
Der Gletscherpfarrer
Als der junge Gottfried Strasser 1879 zum neuen Pfarrer in Grindelwald gewählt wurde, machte er sich rasch einen Namen, nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Autor, Alpinist, Förderer und Wohltäter. Bald war er weit über das Tal hinaus als «Gletscherpfarrer» bekannt.
Schon früh zeigte sich Strassers dichterisches Talent. Während seiner Gymnasialzeit entstanden zahlreiche, meist humorvolle Texte, die er in seinem Poesiealbum festhielt. 1873 begann er das Theologiestudium in Bern, ergänzt durch Studienaufenthalte in Deutschland. Am 23. Februar 1879 wurde er, ohne eigene Bewerbung, zum Pfarrer von Grindelwald gewählt, auf Empfehlung und mit einstimmiger Zustimmung der Kirchgemeinde.
Die Nähe zu den mächtigen Gletschern verlieh dem Dorf Grindelwald im Berner Oberland den Beinamen «Gletscherdorf». Dort fand Strasser rasch Anschluss und bald kannte man ihn weit herum unter dem Namen «Gletscherpfarrer». Als begeisterter Berggänger nutzte er die Nähe zur alpinen Welt für zahlreiche Touren, oft begleitet von einheimischen Bergführern. Seine Leidenschaft für die Berge führte ihn in den Zentralvorstand des Schweizer Alpen-Clubs (SAC), später wurde er Sekretär der Sektion Grindelwald und Präsident der Prüfungskommission für Bergführerkurse. Bei einem SAC-Festanlass lernte er Elise Anna Rüegg aus dem Zürcher Oberland kennen, die er 1881 heiratete. Gemeinsam hatten sie acht Kinder, vier Töchter und vier Söhne.
Dem Projekt des Unternehmers Adolf Guyer Zeller mit einer Bahn auf die Jungfrau stand Strasser ebenfalls positiv gegenüber und 1892 verfasste er sogar einen Reiseführer für das Berner Oberland. Doch ganz unkritisch stand Pfarrer Strasser der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eine regelrechte Tourismus-Flut ausartenden Entwicklung dann doch nicht gegenüber. Den Hotelbau-Boom prangerte er in Gedichtform an:
Wo Berge sich erheben im schönen Schweizerland, gibt’s Hotels und Pensionen zuhauf und allerhand. Da sieht man vor Palästen die Berge bald nicht mehr! Oh weh! Wer stellt als Retter ein Bauwut-Serum her?
Ihr werdet mir’s glauben, noch keinmal ist es mir so schwer gewesen zu predigen, wie jetzt: Das schreckliche Feuer will mir nicht aus den Augen, von rechter Vorbereitung keine Rede, Leib und Seele noch immer in fieberhafter Aufregung.


