Interniert im Schulhauskeller
In zürcherischen Niederweningen wurde der Schulhauskeller früher als Gefängnis genutzt. Das gefiel nicht allen Zeitgenossen.
Kriminelle Energien und Disziplinlosigkeit machen auch vor einer Dorfgesellschaft nicht halt. Wohin mit zur Gewalt neigenden Ehemännern, Dieben oder Soldaten, die ihre militärischen Aufgaben schleifen liessen? 1850, sechs Jahre nach Fertigstellung des Primarschulhauses entschloss sich die Zürcher Gemeinde Niederweningen zu einer unkonventionellen Nutzung der unterirdischen Räume und richtete im dortigen Keller das Gemeindegefängnis ein. Nicht gerade erfreut über diesen Entscheid war der bisherige Mieter, der Müllerüeli, hatte er doch just in diesem Gemäuer ein Fass seines besten Weines mit Jahrgang 1834 eingelagert. Die beiden Parteien einigten sich auf eine solide Bretterwand, welche die eingebuchteten Bösewichte vom Wein trennen sollte.
Die Vergehen, deren die im Loch sitzenden Personen beschuldigt wurden, waren aus heutiger Sicht eher harmlos. Ein Junge musste für einen Tag in die Arrestzelle und acht Tage auf die Schandbank, weil er zehn Franken gestohlen hatte. Ein anderer Schüler wurde fürs Schulschwänzen und Betteln mit vier Tagen Arrest bestraft. Ein renitenter und gewaltbereiter Vater wurde nach kurzer Haft im Keller dem Statthalter überwiesen. Wie übrigens die meisten der Arrestanten. Das Gemeindegefängnis war nie für einen längeren Aufenthalt gedacht. 41 Jahre später möchte die Gemeinde den Keller ausserdem als Abstellraum für den gemeindeeigenen Leichenwagen nutzen. Müllerüeli hat noch immer Wein im Keller und ist erneut wenig erbaut von der Idee. Ob es sich bei seinem Fass Wein immer noch um den 1834er handelt, ist nicht überliefert.
Während des Zweiten Weltkrieges wurden in der Ferienzeit auch Schweizer Soldaten im Schulhaus einquartiert. Einschlafen auf der Wache, Besäufnisse im Ausgang und weitere Vergehen führen zu Disziplinarstrafen. Der kleine Raum mit dem Fenster zu frischer Luft und Licht, welches mehr Luke als richtige Öffnung ist, wird weiter als Arrestzelle genutzt. Die dort eingebuchteten Soldaten haben jede Menge Zeit, den Wänden die eine oder andere originelle Dekoration zu geben.
«…und ist mir morgen mein Schätzchen gut, und will es mit mir glücklich sein, dann … in mir das Wienerblut und ich gehe wieder für drei Tage rein…»
«… was kann ein Schweizer da sagen? Könnte er einmal nur spüren, was in uns geht. Ginge er selber ins Loch…»
So wurde von unbekannter Hand im November 1945 geschrieben, was heute noch lesbar ist. Im knapp sieben Quadratmeter grossen düsteren Raum liess sich ausser Gedichte schreiben und Porträts schöner (Phantasie-) Frauen an die Wände kritzeln, nicht viel mehr machen.
«Wir wussten als Kinder gar nicht so genau, was das für welche waren da unten. Sie baten uns aber immer wieder, ihnen Zigaretten, Schokolade oder Guetzli zu organisieren», erinnert sich Rudolf Hauser, der als Primarschüler zwischen 1943 bis 1949 im Schulhaus ein und aus ging. Der gekritzelte Adler der 2. polnischen Schützendivision lässt darauf schliessen, dass auch internierte polnische Soldaten ab und zu in den Bau wanderten. Angesichts der Schrecken, welche die rund 50 bis 100 Polen, die zwischen 1942 und 1946 in Niederweningen interniert waren, vorgängig erfahren hatten, war die Strafe im kleinen Kellerloch wohl eher ein gemütlicher Aufenthalt. Die Polen waren Teil des grössten Grenzübertrittes, seit General Bourbaki 1871 mit rund 90'000 Soldaten auf der Flucht vor den anrückenden preussischen Truppen im Jura die Schweizer Grenze übertrat.
Im Juni 1940 nun erlaubte der Bundesrat 30'000 französischen und rund 12'500 polnischen Soldaten, des Weiteren auch 7000 Zivilisten, Schweizer Boden zu betreten. Sie alle waren auf der Flucht vor den anrückenden Nazis. Diese enorme Anzahl an Flüchtlingen wurde empfangen und auf verschiedene Internierungslager verteilt. So auch nach Niederweningen. Während die Franzosen die Schweiz kurze Zeit wieder verliessen, blieben die Polen bis nach Kriegsende.
Über den Verbleib des Wienerblutes lässt sich nichts mehr herausfinden. Ob er seine Liebe gefunden hat, sei es in Niederweningen, in Polen oder sonst wo, bleibt für immer in den Tiefen der Weltgeschichte verborgen.