Der Bürgenstock, ein perfektes Ensemble mit Hotels, Bergen, See und Lift. Postkarte von 1928.
Der Bürgenstock, ein perfektes Ensemble mit Hotels, Bergen, See und Lift. Postkarte von 1928. Staatsarchiv Nidwalden

Der höchste Freiluft­auf­zug Europas 

Auf dem Bürgenstock wusste man schon immer, wie man geschickt auf sich aufmerksam macht. Beispielsweise 1905 mit dem spektakulären Hammetschwand-Lift, einem Wunderwerk schweizerischer Ingenieurtechnik. Dieser sorgte ebenso für Bewunderung wie für Falschmeldungen!

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw

Michael van Orsouw ist promovierter Historiker, Bühnenpoet und Schriftsteller. Er veröffentlicht regelmässig historische Bücher.

Die Bürgenstock-Hotels auf dem spektakulären Bergrücken über dem Vierwaldstättersee begeisterten ab 1873 die Kurgäste von nah und fern. Doch der Bürgenstock stand nicht allein; viele Mitbewerber buhlten während der Belle Epoque um die Gäste – mit besonders ausgefallenen Kuren, mit speziell gewagten Bahnen oder mit aparten Einrichtungen. Der Bürgenstock mit Hotelpionier Franz Joseph Bucher stellte sich diesem Wettbewerb. Weil sich seine Gäste einen schattigen Spazierweg wünschten, realisierte Bucher ab 1900 den Felsenweg auf der Nordseite des Bürgenberges. Also dort, wo die Felsen steil in den Vierwaldstättersee abfallen, was für den findigen Tourismusprofi kein Hindernis war: Denn auf diese Weise konnte er einen abenteuerlichen Spazierweg realisieren mit ereignisreichen Galerien, geheimnisvollen Tunnels und phänomenaler Aussicht – und war damit wieder international im Gespräch.
Der spektakuläre Felsenweg auf einer Postkarte.
Der spektakuläre Felsenweg auf einer Postkarte. Staatsarchiv Nidwalden
Nun blieb aber der Höhenunterschied von 165 Metern zwischen Felsenweg und Bergspitze bestehen. Bucher-Durrer setzte für die Überwindung nicht auf eine Bergbahn wie seine Konkurrenz, sondern auf die damals moderne Lifttechnik, um sich wörtlich und in übertragenem Sinn abzuheben. Er plante nichts weniger als den höchsten Freiluftlift Europas – ein solcher Superlativ liesse sich gut vermarkten.

Ein riskantes Bauprojekt

Heute sind auf dem Felsenweg kleine und bis zu sieben Meter hohe Stützmauern zu sehen, dazu Felsausschnitte, Galerien, kleine Tunnels, Sicherungsnetze und massive Geländer. Damals, in den Jahren 1900 bis 1905, waren die Arbeiten für den Felsenweg und für den Hammetschwand-Lift ein lebensgefährliches Unterfangen. Die Mineure aus Österreich und Italien bauten unter riskantesten Bedingungen und mit viel Handarbeit den Felsenweg sowie den Schacht für den Lift. Die Arbeiter sicherten sich akrobatisch mit Seilen und bohrten die Löcher für die Eisenkonstruktionen. Der Stundenlohn der Mineure betrug damals übliche 50 bis 60 Rappen. Die ganzen Arbeiten waren so aufwändig, dass die Bauzeit für den Felsenweg und für den Hammetschwand-Lift fünf lange Jahre betrug.
Ein waghalsiges Projekt: der 165 Meter hoher Freiluftlift.
Ein waghalsiges Projekt: der 165 Meter hoher Freiluftlift. Staatsarchiv Nidwalden
Die Ausführung des kühnen Liftes übernahm die Zürcher Eisenbaufirma Löhle & Kern, die führende Schweizer Brückenbaufirma jener Zeit. Für die Elektrifizierung zuständig war Wüst & Cie. aus Zürich-Seebach. Die Bauexperten legten zunächst eine Felskammer für den Maschinenraum und den Eingang in den Lift an. Von dort aus sprengten sie sodann den unteren Teil des 60 Meter hohen Liftschachts senkrecht in den Felsen, ein waghalsiges Vorhaben. Der Liftturm war als Eisenfachwerkkonstruktion angelegt – ähnlich wie beim Eiffelturm in Paris, wieder eine bestens vermarktbare Analogie. Die Arbeiter nieteten den Liftturm an Ort und Stelle zusammen. Dann verankerten sie den Turm am Berg. Die Liftkabine bestand aus Fichtenholz, überzogen mit Zinkblech, und bot bis zu acht Personen Platz. Der metallene Turmspitz liess den Lift von weither wie eine Rakete erscheinen – was wiederum ein lohnendes Fotosujet hergab.
Mit dem Metallspitz wie eine Rakete: Der Lift war für Zeitgenossen geradezu überirdisch.
Mit dem Metallspitz wie eine Rakete: Der Lift war für Zeitgenossen geradezu überirdisch. Staatsarchiv Nidwalden

Der «Eiffel­turm» der Schweiz

1905 waren der Felsenweg und der 165 Meter hohe Hammetschwand-Lift bereit – und sie entwickelten sich zu einer weltweit wahrgenommenen Attraktion! Der Blick schnellt frei und unverstellt über See und Berge, Städte und Dörfer, Wälder und Wiesen: «Man hat das Gefühl, frei in der Luft zu schweben», jubelte etwa die Zeitschrift Schweizer Familie. Der Lift war in der Folge eine weltweit wahrgenommene Attraktion und ein Beweis schweizerischer Ingenieurkunst. Er machte mit seiner Inszenierung der Landschaft den Bürgenstock zu einem Zauberberg der Technik. Paris hatte seinen Eiffelturm, der Bürgenstock seinen Hammetschwand-Lift, beide Zeugnisse grosser Ingenieurkunst der Belle Epoque.
Paris hat den Eiffelturm... Wikimedia
Der Hammetschwand-Lift
... und der Bürgenstock den Hammetschwand-Lift. Staatsarchiv Nidwalden
Zu Beginn waren für den Betrieb des Liftes zwei Angestellte erforderlich: ein Wärter, der den Aufzug bediente, und ein Kondukteur mit Dienstmütze, der in der Kabine mitfuhr. Er musste die Gäste während der Fahrt begleiten und hielt die Kabine stets tadellos sauber. Anfänglich lief der Lift mit einem Tempo von 1 Meter pro Sekunde, die Fahrt dauerte 3 Minuten. Während Jahrzehnten lief der Lift ohne eine Störung oder einen Unfall. 1936 rüstete die Luzerner Liftfirma Schindler die Anlage auf: Neu bewältigte der Lift 2,7 Meter pro Sekunde, er lief also mehr als doppelt so schnell. Dazu baute man eine neue Kabine und eine neue Maschinerie ein. 1959/60 erfolgte eine weitere Sanierung, wobei Turm und Liftantrieb verbessert wurden. Der Lift bewältigte jetzt sogar 4 Meter pro Sekunde. Nach einer Totalsanierung 1992 wurde die Geschwindigkeit auf 3,15 Meter pro Sekunde gedrosselt, damit die Fahrt mit ihrer atemberaubenden Aussicht länger genossen werden kann und die nun 48-sekündige Fahrt zum Ereignis wird.

James Bond — ein Gerücht geht um die Welt

Mehr als zwölf Millionen Gäste liessen sich seit 1905 mit dem Hammetschwand-Lift befördern. Darunter Prominente wie Sophia Loren, Konrad Adenauer, Charlie Chaplin, Henry Kissinger oder Audrey Hepburn, die 1954 sogar auf dem Bürgenstock geheiratet hatte. Sie waren wie viele andere Berühmtheiten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Showbusiness begeistert vom Felsenweg und dem Lift. «Die schönste Höhenpromenade der Welt», jubelte der französische Staatsmann Louis Barthou, nachdem er den Felsenweg begangen hatte.
Audrey Hepburn wohnte zeitweilig auf dem Bürgenstock: eine Aufnahme der bekannten Schauspielerin von 1954.
Audrey Hepburn wohnte zeitweilig auf dem Bürgenstock: eine Aufnahme der bekannten Schauspielerin von 1954. ETH-Bibliothek Zürich / Fotograf: Hans Gerber
Auch der britische Schauspieler Sean Connery weilte 1964 für einige Wochen auf dem Bürgenstock. Er drehte in der Schweiz Szenen für den James-Bond-Film «Goldfinger». Zwar gibt es in diesem Streifen tatsächlich eine Liftszene, allerdings wurde diese nicht im Hammetschwand-Lift gedreht, wie einige Medien und Webseiten bis heute behaupten. Vielleicht hat Connery im Aufzug zum Bürgenstock tatsächlich «das Zittern bekommen». Aber ganz sicher nicht als 007, sondern höchstens als Hotelgast!
Sean Connery und Bürgenstock-Hotelier Fritz Frey junior am Hotelpool, 1964.
Sean Connery und Bürgenstock-Hotelier Fritz Frey junior am Hotelpool, 1964. Foto: Peter Frey

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