstiche Dürers, sondern ein privates Protokoll des Künstlers. Die Öffentlichkeit erreicht es damals nicht.
«Die Parze Lachesis», gemalt von Pietro Bellotti, um 1684.
«Die Parze Lachesis», gemalt von Pietro Bellotti, um 1684. Staatsgalerie Stuttgart
Rund 150 Jahre später lotet der Barockmaler Pietro Bellotti die Grenzen des Darstellbaren mit seinem Gemälde «Die Parze Lachesis» nochmals anders aus. Bellotti hat das Sujet ab 1654 mehrfach gemalt. Ein Erfolgssujet. Tatsächlich ist Bellotti in der hier gezeigten Variante von 1684 eine packende Darstellung des weiblichen Alters gelungen: Eine Bäuerin in ihrer typischen Tracht, mit braun gegerbtem Gesicht und verrunzeltem Dekolleté, schon gezeichnet vom Alter, aber nicht mitleiderregend. Der Blick der Frau ist selbstbewusst, es fehlen jegliche Anzeichen der Gebrechlichkeit. Aber selbst Bellottis Lebenslandkarte eines alten Gesichts dient nicht der Auseinandersetzung mit einem individuellen Charakter. Auch bei ihm muss die alte Frau in ein bekanntes Kostüm schlüpfen, um darstellbar zu sein: Als Parze Lachesis verkörpert sie eine der drei antiken Schicksalsgöttinnen, ein damals beliebtes Sujet. Auf den Namen Lachesis weist der (kaum noch lesbare) Text auf dem Zettel oben links hin. Für Parzenspezialisten ist Lachesis sofort erkennbar am Faden, den die Frau zwischen den Fingern hält: Lachesis bemisst die Länge des Lebensfadens. Zugleich scheint sich Bellotti über die Parzenkenner und damit das pseudogelehrte mythologische Theater seiner Zeit als Vorgabe für Künstler lustig zu machen. Denn üblicherweise werden sogar die Schicksalsgöttinnen als nackte junge Frauen dargestellt. Es ist kein Zufall, dass das ungeliebte Sujet der alten oder gealterten, in den Augen der Gesellschaft in der traditionellen Rolle als Gebärerin unbrauchbaren Frau ab dem 20. Jahrhundert gerade auch von Künstlerinnen aufgegriffen wird. Oft geschieht dies in zugespitzter Weise, um die entsprechenden Tabus herauszuschälen. Wie aktuelle Beispiele etwa von Maria Lassnig oder Cindy Sherman belegen, geht es dabei häufig um eine Kritik am Schönheits- und Jugendlichkeitskult. Denn auch die heute dominante konsumorientierte Selfie- und Werbekultur bleibt fixiert auf makellose junge Frauen. Dies ändert sich nur in dem Masse, wie ältere Frauen ins Visier des Marketings geraten und das Bewusstsein für den sogenannten «ageism», die Diskriminierung Älterer, wächst.

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