
Ein Wimmelbild zwischen Wissenschaft und Kunst
Kinder lieben Wimmelbilder, auch im 21. Jahrhundert. Ein Spezialist dieser Darstellungsart war Roelant Savery, der damit vor über 400 Jahren den Habsburger Kaiser begeisterte und viele Zeitgenossen inspirierte. Auch Schweizer Künstler.
Die Fragen der Kinder ähneln denen, die sich auch Kunsthistoriker angesichts des Werks von Roelant Savery (1576-1639) schon gestellt haben. Denn der Künstler ist vor allem mit seinen märchenhaften, überreich mit Tieren ausstaffierten Landschaften berühmt geworden. In biblischen und mythologischen Erzählungen wie der vom Paradies, von Noahs Arche oder von Orpheus, der die Tiere verzaubert und zähmt, fand er geeignete Sujets, um seiner Tierliebe zu frönen. Selbst seine grossartigen Blumenstilleben garnierte er reich mit Insekten und Reptilien.
Am Hof des Kaisers
Rudolf sammelte daneben Kunst im grossen Stil, vor allem die von schon verstorbenen Berühmtheiten wie Tizian, Correggio, Dürer und Pieter Breughel. Daneben galt seine Vorliebe den verschrobeneren Exponenten des Manierismus, die das Formenvokabular der Renaissance auf die Spitze trieben, insbesondere Giuseppe Arcimboldo und Bartholomäus Spranger – und Roelant Savery.
Savery und die Tiere
Auf diesen Tapisserien fanden sich auch Tierszenerien. Der junge Savery kannte sie, weil sein deutlich älterer Bruder Jacob, bei dem er das Malen lernte, auch Tapisserieentwürfe anfertigte und sich dabei auf Tiere spezialisierte. Deren Darstellung orientierte sich zunächst an der mittelalterlichen Überlieferung. Eine bedeutende Rolle spielte dabei die Emblematik. Den Tieren werden dabei jeweils bestimmte Eigenschaften zugeordnet (der «starke Löwe», der «treue Hund»), wie sie bis heute noch in Tierfabeln überliefert werden. Daneben gab es Vorformen wissenschaftlicher Enzyklopädien, etwa illustrierte Manuskripte zur Jagd. Roelants künstlerisches Markenzeichen wurde das «Wimmelbild».
Der Dodo führt zu einer weiteren möglichen Inspirationsquelle Saverys, den Werken des flämischen Miniaturmalers und Kupferstechers Georg Hoefnaegel (1542-1600) und seines Sohns Jacob. Georg Hoefnagel war kurz vor Saverys Zeit als Hofkünstler bei Rudolf II. angestellt und schuf für ihn eine prächtige vierbändige Bildenzyklopädie mit mehreren tausend Tierdarstellungen. Sie diente späteren Künstlergenerationen als «Musterbuch». Jacob schuf ein gemaltes Verzeichnis der Tiere aus Rudolfs Menagerie, das den Dodo enhält. Die Verzeichnisse der Hoefnagels zählen wie auch Conrad Gessners zwischen 1551 und 1587 erschienene Tierbücher zu den Grundlagenwerken der entstehenden Naturwissenschaften.
Der paradiesische Frieden — ein Wunschtraum?
Hat das Publikum darüber hinaus die verdächtige Harmonie in der fast schon surrealistischen Paradies-Collage als Wunschtraum, als gemalte Utopie in einer unruhigen Welt wahrgenommen? Das Habsburgerreich sah sich damals den wiederholten Angriffen der Türken ausgesetzt, und die Reformation spaltete Europa. Rudolf II. hatte immerhin 1609 den Protestanten die Religionsfreiheit gewährt. Seine unmittelbaren Nachfolger jedoch hoben seinen Erlass auf und lösten damit den dreissigjährigen Krieg aus; dieser begann mit dem «Prager Fenstersturz» von 1618 als Religionskrieg und endete als Flächenbrand.
Wussten Saverys Zeitgenossen, dass er aus einer Wiedertäuferfamilie stammte? Jedenfalls konnte man sein Werk als theologischen Wink, ja als moralischen Aufruf zur Toleranz verstehen. Denn bei ihm ist der Mensch nicht die Krone der Schöpfung, sondern ebenbürtig mit anderen Wesen, die noch dazu alle miteinander im Einklang leben.


