
Russische Vorreiterin
Nadeschda Suslowa schloss als erste Studentin im deutschen Sprachraum das Medizinstudium in Zürich ab. Damit öffnete sie vielen Frauen die Tore zu den Hochschulen.
Nadeschda Suslowa kommt am 1. September 1843 als drittes Kind von Prokofij Grigorjewitch Suslow und Anna Iwanowna im zaristischen Russland zur Welt. Mit 16 Jahren macht sie das Hauslehrerinnenexamen in St. Petersburg, den höchsten Abschluss, den eine Frau im damaligen Russland erwerben kann. In den 1860er-Jahren herrscht eine revolutionäre Stimmung in St. Petersburg, die auch Suslowa politisiert und sozialisiert. Ihr Wunsch, Ärztin zu werden, verstärkt sich. Die St. Petersburger Medizinisch-Chirurgische Akademie macht eine Ausnahme und lässt die junge Frau als Hörerin Vorlesungen besuchen. Dank einer Sonderbewilligung des Knabengymnasiums erlangt sie einen Maturitätsabschluss, mit dem sie sich offiziell einschreibt. Als es zu revolutionären Wirren kommt, macht man Studentinnen für Unruhen an den Universitäten verantwortlich und verbietet ihnen das Studium. Nadeschda Suslowa zieht nach Zürich.
Die Universität Zürich als Vorreiterin
Zu Beginn wohnen die beiden jungen Frauen zusammen in einer Pension in Fluntern. Kniaschnina bricht ihr Studium wenig später ab, Suslowa ist nun auf sich allein gestellt. Sie fühlt sich oft einsam und schreibt ihrer Schwester: «Meine Einsamkeit hier, das Fehlen von allem Menschlichen […] versetzt mich manchmal in Raserei! Ich möchte ein menschliches lebendiges Wesen sehen, ein rechtes Leben!» Je einsamer sie ist, desto stärker konzentriert sie sich auf ihr Studium – mit Erfolg. Die Professoren bringen ihr grosse Wertschätzung entgegen, und auch die Kommilitonen akzeptieren sie.
Ende 1867 kehrt die frischgebackene Ärztin nach Russland zurück und schafft es – trotz zahlreicher Steine, die man ihr in den Weg legt –, als erste Frau in Russland eine eigene gynäkologische Arztpraxis zu eröffnen. «Ich bin die erste, aber nicht die letzte», schreibt die Pionierin an ihre Schwester. «Nach mir werden Tausende kommen.» Damit wird sie recht behalten. Auch privat findet sie ihr Glück: Sie heiratet den Schweizer Arzt Friedrich Erismann, mit dem sie in Zürich studiert hat, und er folgt ihr ins Zarenreich.
Der Weg ist geebnet
1873 endet die Ära der Russinnen in Zürich abrupt. Zar Alexander II. befürchtet eine Revolution der studierenden Frauen. Er verbietet russischen Studentinnen aus Zürich, in ihrem Heimatland zu arbeiten. Die meisten Russinnen brechen ihr Studium nun ab. Wenig später ändert die Universität Zürich ihre Aufnahmebedingungen. Alle Nichtkantonsbürgerinnen und -bürger müssen einen Ausweis der vorangegangenen Ausbildung vorlegen oder eine Zulassungsprüfung ablegen. Die Zahl der Studentinnen bricht massiv ein. Waren im Frühjahrssemester 114 Frauen immatrikuliert, sind es im Herbstsemester noch 29.
Hohe Hürden für Schweizerinnen


